Kulturelles Wissen bewahren

Zeitzeugin Dr. Annekie Joubert wuchs als Weiße im Südafrika der Apartheid auf. Heute unterrichtet sie an der Humboldt-Universität die afrikanische Sprache Nördliches Sotho.

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Dr. Annekie Joubert ist eine elegante, energiegeladene Dame. Neben ihrer Tätigekit als Sprachdozentin forscht sie zu Überlieferungen und kulturellem Wissen der südafrikanischen Nord-Sotho. Dies ist einer ihrer Wege, sich mit der schwierigen Vergangenheit Südafrikas auseinanderzusetzen. Ich möchte gern wissen, wie sie auf diese Vergangenheit schaut...

Als du 1961 geboren wurdest, existierte die Apartheid bereits seit 13 Jahren. Hast du dieses politische System in deiner Kindheit wahrgenommen?

Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass ich dieses System als Kind nicht wahrgenommen habe. Das könnte mit der speziellen Situation zu tun haben, in der ich aufwuchs, auf einer Farm. Diese Farm grenzte an eines der damaligen Homelands. Wir wuchsen daher als Kinder etwas isoliert auf. Bis zu meinem Schulbeginn mit sechs Jahren realisierte ich überhaupt nicht, dass ich in einem Südafrika der Apartheid lebte.

Du konntest Kontakt mit jedermann haben, ohne Probleme?

Ja, die ganze Zeit! Bis ich sechs wurde hatte ich, abgesehen von meiner Familie, ausschließlich mit Schwarzen zu tun.

Sie lebten auf eurer Farm als Angestellte bzw. Arbeiter?

Mein Vater hatte diese Farm von seinem Großvater geerbt, damals lebten auf dieser Farm schon sechzig Familien. Er erbte die Farm gewissermaßen mit den Menschen. Wir hatten aber auch viele Arbeiter, die auf einer Tagesbasis bei uns arbeiteten. Sie wurden mit Trucks von den Nachbarfarmen abgeholt, arbeiteten tagsüber auf der Farm, erhielten einen Lohn und wurden abends zurück gebracht. Später lernte ich erst, dass es sich bei diesen Grundstücken um sogenannte Homelands handelte.

Gab es einen Moment, an dem deine Eltern begannen, mit dir über die Apartheid zu sprechen?

Als ich ein Kind war, wurde eigentlich nie richtig darüber gesprochen. Wir lebten unsere Leben und es war meiner Ansicht nach normal für uns, mit schwarzen Menschen zusammen zu leben. Hautfarbe war für uns kein Thema. Die ganze Problematik des Weiß-Seins oder Schwarz-Seins wurde in unserer Familie nicht erörtert. Erst als ich in die Schule ging, realisierte ich, dass ich auf eine ausschließlich weiße Schule ging, dass es keinen Austausch mehr gab.

Wie gingen die Nachbarn mit ihren Angestellten um? Waren sie ebenso nah mit ihren Angestellten wie deine Familie, oder wart Ihr eine Ausnahme?

Ich denke in diesem Punkt, war unsere Familie etwas speziell. Zum Beispiel konnte keines der weißen Nachbarkinder eine afrikanische Sprache sprechen, abgesehen von Afrikaans. Während es in unserer Familie immer als etwas Positives betrachtet wurde, die Sprache und Kultur der Menschen kennenzulernen, die dich umgeben. Ich denke in dieser Hinsicht spielte meine Mutter eine sehr wichtige Rolle, sie hatte immer diese Metapher, dass man in seinem Leben in einem Haus mit verschiedenen Fenstern lebt. Und du kannst entscheiden, ob du dein ganzes Leben nur aus einem Fenster schauen möchtest, nur eine Sprache und eine Kultur kennenlernen möchtest, oder ob du in diesem Haus umherwandeln möchtest und durch die verschiedenen Fenster deines Hauses blicken möchtest. In dieser Hinsicht inspirierte sie uns und motivierte uns zum Beispiel, Sotho zu lernen und die Sotho-Kultur zu verstehen. Gerade auch, weil wir (meine Schwester und ich) jeden Tag mit ihnen interagierten. Wir sprachen sogar Sotho mit meinen Eltern und den Großeltern.

Bekam deine Familie Probleme mit dem Geheimdienst oder der Polizei wegen dieser Interaktionen?

Nein, nicht wirklich. Unsere Farm war sehr isoliert. Die nächste Polizeistation zu unserer Farm war 30 Kilometer entfernt. Daher bekamen wir keine Sicherheitsprobleme. Das war natürlich ein großer Vorteil für uns, weil wir sehr viel mehr Verständnis für die Leute vor Ort hatten, als andere weiße Farmer.

Ihr wurdet nicht stark kontrolliert?

Nein.

In einem deiner Texte hast du geschrieben, dass es eine Situation an deiner Schule gab, die sehr prägend für dich war. Ein Sotho-Kinderchor musste fünf Kilometer zu eurer Schule laufen, um Lieder vorzusingen. Als deine Schwester und du mit den Kindern auf Sotho sprachen, begannen eure Schulkameraden, euch zu beleidigen.

Das war eine problematische Situation! Für die Kinder der Minenbesitzer und die anderen Farmkinder erschienen wir eigenartig. Das war ein schockierendes Erlebnis für meine Schwester und mich, weil wir anschließend gehänselt wurden. Für mich war das der Beginn einer veränderten Selbstwahrnehmung, seitdem habe ich das Gefühl mich in einem Grenzbereich zu befinden, auf einem Grenzbereich zu leben. Seitdem hatte ich immer das Gefühl, dass ich nicht in die Sparten passe, in die mich Personen einordnen möchten.

Und wie kam es dazu, dass die Sotho dich in ihre Community aufnahmen, dich mit einem Ritual initiierten?

In der Sotho-Tradition ist die Initiation eine geheime Angelegenheit, die man in dieser Weise respektieren muss. Sie ist ein Prozess, der sehr lange währt. Daher kann man nicht sagen, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes initiiert wurde. Wir nahmen an einigen Ritualen teil, aber nicht an allen, wenn wir das gewollt hätten, hätten meine Eltern uns aus der Schule nehmen müssen. Die Initiationsrituale fanden gewöhnlich in den Bergen auf unserer Farm statt und ich wurde gewissermaßen teilweise initiiert.

War es deine Idee, an der Initiation teilzunehmen?

Es gab Druck von Seiten der älteren Damen, welche uns als Teil ihrer Kinder und Enkel betrachteten. Insofern waren sie der Ansicht, dass wir durch das gleiche Ritual gehen sollten, um als wirkliche Frauen wahrgenommen zu werden. Sie fanden es eigenartig, dass wir eine weiße Schule besuchten, aber nicht die Schule des Lebens.

Ich bin verwundert, dass sie trotz der Apartheid so offen waren!

Politische Organisationen wie der ANC oder politische Aufstände wurden bei uns nicht diskutiert. Diese Leute hatten keinen Zugang zu den Medien, sie besaßen kein Radio, sie konnten nicht lesen. Wir hatten keinen Fernseher, in den ersten Jahren meines Lebens hatten wir auch keine Elektrizität. Wir lebten mit Kerzen und einem Generator, der nur abends verwendet wurde. Das erste Mal sah ich fernsehen, als ich an der High School war. Politik spielte in meiner Kindheit keine Rolle, wir arbeiteten und lebten dort und hatten nie wirklich Probleme miteinander. Wir sind ihnen entgegen gekommen, weil wir ihre Sprache und Kultur kennenlernten, nur wenige von ihnen konnten Afrikaans sprechen. Es war auch nicht nötig, weil wir alle Sotho sprechen konnten. Wir spielten mit ihnen, schwammen, gingen in die Felder mit ihnen. Meine Eltern vertraten die Ansicht, dass wir viel von ihnen lernen könnten, über die Natur und das Leben. Ich glaube, dass wir mehr über den Respekt vor dem Leben wussten, als viele andere weiße Kinder, die an unserer Schule waren.

Hattest du das Gefühl, dass deine Eltern unter dem politischen System litten?

Ich denke für diese Frage gibt es zwei Antworten. Als Familie litten sie zwar, aber auf der anderen Seite profitierten alle weiße Menschen in Südafrika von der Apartheid, dass kann man nicht abstreiten. Wir profitierten von diesem System aufgrund unserer Hautfarbe. Als Familie wurden wir oft missverstanden. Durch andere Familien, Nachbarn und die Gemeinschaft, insbesondere meine Mutter. Meine Mutter sagte immer, wäre sie schwarz gewesen, wäre sie definitiv im Gefängnis. Weil sie gegen diese unfairen Regeln protestiert hätte.

Wir haben eine spezielle Konstellation in unserer Familie. Mein Vater kaufte später ein weiteres Stück Land, das neben unserer Farm lag und vorher einem Schotten gehörte. Später stellte er fest, dass auf diesem Stück Land eine Sotho-Frau mit ihrem Sohn lebte. Dieser Sohn musste einen weißen Vater gehabt haben. Nach einigen Diskussionen wurde beschlossen, dass diese Frau auf der Farm bleiben durfte. Sie hatte keinen Ort an den sie sonst hätte gehen können und sie war wegen dem Kind von ihrer Familie ausgeschlossen worden. Meine Eltern organisierten eine Schule für ihn, in den Ferien konnte er in unserem Haus wohnen und sich etwas Taschengeld dazu verdienen. Für uns wurde er zu einem Bruder, und so ist es bis heute, wir haben noch immer Kontakt. Später konnte er eine Universität besuchen, an der er Jura studierte. Bald wird er in Rente gehen, aber er hatte einen ziemlich guten Job im Free State in der Regierung. Viele Leute waren sehr neidisch auf ihn, weil wir ihn wie einen Bruder behandelten. Oftmals erntete unsere Familie kritische Kommentare für den Umstand, dass er in unserem Haus so willkommen und integriert war. Als meine Mutter vor drei Jahren starb, kam auch er zu der Beerdigung, er hatte eine sehr enge Beziehung zu meiner Mutter. Wir waren sehr froh ihn zu sehen und in dieser Zeit der Trauer mit ihm zusammen zu sein. Mir fiel auf, dass viele der Nachbarn und auch einige fernere Familienmitglieder sich ihm gegenüber anders verhielten. Viele der Leute, die uns und ihn kritisiert hatten, kamen nun und sprachen mit ihm. Sie freuten sich, ihn zu sehen. Das empfanden er und ich als sehr positiv.

Das Bewusstsein der Leute hat sich nach dem Ende der Apartheid merklich geändert?

Ich kann nicht sagen, dass das die generelle Tendenz ist, da sind sicher noch zahlreiche Probleme, aber in unserem kleineren Kreis konnten wir diesen Wandel beobachten. Auf der Beerdigung waren viele Menschen, die auf unserer Farm gearbeitet hatten. Der Gottesdienst fand auf Afrikaans statt, von einem afrikanischen Pastor durchgeführt, aber ich las auch einen kleinen Teil der Messe auf Sotho. Einige der Zuhörer nannten mir Dinge, die ich sagen sollte, Erinnerungen an meine Mutter. Das war eine multikulturelle Beerdigung, in zwei Sprachen, und so wollten wir sie beerdigen. Alle Teilnehmer genossen dies. Das war ein sehr gemeinschaftliches und respektvolles Ereignis.

Und jetzt, wenn du manchmal in Südafrika bist, wie wird die Apartheid erinnert? Ich denke Südafrika geht sehr offen mit seiner Vergangenheit um. Der Report der Wahrheits- und Versöhnungskommission, welcher Zeugenaussagen von Tätern und Opfern der Apartheid enthält, wurde sogar online veröffentlicht! Würdest du bestätigen, dass viele Debatten zur südafrikanischen Vergangenheit geführt werden?

Viele Dinge haben sich in Südafrika geändert, und es wird viel diskutiert auch über die Vergangenheit, natürlich auch sehr kritisch. Aber ich bin trotzdem immer sehr erstaunt, wenn die internationale Gemeinschaft versucht, Südafrika als ein perfektes Beispiel der Versöhnung und als große Regenbogennation darzustellen. Oder als ein Beispiel für eingetretene Gerechtigkeit. Ich glaube das ist eine totale Überschätzung der Wahrheits- und Versöhnungskommission.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission war selbstverständlich eine gute Initiative mit ihren eignen Zielen und Grundsätzen. Aber ich denke, dass sie in vieler Hinsicht versagte. Ich war bei vielen der Anhörungen, da viele der Anhörungen an der Uni stattfanden, an der ich damals arbeitete. Ungefähr 21 000 Menschen erzählten ihre Geschichten. Von diesen erhielten, glaube ich, 849 Täter eine Amnestie, ca. 3500 Amnestieanträge wurden abgelehnt.

