Sexualisierte Gewalt ist nicht nur eine besonders perverse Form der Kriegführung, sondern erschreckende, traumatisierende Alltagserfahrung von Frauen und Kindern in der ganzen Welt. Alle fünf bis zehn Minuten wird in der Bundesrepublik eine Frau vergewaltigt. Jede dritte Frau wurde in ihrer Kindheit sexuell mißbraucht. Die Vergewaltigungsopfer erleben Todesangst, Demütigung, Ohnmacht, Scham und Schuld. Das Überleben nach solchen Erlebnissen führt oft jahrelang zu Selbstmordgedanken, Schlaflosigkeit, quälende Angst, Isolation, dem dauerhaften Verlust von Lebenskraft und Vertrauensfähigkeit in andere Menschen.
Vergewaltigungen sind Bestandteil jedes Krieges. Sie werden allerdings nur dann in größerem Ausmaß publik, wenn es den Interessen der Kriegsparteien dient. Im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit wurde - wenn überhaupt - von Vergewaltigungsexzessen der Roten Armee gesprochen. Erst mit dem 1992 fertiggestellten Film von Helke Sander Befreier und Befreite trat die massenhafte Vergewaltigung von Mädchen und Frauen als »Siegerrecht« ins öffentliche Bewußtsein. Damit wurde eine strukturelle weibliche Generationenerfahrung angesprochen: Der Sieg über das faschistische Deutschland erfolgte auch über die Besetzung der Frauenkörper des Kriegsgegners.
Die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, wie des Vietnamkriegs belegen, daß massenhafte Zwangs- und Armutsprostitution und Vergewaltigungen im Krieg Hand in Hand gehen, eindrucksvoll dokumentiert durch den Kriegerspruch:
This is my rifle / This is my gun / One is for killing / The other's for fun.
In fast allen KZ's gab es Lagerbordelle. Auch die Wehrmachtsausstellung belegt, daß deutsche Soldaten das Leben und die körperliche Unversehrtheit von Frauen und Kindern genauso wenig achteten oder achten durften wie Soldaten anderer Kriegsparteien. »Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt«, heißt es in einem Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht von 1942.
Auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs »bedienten« in Südvietnam fast 400.000 Prostituierte die US-Soldaten. Daneben kam es zu massenhaften, oft mit unbeschreiblicher Brutalität verübten Vergewaltigungen. Über 50 Jahre vertuschte die japanische Regierung die Verschleppung von Frauen in Zwangsbordelle durch das japanische Militär im asiatisch-pazifischen Krieg. Erst vor vier Jahren konnten die wenigen Überlebenden der über 200.000 sogenannten Comfort-Women, unterstützt von einer koreanisch-japanischen Fraueninitiative, eine Entschuldigung und halbherzige Rehabilitierung erzwingen.
Im September 1992 veröffentlichte die Zagreber Frauengruppe Tresnjevka einen Bericht über Massenvergewaltigungen in 16 Internierungslagern Bosniens. Darin hieß es: »Das Quälen von Frauen wird im übertragenen Sinn ausgeführt ..., die Rache an der Frau ist gleichsam eine Botschaft von Mann zu Mann.« Der Fraueninitiative ging es um Hilfe für die traumatisierten Frauen und um eine länderübergreifende Frauenfriedensbewegung.
Mit der öffentlichen Empörung über die Massenvergewaltigungen wuchsen zugleich Bemühungen, sie für kriegspropagandistische Zwecke zu instrumentalisieren. Berichte über die Vergewaltigung bosnischer Frauen durch serbische Truppen sollten die USA zum militärischen Eingreifen bewegen. Vergewaltigungen durch kroatische Truppen durften dagegen kein Thema sein. Die Internationale Frauensolidaritätskonferenz 1993 in Zagreb konnte nur stattfinden, weil die Organisatorinnen sich gerade dieser Auflage beugten.
Aber auch mit dem Einsatz von UN-Schutztruppen in Bosnien bewahrheitete sich wieder: Jeder Mann - und jeder Soldat - ist ein potentieller Vergewaltiger. Es gibt nicht die guten Truppen, die es auf keinen Fall tun. So hatte sich UN-General MacKenzie wegen der Vergewaltigung von vier muslimischen Mädchen in Sarajevo zu verantworten. Niederländische Militärs mußten Srebrenica verlassen, nachdem es durch sie zu Vergewaltigungen gekommen war.
Und jetzt im Kosovo? Auch hier ist es der NATO gelungen, Berichte über Vergewaltigungen und Vertreibungen für ihre Militär operationen zu instrumentalisieren. Seit zwei Monaten wird bombardiert. Täglich werden mehr und mehr Bomben über Jugoslawien abgeworfen. Keine einzige Vergewaltigung und keine einzige Vertreibung wurde damit verhindert - sie haben im Gegenteil die Massaker an den Kosovo-Albanerinnen verschärft. Dabei sehen sich noch nicht einmal die geflohenen Frauen geschützt. Nach einem UNHCR-Bericht werden Frauen, die in Albanien Zuflucht gesucht haben, von der albanischen Mafia verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Vom Erlös dieses Frauenhandels werden Waffen für die UÇK finanziert.
Würden die humanitären Begründungen für die Militärintervention zutreffen, ginge es den Verantwortlichen tatsächlich um den Schutz der Menschen und der Menschenrechte, müßte doch zumindest die Hilfe für die Geflohenen bis hin zur großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen eine Selbstverständlichkeit sein. Doch hier hört anscheinend das humanitäre Gewissen auf. Da der Krieg schon teuer genug ist, bleibt scheinbar nichts mehr übrig, um die Flüchtlinge sicher und menschenwürdig unterzubringen. Dicht gedrängt hocken sie auf Plastikplanen in Zelten oder gar unter freiem Himmel. Retraumatisierungen sind zu befürchten. Von der dringend notwendigen gynäkologischen und therapeutischen Versorgung für vergewaltigte Frauen ist keine Rede. Das Mitleid mit ihnen hat sich offenbar mit den Bombardements erschöpft. Initiativen wie Medica Kosova von Monika Hauser sind wieder auf Spenden angewiesen, um wenigstens eine mobile gynäkologische Ambulanz und gesonderte Zelte zur psychosozialen Betreuung der betroffenen Frauen einrichten zu können. Nur wenn die Luftangriffe sofort gestoppt werden, wird es möglich sein, den Flüchtlingen zu helfen und die Traumata der Vergewaltigungsopfer zu überwinden.
Unsere Autorin ist frauenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Landtag von NRW.
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