Berlin als Falle

Literatur Die Kamerunerin Priscillia Manjoh promoviert in Berlin, gerade hat sie ihren ersten Roman namens "Snare" veröffentlicht

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Berlin als Falle

Foto: Mario Tama/ AFP/ Getty Images

In deinem Buch Snare geht es um afrikanische Migranten in Berlin, wurdest du bezüglich des Themas durch die aktuellen Proteste am Brandenburger Tor und am Oranienplatz dazu inspiriert?

Nein gar nicht, ich habe schon vor ein paar Jahren begonnen, an dem Roman zu arbeiten. Eigentlich war der Text als ein Filmdrehbuch gedacht. Ich dachte mit Filmen mehr Leute erreichen zu können. Aber leider hat die Realisierung aus finanziellen Gründen bisher noch nicht geklappt. Danach habe ich zwei weitere Filmdrehbücher geschrieben, „Sucki“ und „The African Remote Controll“. Sucki wird gerade filmisch realisiert, aber für Sare habe ich noch keinen Produzenten gefunden. Daher habe ich mir einfach vorgenommen, Snare zu einem Roman umzuschreiben. Es war vielleicht Glück, dass der Film nicht produziert wurde, es würde ja nicht viel Sinn machen, einen Film in einen Roman umzuschreiben.

Bestimmt haben sich viele Änderungen ergeben, als du das Filmskript zu einem Roman umgeschrieben hast?

Auf jeden Fall! Der Roman lässt einem viel mehr Platz und Zeit um die Geschichte zu entwickeln! Man muss sich natürlich auch nicht den Kopf zerbrechen, wegen technischer Fragen bezüglich der visuellen Umsetzung usw.Als ich den Roman schrieb, hatte ich das Gefühl richtig aus mir heraus gehen zu können.

Ist Snare ein autobiographischer Roman?

Ich würde nicht sagen, dass es ein autobiographischer Roman ist. Ich würde sagen, es ist ein Roman über eine gesellschaftliche Gruppe zu der ich zähle. Es ist aber kein Roman über mich oder irgendeine spezielle Person, die ich kenne.

Aber vielleicht hast Du schon ein paar eigene Erfahrungen eingebracht?

Der Blick eines Autors auf die Gesellschaft kommt natürlich nicht aus einem Vakuum. Ich verstehe mich als Beobachterin der Gesellschaft und versuche, die Gesellschaft so genau wie möglich zu beschreiben. Gleichzeitig versuche ich jedoch, für meine Beobachtungen und Gedanken schöne Metaphern zu finden, d.h. die Leser sollen auch einen Interpretationsfreiraum haben. Ich glaube, dass afrikanische Leser sich mit dem einen oder anderen Aspekt in meinem Roman identifizieren können, sich oder ihre Erfahrungen darin wiedererkennen. Trotzdem sind die Geschehnisse in dem Roman frei erfunden. Snare erzählt von der Liebesgeschichte zwischen Jerry und Pamela, zwei kamerunischen Studenten, die in Berlin leben. In dem Roman wollte ich darstellen, wie Globalisierung unsere Leben verändert. Jerry und Pamela bilden den Mittelpunkt des Erzählens und um sie herum passiert natürlich noch viel mehr.

Ist es nicht eher eine Anti-Liebesgeschichte, die erzählt wird? Die Beziehung zwischen Jerry und Pamela verläuft tragisch, die Beziehungen zwischen Deutschen und Afrikanern werden aber auch nicht gerade als „romantisch“ oder „erfüllt“ dargestellt. Meinst du, dass das Konzept der romantischen Liebe jetzt völlig am Ende ist und Ehen und Partnerschaften nur noch aus finanziellen und bürokratischen Gründen geführt werden?