Ich glaube, dass die Wahrheits- und Versöhnungskommission sehr viele Versprechen machte und sehr viele Erwartungen von allen Seiten schürte. Aber die Kommission konnte diese Erwartungen nicht erfüllen. Eines der ungelösten Probleme ist die Frage der finanziellen Kompensation. Viele Menschen erwarteten, dass sie eine finanzielle Kompensation erhalten würden, jedoch nur einige erhielten 30 000 Rand, das sind umgerechnet weniger als 3000 Euro. Ein weiteres Problem ist, dass viele Menschen, die vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission aussagten und die keine Amnestie erhielten, trotzdem anschließend juristisch nicht verfolgt wurden. Eigentlich gab es dafür eine Kommission, aber sie hatten weder Zeit noch Geld, diesen Verbrechen nachzugehen.

Viele Leute hatten das Gefühl, dass ihnen die Wahrheits- und Versöhnungskommission für ihr persönliches Leben nichts gebracht hatte. Ein weiteres Problem ist, dass die weiße Gemeinschaft in Südafrika niemals wirklich in sich gegangen ist und sich bewusst gemacht hat, dass die von dem System profitierte. Sie dachten sich: „Okay. Diese Kommission hat jetzt getagt, wir haben diese 21000 Geschichten gehört. Gut. Jetzt ist es vorüber!“

Ich weiß nicht, ob du die Geschichte über Desmond Tutu und das Fahrrad kennst? Nehmen wir an ich hätte dein Fahrrad gestohlen. Nun erzähle ich es öffentlich vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission: „Ja, ich habe dein Fahrrad gestohlen! Sorry!“ Desmond Tutu sagt daraufhin: „Gib das Fahrrad zurück! Ich weiß, dass du es gestohlen hast!“ Und außer dieser öffentlichen Beichte passiert gar nichts. Das ist die Situation des Missverständnisses hier. Wir haben all diese Geschichten gehört, aber wie werden die Leute kompensiert? Und diese Kompensation war nie angedacht. Die Weißen sagen sich: „Wir haben uns entschuldigt, was wollt Ihr noch?“

Und nebenbei gesagt, dieser Report, der von der Wahrheits- und Versöhnungskommission publiziert wurde, wie viele haben den gelesen? Den meisten Südafrikanern ist dieser Bericht unbekannt, von beiden Seiten!

Und in den südafrikanischen Schulen, wird dort darüber gelehrt und gesprochen?

Südafrikas Geschichte, aus der neuen Perspektive gesehen, ist etwas ganz anderes als das, was ich in der Schule lernte. Ich lernte europäische Geschichte und Dinge über die Voortrekker, „unglücklich am Kap und die ganze Zeit landeinwärts ziehend“, aber nichts über schwarze Gruppen. Das Problem ist, dass der Abstand zu den Vorfällen größer wird! In nicht allzu langer Zeit, werden die Leute sagen: „Ich habe mit der Apartheid nichts zu tun, ich wurde erst zwanzig Jahre nach ihrem Ende geboren!“ Hier sieht man die Parallelen zur deutschen Geschichte. Wenn ich mich heute mit deutschen Studenten über den zweiten Weltkrieg unterhalte, wissen sie manchmal sehr wenig darüber, oder sind von dem Thema genervt. In Südafrika ist die Situation ähnlich.

Der Bruch zwischen Schwarzen und Weißen ist in Südafrika immer noch vorhanden - Insbesondere, was die Verteilung von Einkommen und Besitz betrifft. Es gibt eine aufkommende schwarze Mittelklasse, wie groß ist ihr Anteil an der Gesellschaft?

Diese Gruppe wird als Black Diamonds bezeichnet. Jetzt kann man natürlich schnell fragen: Wie definiert man die Black Diamonds. Es sind Leute mit einer guten Ausbildung und einem guten Einkommen. Leute, die viele Aufstiegschancen haben. Zahlenmäßig betrifft das ca 2.6 Millionen Südafrikaner. Es wird davon ausgegangen, dass ihre Gruppe in 20 Jahren ca. 22 Millionen umfassen wird.

Das ist sehr optimistisch geschätzt.

Ja das stimmt, auf der anderen Seite wächst die weiße Population nicht. Ein großer Teil der weißen Bevölkerung hat Südafrika verlassen, insbesondere die jungen Leute. Insofern verändert sich das Zahlenverhältnis zueinander zunehmend. Das Durchschnittseinkommen bei den Black Diamonds oder einem Mittelklassehaushalt wird auf 6100 Rand geschätzt. Das Durchschnittseinkommen der gesamten weißen Population wird auf ca. 6000 Rand pro Person im Monat geschätzt. Irgendwie ist es schräg, eine Minorität mit einer Überzahl an Personen zu vergleichen. Diese Statistiken sind in gewisser Hinsicht sehr positiv, weil sie zeigen, dass diese Mittelklasse aufsteigt und Initiative zeigt, dass sie Ziele und Hoffnungen hat. Ich sehe das als positive Entwicklung.

Meiner Ansicht nach korreliert der Bruch zwischen Arm und Reich nicht mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Es gibt genauso arme weiße Südafrikaner, in Pretoria sah ich kürzlich Hilfsprogramme für sie. Sie leben in besetzten Camps. Aber sie bilden nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, viele kleiner als der Anteil an Schwarzen, der sehr arm ist.

Im Jahr 1992 stimmten bei den Wahlen die Mehrzahl der Weißen für eine Fortsetzung der Reformen, die zum Ende der Apartheid führten. Wie kam es zum Wandel der Mentalität, was waren die Auslöser? Hatten die Leute ihr moralisches Weltbild verändert oder waren es politische und ökonomische Ursachen?

Ich glaube es gab eine Vielzahl von Ursachen. Zum einen natürlich der Ausschluss Südafrikas aus der Weltgemeinschaft, die Sanktionen, der Ausschluss Südafrikas vom Sport,…

War der Sport wirklich so wichtig?

Südafrika ist eine sehr sportbegeisterte Nation und sehr auf Wettkampf orientiert! Insbesondere in den Feldern Rugby und Cricket! Für die weiße Bevölkerung Südafrikas war der Ausschluss von den Rugby-Meisterschaften eine Katastrophe, auch der Ausschluss vom Cricket war hart.

Ich finde es absurd, dass der Sport einer der Hauptmotivatoren war!

Rugby ist in Südafrika so wichtig, wie es in Deutschland der Fußball ist. Als die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland stattfand, hatte ich den Eindruck, dass es nach dem zweiten Weltkrieg nichts gegeben hatte, was die Deutschen so vereinte, wie der Fußball. Sport hat Einfluss. Neben dem Ausschluss von den Rugby-Meisterschaften waren auch die ökonomischen Sanktionen enorm.

Ich glaube aber auch, dass die jüngere Generation nicht mehr Teil dieses Systems sein wollte. Wir wollten Teil der globalen Welt sein. Wir wussten, solange wir diese Politik unterstützen würden, würden wir ausgeschlossen bleiben. Wir wussten auch, wenn der rechte Flügel weiterhin an der macht bliebe, würde die gesamte Gesellschaft in einem Blutbad oder in einem Bürgerkrieg enden. Niemand wollte das. Das führte dazu, dass die weiße Bevölkerung verstand, dass ein Wandel nötig sei und wir eine neue Richtung einschlagen müssten.

Das Ergebnis dieses Referendums war eines der wunderbarsten Dinge, die ich erlebt habe, weil ich merkte, dass ein Wandel möglich sein könnte und dass die Ungerechtigkeit ein Ende haben könnte.

Das war schon in der Zeit von De Klerk. Stimmt es, dass er eine göttliche Eingebung hatte, die ihn zu den politischen Veränderungen veranlasste?

