In seinem neuen Buch „Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt“ erzählt Georg von Wallwitz anhand menschlicher Lebensläufe ein Stück Mathematikgeschichte. Der Autor schildert die relevanten Entwicklungen in der Theorie der Mathematik und der Physik, und erklärt diese insbesondere für Nicht-Naturwissenschaftler. Sein Protagonist ist David Hilbert, ein im Jahr 1862 in Königsberg geborener Mathematiker, der später an der Universität Göttingen unterrichtete. Im Feld der Mathematik erreichte er schon zu Lebzeiten den Status einer Pop-Ikone, Hilberts Vorlesungen sollen bis an den Rand mit Zuhörern gefüllt gewesen sein. Berühmt wurde er im Jahr 1900 durch seine Formulierung der 23 großen mathematischen Probleme, die allerdings heute zum großen Teil gelöst sind.
Laut Georg von Wallwitz musste jeder, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den mathematischen Fächern etwas auf sich hielt nach Göttingen, wo neben Hilbert auch die Mathematiker Hermann Minkowski, Carl Runge und der „mathematische Diktator von Göttingen“, Felix Klein, unterrichteten.
Hilbert und sein bester Freund Hermann Minkowski prägten eine ganze Generation von Mathematikern und Physikern, wobei Einstein einer der herausstechendsten Kandidaten war. Einstein arbeitete mit Hilbert zusammen und ließ sich bei seiner Entwicklung der Relativitätstheorie von Hilbert beeinflussen.
David Hilbert setzte sich als einer von wenigen Professoren seiner Zeit auch für Frauen in der Wissenschaft ein. Er unterstützte die hochtalentierte Mathematikerin Emmy Noether und wollte ihr den Schritt zur Habilitation ermöglichen. Hierbei stieß Hilbert auf den Widerspruch der Fakultätsgremien, die sich Frauen auf diesem Feld nicht vorstellen konnten. Nach zahlreichen Bittbriefen und Stellungnahmen explodierte Hilbert in einer der Sitzungen und rief: „Dies ist keine Badeanstalt“, um endlich deutlich zu machen, dass die Habilitationsbefähigung keine Frage des Geschlechts sein sollte. Im Jahr 1919 konnte Emmy Noether sich als erste Frau in Deutschland in der Mathematik habilitieren. Als jüdischer Wissenschaftlerin wurde ihr im Jahr 1933 die Lehrerlaubnis entzogen, woraufhin sie in die USA emigrierte. Dort erhielt sie eine Gastprofessur am Women’s College Bryn Mawr in Pennsylvania.
Hilbert half indessen vielen seiner jüdischen Kollegen eine Beschäftigung im Ausland zu finden. Er selbst blieb in Deutschland und schottete sich soweit wie möglich von jeglichen politischen Vorgängen ab.
Von Wallwitz, der selbst Mathematik und Philosophie studiert hat, erzählt recht amüsant von Pech und Nervenzusammenbrüchen in der Geschichte der Mathematik und verschont die von ihm vorgestellten Persönlichkeiten nicht. Jede menschliche Schwäche wird pointiert hervorgehoben und durch Anekdoten angereichert. Eitelkeiten, Machtgier und Missgunst, aber auch lebenslange Freundschaft und Loyalität werden als nicht unwesentliche Komponenten des akademischen Lebens präsentiert. Wissenschaftliche Streitigkeiten werden versteckt und öffentlich ausgetragen, wobei laut von Wallwitz vor allem letzteres der Popularität gut tun kann.
Georg von Wallwitz
Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt
256 Seiten · Halbleinen · fadengeheftet · 134 x 200 mm
Auch als E-Book erhältlich
3. Auflage, Herbst 2017
ISBN 978-3-946334-24-8
EUR 25,00
Berenberg Verlag
Kommentare 3
Den herausragenden Beitrag David Hilberts zur Entwicklung der Mathematik und Physik zu würdigen und einem interessierten und gebildeten Laienpublikum nahezubringen ist sehr zu begrüßen. Und auch die Beziehungen und das Verhalten der beschriebenen wissenschaftlichen Kreise dürfte für manchen spannend sein. Aber Hilbert steht für noch erheblich mehr. In ihm manifestiert sich ein erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Ansatz, der auch auf die Geisteswissenschaften und die Informatik, auf unser modernes Weltbild und Denken großen Einfluß genommen hat. Aus der Rezension geht leider nicht hervor, ob das angemessen zur Sprache gekommen ist. Ironie der verschlungenen Wege des Erkenntnisfortschritts: Wie im Falle John Bells ergibt sich die bedeutendste Erkenntnis aus Hilberts Überlegungen aus dem Scheitern seines Programms, das freilich die begrenzte, reflektierte Weiterführung nicht obsolet macht.
Hallo Wendemann, besten Dank für Ihren Kommentar. Von Wallwitz erläutert, dass Hilbert die Mathematik durch sein axiomatisches Denken auf eine neue Ebene heben wollte. Spielen Sie darauf an?
Das axiomatische Denken ist für Hilbert das mathematische Denken schlechthin, Hilbert hat sicher wesentlichen Anteil am Siegeszug dieser Auffassung, aber sie hat viele Vorläufer und in der Bourbaki-Schule einflußreiche Mitstreiter. Ich wollte viel allgemeiner den von Cantor und Russell ausgelösten Grundlagenstreit in der Mathematik ansprechen, der mit der Axiomatik zusammenhängt, aber die Grundlagen des Denkens überhaupt, die Reichweite des Formalismus, die Rolle von Idealismus, Realismus und Konstruktivismus im wissenschaftlichen Denken auslotet. Hilbert ist ja ein klassisch-idealistischer Mathematiker, und er ist mit seinem Schüler (wohl auch Freund?) Weyl über den Intuitionismus in Streit geraten. Hilbert hat sich im Wesentlichen durchgesetzt, aber die Auseinandersetzung hat doch wertvolle Erkenntnisse über das Unendliche und das konstruktiv Erreichbare gebracht. Schließlich hat ein klassischer Widerspruchsbeweis, fast wie Münchhausen sich am Schopfe aus dem Sumpf gezogen hat, die Grenzen hinreichend starker formaler Systeme aufgezeigt. Es ist diese philosophische Dimension der Mathematik, die von Hilbert angesprochen wurde und seitdem zu einem unnaiven Denken gehört.