Ich denke die Romanfiguren hatten nicht von Beginn an den Plan, aus praktischen Gründen Beziehungen einzugehen. Einige haben möglicherweise ihre Partner in Kamerun zurückgelassen, in der Hoffnung sie später nach Deutschland nachzuholen. Sie können dieses Ziel jedoch niemals realisieren, weil das Europa welches sie vorfinden, ein anderes ist, als sie erwartet hatten. Erst diese Realität zwingt sie zu diesen Zweckbeziehungen oder prägt sie in bestimmter Weise. Ich sehe diese Entscheidungen als Effekte der Umgebung auf das Individuum. Vielleicht funktionieren die interkulturellen Beziehungen in meinem Roman auch nicht, weil die kulturellen Unterschiede zu stark sind, bzw. die Partner sich nicht wirklich kennenlernen. Die Gesellschaften müssen sich zudem erst weiterentwickeln, um toleranter gegenüber interkulturellen Beziehungen zu werden. Vielleicht liegt es auch an dem Bildungsgrad der involvierten Figuren. Den „Anderen“ in der Gesellschaft kennenzulernen, das wäre wichtig - um mit Spivak zu sprechen. Pamela verfolgt aber ein Beziehungskonzept, das viele junge Mädchen im Kamerun der neunziger Jahre praktizierten. Ich weiß nicht, ob das immer noch aktuell ist. Damals hatten viele junge Frauen einen älteren Herren als „Sugar Daddy“ und zusätzlich einen wirklichen Freund. Dieses Beziehungskonzept hatte materialistische Ursachen, konnte aber trotzdem emotional authentisch untermauert sein. Obwohl nahezu alle Liebesszenen in dem Roman in pessimistischer Weise erzählt werden, stehe ich dem als Autorin aber nicht grundsätzlich pessimistisch gegenüber. Es gibt ja auch Figuren wie Akwi und Nji, bei denen die Beziehung funktioniert. Eigentlich würde ich auch lieber über meine Visionen in dieser Hinsicht sprechen, denn Literatur bedeutet ja auch, den Wunsch nach Veränderung zu äußern. Ich glaube zum Beispiel, dass die deutsche Gesellschaft schon viel offener gegenüber interkulturellen Paaren geworden ist.

Du hattest mir erzählt, dass du den Roman als eine Art Warnung verstehst?

Das Buch könnte die Augen öffnen für Menschen, die sich wünschen in den Westen zu kommen bzw. nach Europa. Ich will eigentlich unrealistischen Vorstellungen über das Leben in der Migration entgegenwirken. Mein Roman ist daher insbesondere an junge Menschen gerichtet, an afrikanische Jugendliche, die möglicherweise Ambitionen haben, ins Ausland zu gehen. Ich bin der Meinung, dass sie die Realität der Umstände kennen sollten, so dass sie wählen können. Ich will ihnen natürlich nicht verbieten zu reisen, aber sie sollten wissen, wohin sie gehen und worauf sie sich einlassen. Sie sollten nicht denken, dass sie in Europa ein Bett aus Rosen erwartet. Die Leute, welche aus Europa nach Afrika zurückkehren, erzählen meistens nur die positiven Dinge, präsentieren ihre schönen Autos usw., das ist sicher menschlich, niemand möchte Negatives berichten, aber bei den Jugendlichen entsteht ein falsches Bild von Europa. Ich bin der Überzeugung, dass man genau wissen sollte, was man will, bevor man nach Europa geht. Wenn man das nicht weiß, sollte man besser nicht herkommen. Ich habe schon oft Bekannte klagen gehört: Wenn sie gewusst hätten, wie es hier ist, wären sie nicht gekommen.

Und wie war es für dich selbst? Hast du auch so etwas wie einen Kulturschock erlebt oder eine große Desillusionierung?

Ich habe gemerkt, dass die Person, welche dich in die neue Gesellschaft einführt ziemlich ausschlaggebend ist. Ich persönlich hatte das Gefühl, dass ich jemanden brauchte, der mir die Wege und Möglichkeiten in dieser Gesellschaft zeigte. In meinem Fall war es meine Tante. Sie lebt hier und arbeitet am Flughafen Tegel.

Sie konnte dir also helfen hier in dieser Gesellschaft nicht verloren zu gehen?

