Wie hilft man sich, wenn man mit dem Küchen-Latein am Ende ist? Keine Frage, man googelt das Problem (häufigste Variante) oder man begibt sich auf die Suche nach einem Experten, der in der anliegenden Frage weiterhelfen kann. Erst kürzlich publizierte die Büchergilde einen Sammelband zur Thematik des Expertentums, mit dem schönen Titel: „Auf dem Markt der Experten – zwischen Überforderung und Vielfalt“ – An dieser Stelle deutet sich schon eine erste Problematik des Expertentums an, es gibt zu viele und man weiß nicht, welcher Experte wirklich gut ist. Die Herausgeber, Studierende der Freien Universität zu Berlin, begaben sich daher ins Gespräch mit Wissenschaftlern und Künstlern, um den Begriff des Experten dingfest zu machen.
Viele spannende Dinge kann man hier erfahren, zum Beispiel begann die Expertiseforschung, laut Harald A. Mieg in den zwanziger Jahren mit Untersuchungen zum Schachspiel. Diese Untersuchungen zeigten, dass Experten kein besseres Gedächtnis als „normale Menschen“ haben. Aufgrund ihrer angesammelten Erfahrung und ihres Spezialwissens erfassen Experten Probleme ihres Fachs in ihren spezifischen Konstellationen schneller und besser. Sie sehen die relevanten Sinnzusammenhänge, anstelle von Einzelpositionen. So merkten sich Schachmeister die Partien in Schachzügen, anstatt sich einzelne Figuren einzuprägen. Später definierten William G. Chase und Herbert A. Simon diese Sinnkomplexe als sogenannte „Chunks“.
Kein Hans in allen Gassen
Experten zeichnen sich durch Bereichsspezifität aus. Im Gegensatz zum Intellektuellen, der sich in der Öffentlichkeit über alles und jeden äußern kann, weil er komplexe Zusammenhänge erkennen und anprangern will, bescheidet sich der Experte auf sein Spezialgebiet. Die bewundernswerte Fähigkeit der geistigen Transferleistungen lässt den Intellektuellen attraktiver erscheinen als den Experten, der eben einfach beschränkter daherkommt. Neben dem Intellektuellen wirkt der Experte kleinkariert, obwohl er seine Berechtigung hat.
Doch wie wird man Experte? Laut Mieg gilt die Zehnjahres-Regel. Zehnjährige intensive Beschäftigung mit einem Thema und gesammelte Erfahrungen auf dem spezifischen Gebiet, sowie die stetige Hinzugewinnung weiteren Wissens ebnet den Weg zum Expertentum. Jedoch ist dies kein Ritterschlag für Langzeitstudierende, hinzu kommt das Kriterium, dass man zu den besten zehn Prozent des Feldes gehören muss. Warum eigentlich zehn Jahre? Wenn man bedenkt, dass ein durchschnittliches Masterstudium fünf Jahre dauert, fühlt man sich als Leser deprimiert. War das Studium umsonst?
Als Trost hilft hier das Konzept der „relativen Expertise“. Nach dem Motto „Unter den Blinden ist der Einäugige König“ kann man im Kreise Nichtwissender immer noch den Status eines Experten einnehmen – sofern gewünscht und vom Umfeld akzeptiert. Expertentum erfolgt also auch durch die Zuschreibung von außen, und ist gewissermaßen flüchtig. Kaum bewegt sich der relative Experte in ein anderes Umfeld, kann er auf den Status des Fortgeschrittenen (laut Buch nach drei Jahren erreicht, somit dem Bachelor entsprechend) herabsinken. Das Ringen um die Rolle als Experte ist also auch ein ständiger Kampf um Selbstbehauptung.
Das anonyme Internet wird nicht siegen
Werden Experten überhaupt gebraucht? In Zeiten der Unsicherheit besteht ein großer Bedarf an Expertentum. Im Gegensatz zur Antwortsuche im Internet übernimmt der Experte für seine Aussagen Verantwortung. Das heißt, das von Ihm verkündete Wissen ist an sein Gesicht, an seine Person gekoppelt. Daher werden Experten niemals von der anonymen Wissensmasse des Internets ersetzt werden.
Vor einigen Jahren leitete Dr. Michael Angele ein Seminar zu Besserwissern, Intellektuellen und Experten. Einschneidend war, dass keiner der Studierenden der Neueren deutschen Literatur damals wusste, wer aktuell Kultursenator war. Aber damals standen wir halt noch am Beginn unseres Expertendaseins.
Auf dem Markt der Experten
Herausgeber: Julia Bierstedt, Alexander Binder, Marc Dieke, Nina Flaig, Sophie Gottschall, Antonella Grippa, Friederike Hintze, Charlotte Kirstein, Marie Kruttmann, Eva Philippi, Carolin Schmidt, Ruben Pfizenmaier
Illustrationen: Malte Grabsch
Edition Büchergilde
2016, 204 Seiten
ISBN: 978-3-86406-064-9
Kommentare 11
Sehr interessant! Vor allem der Begriff "relativer Experte", der ja wohl auf die meisten so genannten TV-Experten zutrifft. (Und ich hoffe, dass ich damals wusste, wer damals der Berliner Kultursenator war..Flierl?.)
Die Definitionen des Experten und des Intellektuellen lassen mich ahnen, warum die "Intellektuellenbeschimpfung" weiter verbreitet ist als die "Expertenbeschimpfung". Der Intellektuelle wirkt auf den Wenigerwisser anmaßender als der Experte. Eben wie ein Besserwisser.
Jacques Ellul bezeichnete den Intellektuellen (laut Wiedergabe Konrad Kellens, 1965, Vorwort S. vi) als denjenigen Menschen, der besonders auf Propaganda angewiesen sei: er absorbiere die größte (unüberprüfbare) Menge von Informationen aus zweiter Hand, es bestehe für ihn die Notwendigkeit, zu jeder wichtigen Frage der Zeit eine Meinung zu haben, und er traue sich die Fähigkeit zu, selbst urteilen zu können.
Es muss schon eine Weile her sein, denn seit geraumer Zeit gibt es ja den Kultursenator gar nicht mehr. Abgeschafft hat ihn 2006 Klaus Wowereit, der die Kultur auf sich vereinen wollte. Ob es einen neuen Kultursenator geben wird, ist in der Diskussion.
Es stimmt, der letzte wirkliche Kultursenator war wohl Thomas Flierl.
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/plotzlich-ist-er-da
Wozu braucht man zu wissen wie der aktuelle Kulturkapser heisst?
Wozu braucht man zu wissen wie der aktuelle Kulturkapser heisst?
Wenn Sie vor 2006 keine neuere deutsche Literatur studierten, müssen Sie das nicht wissen.
Aber ich sag' mal so: →wer längerfristig →in Deutschland →lebt, sollte →sich um →die Sprache →bemühen.
Der einzige und echte "Experte für eh alles", heißt Günther „Gunkl“ Paal. Leider ließ er sich, wie sein kongenialer Befrager, Alfred Dorfer, ins Reich der medial schweigenden Experten versetzen. - Wir wissen nicht, ob es an den drängenden Fragen lag oder weil eh alles Wurst ist.
Allerdings ist davon auszugehen, dass auch dieser Experte sich nicht an die Namen von Kulturdezernenten, -Senatoren oder -Minister erinnern kann, es sei denn, sie taten der Kultur und Wissenschaft einen Tort an oder aber, verbesserten deren Stellung und Ansehen in der breiten Öffentlichkeit.
In Mainz starb jetzt eine der legendären Perönlichkeiten in diesem demokratischen Beruf, Anton Maria Keim. Den Namen dürften sich Literatur- und Kulturwissenschaftler, wie alle angehenden kulturpolitischen Experten, schon einmal merken.
Dass PolitikerInnen gute Exekutive für Kultur werden können oder es bereits sind, wenn sie ins Amt hineingeboren werden, ist eher weniger wahrscheinlich. Zu oft, für die Hauptstadt galt das zuletzt ganz besonders, ist das Amt ein Verschiebebahnhof für Ansprüche und Koalitionsrücksichten, und zu oft wechseln die Persoenn die Fächer, nach der Maßgabe der Wahlausgänge und dem Willen ihrer Chefs.
Es gehört also nicht nur Wissen, Leidenschaft und Willen zum politischen Experten für Kultur dazu, sondern auch ein gehörgiges Päckchen Glück der Umstände, um Kontinuität herzustellen und durchdachte Pläne sicher durch die Jahre zu bringen.
Die junge ExpertIn, kann es also, folgt man ihrer Rezension, Frau Mohrmann, nur höchst selten geben.
Mir fällt gerade noch ein Rheinland- Pfälzer ein, der als Experte für festgefahrene Diskurskulturen (Moderator, Mediator), mehrfach, auch in höchstem Alter, engagiert wurde: Heiner Geißler.
Der war darin so gut, dass er ein fatales Milliarden Euro- Projekt, Stuttgart 21, trotz der erkannten Leistungsmängel und überzogenen Kostenpläne, gesellschaftsfähig und wählbar werden ließ.
Eine Gattung unbedingt nötiger, literarischer Experten, sollte vielleicht einmal mehr gelobt werden. Die Lektoren und Dramaturgen an der Publikations- und Aufführungsfront. Sie arbeiten meist still, unbekannt und unerkannt. Aber sie haben es, im Guten, wie im Schlechten, in der Hand, wieviel Qualität am Ende in der Produktion steckt.
Zum Vergleich: Die Kuratoren der Kunst, entwickelten sich zu Entrepreneurs und Impresarios, denen mittlerweile die Künstler dienen, und die Intendanten wurden zu Chefs und häufig auch zu Berufsgrantlern, die sich nur uneinheitlich durch üppige Gehälter kalmieren lassen.
Beste Grüße
Christoph Leusch
Ich bin total gegen den Sprachnaziquatsch, jeder soll so reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und keiner braucht zu wissen, wie gerade die Leute heißen, die Ämter ausfüllen.
Das ist mir strukturell zu autoritär gedacht.
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie es wußten. Ich weiß nur, dass Sie über die Studierenden erschüttert waren.
Ich stimme Ihnen zu, allerdings ist es in manchen Branchen günstiger, wenn man das Feld kennt...
Nein, es war definitiv nach 2006...
Jetzt wird klar, weshalb niemand den Namen kannte! Voilà!