American Dream

Alptraum Theodora Bauer erzählt in "Chikago" vom Elend weißer Migranten in den USA der 1920er Jahre

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Theodora Bauer schreibt mit einem kühlen ironischen Blick
Theodora Bauer schreibt mit einem kühlen ironischen Blick

Foto: Theodora Bauer

Die in Wien geborene Autorin Theodora Bauer, erzählt in ihrem wunderbaren zweiten Roman von kleinen Leuten, die in den USA der Zwanziger Jahre ihr Glück suchen. Die Protagonisten, eine Familie aus dem Hinterland Österreichs, sind jedoch keine aktiven und motivierten Abenteurer, die ihren American Dream verwirklichen, sondern einfache Menschen - vom Elend getrieben.

Überleben ohne Vision

Feri, Katica und Anica gestalten nicht ihr Schicksal, sondern das Schicksal geht auf sie hernieder ohne Erbarmen. Mit großen Augen versuchen die Drei, den Herausforderungen des Lebens gerecht zu werden: dem Leben auf einem anderen Kontinent, der Geburt eines Kindes, den Herausforderungen der Arbeitssuche und der Sicherung des täglichen Überlebens….jedoch nie bekommen die Figuren Kontrolle über das, was mit ihnen passiert und nahezu schlafwandlerisch tapsen sie von einer Überforderung in die nächste. Es ist nicht so, dass sie Herausragendes leisten müssten, obwohl sie in der Tat in schwierigen und unbarmherzigen Zeiten leben. In den USA herrschen soziale Kälte und prekarisierende Arbeitsverhältnisse vor, in Europa etabliert sich der Faschismus. Die Figuren des Romans werden aber nicht mit dem Leben fertig, teils haben sie einfach keine Lust, teils keine Einsicht. Nur Anica schafft es, einen Blick für die wichtigen Dinge zu bewahren und versucht vergeblich, ihre Verwandten vor dem stetig selbst verschuldeten Unheil zu schützen. Gegen die Trotteligkeit ihrer Familie ist sie jedoch machtlos und so wundert es den Leser fast nicht mehr, dass sogar Morde versehentlich geschehen. Selbst die liebsten Menschen werden aus situativen Fehleinschätzungen heraus umgebracht und eh man sich versieht ist eine erneute Flucht nötig.

Ein Rest Hoffnung

Die Autorin schreibt mit einem kühlen ironischen Blick, der die Figuren sich selbst charakterisieren lässt. – Oft weiß man nicht, ob man weinen oder lachen soll über die schwierigen Situationen, in die sich die Protagonisten manövrieren. Besonders gut gelingt es Theodora Bauer Atmosphäre zu transportieren, in diesem Roman selbstverständlich vor allem die Atmosphäre der Verzweiflung. Der Leser hofft für die Figuren, wünscht ihnen das Beste, eine Erleichterung, ein Licht am Ende des Wegs. Ob sich dieses Licht einstellt, soll an dieser Stelle jedoch nicht verraten werden.

„Chikago“

von Theodora Bauer

Picus Verlag Wien

255 Seiten

ISBN 978-3-7117-2052-8

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden