Künstler und Kulturwissenschaftler – Eine strapaziöse Beziehung

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Bekanntermaßen haben Künstler einen anderen Zugang zur Welt, als Geistes- und Kulturwissenschaftler. Während Künstler als aktive Produzenten Werke erschaffen, sich kreativ ausdrücken und somit der Welt „etwas zu bieten haben“, versuchen die Kunstrezipienten (insbesondere professionelle Geistes- und Kulturwissenschaftler) die Masse der Werke aufzunehmen,zu ordnen und zu verstehen. Der analysierende Wissenschaftler gerät dabei bisweilen in die Position eines Bittstellers, der krampfhaft um ein Verstehen kämpft, wo der Künstler einen Sinn gar nicht beabsichtigt hat. Ein ständiges sich Missverstehen, Über- und Fehlinterpretationen sind die Folge. Die Beziehung zwischen Künstlern und Kulturwissenschaftlern gleicht einer schlecht laufenden Standardbeziehung nach den ersten sechs Monaten. (Die Phase der Resignation - Aber ohne die sonst so typische Desillusionierung, das „Erkennen des Anderen“ bleibt aus.) Wenn die Kulturwissenschaftler keinen Zugang zu den Künstlern haben, beziehungsweise deren Aussagen misstrauen, kann es auch zu einer Entmündigung derselben kommen. (Wer hierfür ein Beispiel kennenlernen möchte, befasse sich mit der Sekundärliteratur zu Else Lasker-Schüler.) Im Feld der Kultur findet demnach ein Kampf um die Deutungshoheit statt, wenn man jedoch davon ausgeht, dass der Autor tot ist, beziehungsweise wir alle nur aus intertextuellen Textverlinkungen bestehen, dann hat ein Autor eh nicht mehr viel zu melden. In der Bildenden Kunst sieht es wieder anders aus. Zum Beispiel hat der österreichische Künstler, Michi Schneider, ein Bild gemalt, welches seine Mutter zeigt, aus deren Hand ein Käfer entfliegt. Er wollte „einfach nur einen Käfer malen“. Während ein Biologe das vermutlich sofort verstehen und anerkennen würde, sieht der GeisteswissenschaftlerAnspielungen zu Kafka in dem Bild. Ergo – der Biologe versteht mehr von Kunst, als der Geisteswissenschaftler. Der Geisteswissenschaftler muss sich aber auch vor seinen eigenen Kollegen behaupten, deshalb muss die Bemerkung mit Kafka angebracht werden. Während Kunstgeschichtler sich über Erläuterungen zu abstrakter Malerei freuen, rütteln die Maler nur den Kopf: Das ist doch gar nicht die Ebene, auf der sie wirken wollen! Da hätten sie doch kein Bild malen brauchen. Da hätten sie doch gleich einen Text schreiben können! Es ist wahrlich für alle beteiligten Seiten ein anstrengendes Verhältnis… Ich habe auch schon einige eigenartige Begegnungen mit Autoren gehabt. So fasste ich mir im Rahmen des Literaturfestivals ein Herz und schritt auf einen mir bekannten Autor zu. Er hatte während der Veranstaltung ständig beklagt, dass niemand alle seine Werke gelesen hätte. Ich dachte: „Jetzt kommt meine Super-Frage!“ und fragte ihn, ob er in einem seiner Romane die Theorien von Sartre verarbeite. Darauf antwortete er: „Wir sind alle von Sartre beeinflusst.“ Ende der Debatte. Ein Gespräch mit einem Autor hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Daraus ergibt sich die Frage, ob sich Nichtkünstler und Nichtproduzenten überhaupt noch mit Kunst auseinandersetzen und sich zu ihr äußern sollten. Viele Künstler würden vielleicht ruhigen Herzens mit „Nein“ antworten. Aber ich würde trotz allem für eine Fortsetzung der Kommunikationsprobleme plädieren, zudem es gibt schließlich Beispiele für die Vereinbarkeit von Theorie und Praxis. So sei auf J.M. Coetzee verwiesen, der zugleich ein brillanter Autor, Linguist und Literaturwissenschaftler ist sowie auf hohem theoretischen Niveau schreibt.

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Geschrieben von

Jovan

Ein schönes Jahr 2013 an alle!

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