Ich glaube man kann die Kraft der christlichen Religion in Südafrika nicht unterschätzen. Die weiße Community ist sehr religiös, sie haben verschiedene Arten von Religionen. Das Gefühl von Ungerechtigkeit, welches De Klerk wahrnahm…tja, gut für ihn! Es ist gut, wenn seine religiösen Gefühle ihn dazu brachten, die Ungerechtigkeit des Systems zu verstehen. Von seinem familiären Hintergrund aus betrachtet, war De Klerk stark religiös geprägt. Viele weiße Südafrikaner haben sich den Wandel auch im Nachhinein aus religiösen Motiven heraus erklärt: „Wenn wir wahre Christen sein wollen, müssen wir unsere Brüder umarmen…usw.“

Aber vorab ging die Kirche Hand in Hand mit der Apartheid! Die Kirche hat sich immer angepasst, je nach Situation.

Die Kirche spielte in der Apartheid eine große Rolle als Unterstützerin der Apartheid, später versuchten sie, eine Rolle als Verneiner und Kritiker der Apartheid zu spielen.Aber auf De Klerk bezogen nehme ich an, dass er tatsächlich aus religiösen Gefühlen heraus gehandelt und die politischen Wege geändert hat.

Die Studenten fragen dich in den Seminaren oft, als was oder wen du dich siehst. Wo du dich in den Konfliktlinien verortest.

Ich betrachte mich selbst nie aus der „Colour-Perspektive“. Ich finde es schwierig, mich in dieser Hinsicht zu kategorisieren, was möglicherweis an meiner Kindheit liegt. Ein Journalist fragte mich mal, als wen ich mich sehe. Ich sehe mich als Annekie. Ich habe eine sehr enge Bindung zu bestimmten geographischen Orten. Wenn ich nach langer Zeit nach Südafrika reise, aus dem Flugzeug steige und die Luft wahrnehme habe ich manchmal das Gefühl, dass ich die Erde küssen könnte! Weil ich mich mit dem Boden, der Luft, dem Wasser, dem Sand sehr verbunden fühle. Wenn ich in Berlin ankomme, fühle ich mich aber auch mit diesem Ort sehr verbunden. Auch hier fühle ich mich zu Hause, dies hat lange gedauert, doch mittlerweile ist es so. Die Identifikation mit einem staatlichen Gebilde hat für mich nie eine Rolle gespielt, ich sehe mich als Weltbürgerin.

Und Sotho zu unterrichten, war das eine Entscheidung von deiner Seite? Oder war das eher ein Zufall?

Ich habe eigentlich etwas ganz anderes studiert, Ökonomie und Politikwissenschaften. Sotho war für mich ein Extra-Fach. Aber ich sehe die privilegierte Situation in der ich aufwuchs heute nicht mehr als Selbstverständlichkeit an. Ich habe mich bewusst dazu entschieden, in dem Bereich der afrikanischen Sprachen und Literaturen zu arbeiten.

In meiner sechsjährigen Promotionszeit und auch in meinem letzten Forschungsprojekt, an dem ich vier Jahre arbeitete, habe ich die oralen Überlieferungen verschiedener Nord-Sotho-Communities dokumentiert. Momentan entwickele ich gemeinsam mit einem Team eine Datenbank und wir publizieren ein Buch mit einem Film zu unserer Forschung. Auf diese Weise versuche ich, Teile der Sotho-Oratur und kulturelles Wissen der Nord-Sothos zu bewahren. Ich möchte der Community damit etwas zurückgeben.

Dr. Jouberts Projekt dokumentiert die die Forschungsergebnisse des Berliner Missionars Carl Hoffmann, der wiederum zahlreiche Texte zu den Bräuchen der Sotho publizierte. Seine Artikel befassen sich u.a. mit Beerdigungsriten, Heirat, Zauberei, Altenpflege und Initiation bei den Sotho. Auch erstellte Hoffmann eine umfassende Sammlung von Geschichten der Sotho. Diese reiche Sammlung an Dokumenten lag für 120 Jahre unbeachtet im Berliner Missionsarchiv. Frau Jouberts Projekt soll einen Open-Access zu diesen Dokumenten im Rahmen eines Onlinerepositoriums ermöglichen. Die filmische Dokumentation ermöglicht analphabetischen südafrikanischen Zeitzeugen ebenfalls von der Forschung zu profitieren.

Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission Südafrikas

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