Freuds Widmung

Vergangenheit Ein italienischer Forscher geht in seinem Buch der Frage nach, wie nah sich Sigmund Freud und Benito Mussolini standen

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Sigmund Freud: Wie war sein Verhältnis zu Benito Mussolini?
Sigmund Freud: Wie war sein Verhältnis zu Benito Mussolini?

Bild: AFP/Getty Images

Der Historiker Roberto Zapperi publizierte kürzlich im Berenberg Verlag eine Studie zum Verhältnis zwischen Sigmund Freud und Benito Mussolini. Anlass hierzu gab ihm eine schriftliche Widmung Freuds an Mussolini, in der Freud den italienischen Machthaber schmeichelnd als „Kultur-Heros“ bezeichnet. Die Befürchtung, dass Freud Sympathien für Mussolini hegte, wird mit dieser detaillierten Studie jedoch in schnellen Schritten widerlegt.

Zapperi deckt schrittweise auf, wie es zur Entstehung der Widmung kam, zu der Freud von Personen, die Mussolini nahestanden, eher genötigt wurde, als dass er sie aus freien Stücken verfasst hätte. Zudem hatte Freud die Widmung in das Buch „Warum Krieg? Ein Briefwechsel“ geschrieben. Dass Freud gerade seinen publizierten Briefwechsel mit dem Pazifisten Albert Einstein zur Widmung an Mussolini auswählte, ist sicherlich als bewusst gewählte Entscheidung und Hinweis an Mussolini zu deuten. Nachdem Zapperi überraschender Weise schon im ersten Kapitel seines Werkes die Ausgangsfrage (Wie und warum kam es zu der Widmung?) geklärt hat, widmet er sich einem weiter gefassten Thema, nämlich der Situation italienischer Psychoanalytiker in der Zeit des Faschismus. (Insofern ist der Titel des Buches etwas irreführend gewählt, da es den Anschein erweckt, als würde es sich sehr tiefgehend nur um diese beiden Figuren drehen, wohingegen das Buch vielmehr das größere Netzwerk aus Personen der Kultur- und Psychologenszene und ihre jeweiligen Verstrickungen beschreibt.)

Die Psychoanalyse ist zu dieser Zeit in Italien nur wenig bekannt oder anerkannt, gleichwohl werden den praktizierenden Vertretern von der Verwaltung und der Polizei Steine in den Weg gelegt. Teilweise erscheinen die Schikanen lächerlich, wie zum Beispiel das Verbot für italienische Psychoanalytiker, von der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung aufgenommen zu werden. Nicht wenige Psychoanalytiker mussten Italien später aufgrund ihres jüdischen Hintergrundes verlassen. Auch Freud selbst wurde von der italienischen Polizei streckenweise mit Haftbefehl gesucht. Der schon an Krebs erkrankte Erfinder der Psychoanalyse wusste jedoch nichts davon und bedauerte zeitgleich in Briefen an den Psychoanalytiker Edoardo Weiss, nicht wie sonst den September in Rom verbringen zu können.

Neben dem Blick auf die italienische Szene der Psychoanalyse beleuchtet Zapperi zudem Mussolinis künstlerische Ambitionen und seine eigenartigen Verbindungen mit Dichtern und Theaterautoren, über die sich wiederum Verbindungen zu Psychoanalytikern ergaben. Dabei wird deutlich, wie wenig das Menschenbild des Faschismus mit der Konzeption des Menschen in der Psychoanalyse zu vereinbaren ist. Vielmehr stehen sich beide Konzepte diametral gegenüber.

Die in der Psychoanalyse vorausgesetzte Feinheit des Individuums mit seiner besonderen persönlichen Geschichte, das genaue Zuhören in der psychoanalytischen Sitzung und der Ansatz, den Erlebnissen des persönlichen Werdegangs eine große Bedeutung beizumessen einschließlich der Akzeptanz aller möglicher psychologischer Abgründe – nichts davon passt zu dem Menschenbild, wie es im Faschismus angestrebt und zelebriert wurde.

Hierzu führt Zapperi ein schönes Zitat von Alberto Saviano an: „Das Ende des Faschismus hat unter anderem die Folge gehabt, der Psychoanalyse in Italien die Tür zu öffnen (…) Wenn der Faschismus die Psychoanalyse nie explizit verbot, so deshalb, weil er es nicht nötig hatte, ein Verbot auszusprechen, denn ein Verbot der Psychoanalyse war im Wesen des Faschismus schon enthalten, ebenso wie es auch im Wesen jeder totalitären Organisation enthalten ist. Der totalitäre Staat regelt und verwaltet nicht nur seine psychischen Tätigkeiten, sondern er blockiert sie und bringt sie zum Stillstand, so wie der Pneumothorax die Lunge blockiert und zum Stillstand bringt. Und warum auch soll man die psychischen Tätigkeiten des Individuums in Betrieb lassen, wenn die Ausübung der psychischen Tätigkeit nicht mehr beim Individuum liegt, sondern beim Staat? Damit zeigt das totalitäre Regime, dass es dem Bürger kein persönliches und autonomes psychisches Leben zuerkennt und deshalb die Psychoanalyse anfeindet, die dagegen beweist, dass der Mensch selbst die nötigen Elemente besitzt, um sich in jedem und in allem selbst zu führen, und darum auf die zentrale Autorität verzichten kann und ein Recht auf seine volle Autonomie hat, besonders bei der Ausübung seines psychischen Lebens.“ (Alberto Saviano, „Uomo nuovo“, in: Corriere d‘informazione, 27.-28.Februar 1948)

Freud distanzierte sich naheliegender Weise sowohl von faschistischen als auch von kommunistischen Herrschern und Systemen. Bleibt immer noch die Frage, weshalb er Mussolini als Kultur-Heros bezeichnete. Einerseits ist diese übertrieben wirkende Betitelung vermutlich ironisch-sarkastisch zu verstehen, andererseits betonen andere Deutungen Mussolinis Pflege archäologischer Ausgrabungsstätten, die Freud möglicherweise guthieß und gewissermaßen als kleinsten "gemeinsamen Nenner" positiv hervorheben konnte.

Zapperi widmet sein Buch einem bislang wenig beachteten Thema, weswegen es eine Bereicherung darstellt, wenn man sich für die Geschichte der Psychoanalyse interessiert. Ergänzend hierzu sei die Freud-Biographie von Peter André Alt empfohlen, die kürzlich im C.H. Beck Verlag erschien und eine spannende lebensperspektivische Ergänzung auf Freud zu dem eher politisch-gesellschaftlich fokussierten Freud-Text von Zapperi bildet.

Roberto Zapperi 2016 "Freud und Mussolini" Berenberg Verlag

Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter

157 Seiten, ISBN 978-3-946334-09-5

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