Genau. Und es macht viel aus, was die Person, die dich in die Gesellschaft einführt, dir über diese Gesellschaft erzählt. Meine Tante als Arbeiterin war natürlich nicht so sehr informiert über die Bedingungen an der Universität und das Leben als Student. Sie hat mich mit Leuten aus meinem Land in Kontakt gebracht, aber das waren ebenfalls keine Studenten. Die Leute haben mich dann eher zum Arbeiten motiviert, als zum Studieren und ich habe einige Personen kennengelernt, die ihr Studium für die Arbeit aufgegeben haben. Das Studium unter diesen Bedingungen nicht aufzugeben, ist eine Herausforderung.

Aber man ist natürlich schon privilegiert als Student!

Ja, schon, aber erst, wenn man die Sprache lernen und sich Zugang zu dieser Gesellschaft verschaffen konnte. Möglicherweise hat man Privilegien, aber man weiß gar nichts davon, gerade wegen dem Sprachproblem. Ein Student, der die Sprache nicht versteht und keinen guten Berater hat, wird nicht wissen, dass er Zugang zu Dingen, wie zum Beispiel Studien-Darlehen hat. Die Sprachproblematik ist ein wichtiger Aspekt, den ich deshalb auch in Snare thematisiere.

Die Figuren sind zum großen Teil Studenten…

Einige ja, andere nicht. Bei einigen ändert sich die Situation auch aufgrund der Umstände, die Identitäten verändern sich. Das liegt zum Teil daran, dass sie den Ort gewechselt haben, ohne ihn zu kennen. Ich glaube nicht, dass das Studium an einem anderen Ort den Studenten immer die Möglichkeit bietet, ihr Bestes zu leisten. Von Ihrem Anspruch her wollen viele der Studenten einerseits einen guten akademischen Abschluss schaffen, andererseits ihre Familien zu Hause finanziell unterstützen. Aufgrund der zahlreichen Herausforderungen, die sie im Ausland erwarten, können sie diesem Anspruch oftmals nicht gerecht werden.

Als ich herkam, ich bin die älteste Tochter in meiner Familie, verkündete mein Bruder gleich, dass er auch nach Deutschland kommen wolle. Als ich sechs Monate in Deutschland war, schrieb ich ihm einen Brief, dass er nicht kommen solle, denn er hatte in Kamerun einen guten Job als Buchhalter.

Also war er glücklich dort.

Nein! Er war nicht zufrieden, er wollte trotzdem weg, den Job aufgeben und herkommen. Meine Mutter bettelte er sollte bleiben, er lehnte ab. Mein Vater versuchte ihn zu überreden, er solle dort bleiben, weil schon seine Schwester fort sei. Mein Bruder wollte nicht bleiben! Bis ich ihm schrieb, er solle seinen Job weitermachen und nur für die Ferien herkommen. Meine Mutter hat sich für diesen Brief bei mir bedankt! Und jetzt hat er eine sehr hohe Position in diesem Unternehmen.

Demnach hattest du auch viele negative Erlebnisse in Berlin?

Ich habe einfach die Realität kennengelernt und mir wurde klar, dass sie anders war als die Geschichten, die uns zu Hause von dem Leben hier erzählt wurden.

Eine Sache war zum Beispiel, dass die Person, welche für mich eine Sprachschule in Berlin aussuchen sollte, das Geld einbehielt, welches für die Bezahlung des Sprachkurses gedacht war. So konnte ich dann nur zu Hause sitzen, untätig. In Langerweile und Unsicherheit. Daher begann ich mich zu fragen, ob es eine gute Entscheidung sei, einen Job in Kamerun aufzugeben um hier zu leben. Den Sprachkurs musste man machen, bevor man die Uni besuchen konnte. Ich konnte den Kurs dann später nachholen, aber diese Dinge dauerten viel länger als geplant.

Hattest du auch negative Erfahrungen mit Deutschen?

Ja schon, mit Skinheads. Mein Cousin, der in Berlin lebt, hatte versucht mir diese Leute vorher zu beschreiben. Kurze Haare und eine bestimmte Art von Schuhen. Er hatte mir gesagt, ich sollte diesen Leuten aus dem Weg gehen und ihnen nicht antworten, falls sie mich ansprächen. Eines Tages wollte ich mit Freunden von Lichtenberg aus verreisen. Oben auf dem Bahnsteig standen Jugendliche und warfen Bananenschalen auf uns. Meine Freunde meinten, wir sollten nicht antworten und es vermeiden sie zu provozieren. Wir bewegten uns langsam weg und taten so, als hätten wir es nicht gemerkt, wir sind dann an einer anderen Stelle in den Zug eingestiegen. Solche Dinge sind mir passiert und ich habe mich natürlich nicht willkommen gefühlt. Ich versuche in solchen Situationen immer zu verstehen, warum sie passieren. Ich habe mich in solchen Momenten sehr unsicher gefühlt. Es gab eine weitere Situation, die mir auf einem Bahnhof passiert ist. Das war in Potsdam Golm, wo mein Institut war. Ich hatte einen späten Kurs besucht, der gegen fünf oder sechs endete und war also erst recht spät am Bahnsteig. Dort sah ich zwei junge Männer in Armeekleidung. Sie begannen mich anzusprechen, riefen mir Ausdrücke hinterher. Dann sagten sie „Willkommen an der Uni“, weil sie dachten, ich würde Unis nicht kennen. Ich habe sie einfach ignoriert. Um mich herum standen Studenten und Leute und hörten zu. Niemand sagte etwas! Sie waren alle ganz still! Ich war selber leise und tat so, als würden sie nicht mit mir sprechen. Das hat für mich dazu geführt, dass ich späte Kurse an der Uni nicht mehr besucht habe, insbesondere im Winter.

Aber in Berlin fühlst du dich abends sicher?

Sagen wir es so, ich fühle mich sicher, aber ich bevorzuge es mit einer Gruppe auszugehen, mit ein paar männlichen Personen an der Seite. Ich habe immer versucht Leute zu finden, die den gleichen Weg haben. Ich wurde sogar schon in der Storkower Straße attackiert. Zwei Jugendliche hatten Flaschen in der Hand und zerwarfen sie neben mir auf der Erde.

Kommen derartige Dinge auch in deinem Roman vor?

Ich versuche, bestimmte Formen von Diskriminierung zu portraitieren. Erfahrungen, die diese Studenten davon abhalten, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Wie hast Du mit dem Schreiben begonnen?

Schon in der Grundschule liebte ich es zu schreiben. Ich bin freiwillig mit meinen Cousins ein Jahr früher zur Schule gegangen, weil ich keine Lust hatte zu Hause zu sitzen. Es gab dann einen speziellen Moment, der mich zum Schreiben brachte. Wir nutzten in Kamerun im Unterricht einen Reader, der Geschichten enthielt. Eines Tages hatten wir Fabeln gelesen und unser Lehrer forderte uns auf, eine ähnliche Geschichte zu verfassen. Das habe ich dann getan. Daraufhin war mein Lehrer so beeindruckt, dass er jedem erzählte, ich hätte eine wunderbare Fabel geschrieben. Dieser Lehrer hat mich dann sehr zum Schreiben motiviert.

Lag es daran, dass er deinen Stil mochte oder an der Handlung, die du erfunden hattest?

Ich glaube, er war nur überrascht, dass ich die Aufgabenstellung wirklich verstanden und eine echte Fabel geschrieben hatte. Das hatte er nicht erwartet, ich war damals gerade neun Jahre alt.

Hattest du auch Schreibkurse in der Schule à la „Kreatives Schreiben“ usw.?

Als Schulfach, nein! Ich schreibe nicht nach festen Regeln, ich genieße eher die Freiheit ohne Regeln zu schreiben. Oft weiß ich vorher nicht, in welche Richtung sich meine Geschichten und Charaktere entwickeln. Ich lasse dann die Figuren sich entwickeln und beobachte sie dabei. Ich erlaube den Charakteren zu reifen. Manchmal sitze ich in diesen Momenten vor dem Computer und lache ununterbrochen.

Snare ist in englischer Sprach bei Miraclaire Publishing erschienen.

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