Leider nicht farbenblind

Südafrika Manfred Loimeiers Buch "Wortschätze" ergründet, wie afrikanische Autoren und Autorinnen ihre Arbeit verstehen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Skulptur vor der Zentralbibliothek der Universität University of Lagos (Unilag), Nigeria
Skulptur vor der Zentralbibliothek der Universität University of Lagos (Unilag), Nigeria

Foto: PIUS UTOMI EKPEI/ AFP/ Getty Images

Unter Literaturwissenschaftlern war es lange Zeit verpönt, Biografien von Schriftstellern zu lesen. Zur Begründung diente die Unabhängigkeit des Kunstwerkes. „Autorengenies“ hätten unter jeglichen Umständen, zu jeglicher Zeit, unabhängig von ihrem eigenen Leben ihre Werke verfasst. – So die damalige Annahme. - Doch, ob die Kunst nun von der Biografie ihrer Schöpfer autonom ist oder auch nicht, die Neugier an den Personen hinter den Texten war schon immer vorhanden und selbst ein bekannter Lyrik-Professor der Humboldt-Universität hat in einem seiner Seminare bekannt: „Ich habe heimlich in den Buchläden die Ro-Ro-Ro-Bändchen aus dem Regal gezogen und darin die Schreckensbiografien einiger Literaten nachvollzogen.“

Wortschätze

Ein Buch, das nicht nur die Biografien sondern auch die Literaturauffassungen, Arbeitstechniken und das Selbstverständnis von Schriftstellern thematisiert, ist nun im Horlemann Verlag erschienen.

Der Literaturwissenschaftler Manfred Loimeier hat sich mit vierzig afrikanischen Autorinnen und Autoren über ihr Werkverständnis unterhalten. Die Autoren kommen aus den verschiedensten Ländern des subsaharischen Afrikas und schreiben in den unterschiedlichsten literarischen Gattungen, wodurch sich ein riesiges Arsenal an Themen und Fragestellungen ergibt. Die Interviewzusammenstellung hat Loimeier über Jahre hinweg erarbeitet, indem er zahlreiche nationale und internationale Literaturkonferenzen besucht hat.

Das Buch erweckt zunächst den Anschein des Eklektizismus, doch durch die große Anzahl an Interviews mit südafrikanischen Autoren und Autorinnen erhält es zunehmend seinen roten Faden. Es führt mit jedem zusätzlichen Gespräch über die südafrikanische Apartheidsvergangenheit immer tiefer in die Konflikte dieses Landes und seiner Gesellschaft hinein. Die Apartheid wurde bekanntlich erst 1990 abgeschafft und die südafrikanische Gesellschaft beginnt erst jetzt, mit langsamen Trippelschritten, sich von diesem Trauma zu befreien oder vielmehr, es überhaupt zu bearbeiten.

Playing in the Light

Zwar gab es in Südafrika die „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ („TRC“), die ab 1996 die politisch motivierten Verbrechen der Apartheid untersuchen und aufklären sollte, auch wurden die Südafrikaner dazu aufgefordert, ihre Erfahrungen aufzuschreiben und eine große Masse an Biografien und Lebensgeschichten entstanden, es wird zur Vergangenheit des eigenen Landes geforscht, aber die südafrikanische Gesellschaft ist noch nicht wieder zusammengewachsen.

Loimeier hat mit Autoren und Autorinnen jeglicher Hautfarbe gesprochen, die die Apartheid in unterschiedlicher Weise erleben mussten. Dies macht sein Buch zu einem Dokument verschiedenster Erinnerungen. Es dokumentiert jedoch auch die aktuellen Entwicklungen der südafrikanischen Literatur, wie das Anwachsen von Spoken Word und Slam Poetry.

Viele „weiße“ Autoren, wie zum Beispiel Breyten Breytenbach und J.M. Coetzee haben Südafrika während der Apartheid verlassen, weil sie es einfach nicht mehr ertragen konnten. Breytenbach wurde dann während eines heimlichen Besuchs in Südafrika verhaftet und saß aufgrund seiner oppositionellen Tätigkeiten sieben Jahre im Gefängnis. Heute unterrichtet er in New York und in Kapstadt Kreatives Schreiben. In seinen südafrikanischen Klassen sitzen Studenten aus weißen Vororten und schwarzen Townships. Die Arbeit mit Ihnen sei nicht einfach, sondern von tiefem Schmerz durchdrungen. Oftmals prallten die unterschiedlichen Haltungen, Zorn, Wut und Trauer aufeinander. In Südafrika kann man nicht farbenblind umherlaufen.

Loimeier muss man den Verdienst zugestehen, dass er die Rolle der Schriftsteller in diesem Prozess näher beleuchtet und dokumentiert hat.

Manfred Loimeier. 2012. Wortschätze - Gespräche mit afrikanischen Autoren und Autorinnen. Berlin: Horlemann Verlag.

Mehr über den Horlemann Verlag erfahren Sie hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden