Mensch, Tier, Gewalt und Pazifismus

Shakespeare Dimiter Gotscheff hat am Deutschen Theater eine Shakespeare-Collage inszeniert, die „Rosenkriege“ bilden den Hauptteil der Textfragmente

Auf der Bühne des DT hockt ein Gorilla. Er wandert auf der leeren Bühne umher, zwischen ein paar Lichtkegeln, die das Bühnenbild von Spiele für Mörder, Opfer und Sonstige ausmachen. Manchmal werden nur bestimmte Ecken des Bühnenraums ausgeleuchtet, dann ähnelt die Bühne einem riesigen Grab, in dem die Figuren orientierungslos umherirren. Dieser Gorilla, in naturalistischer Weise gespielt von Bettina Tornau, wird im Laufe des Stückes zu einem Sinnbild der friedlichen Natur.

Innerfamiliäre Gewalt

Gotscheff hat für sein neues Stück mit Shakespeare-Übersetzungen von Thomas Brasch, Heiner Müller, Frank Günther und Manfred Wekwerth gearbeitet, auch Zitate von Brecht wurden in das Textgeflecht eingebunden. Auf diese Weise entsteht eine Collage aus verschiedenen Sprachstilen, die manchmal sehr alltagsnah erscheinen und Shakespeares Gedanken in einer modernen Sprache vermitteln.

Als Ole Lagerpusch zu einer Art Grunge-Rock Hamlets Hass auf die ehebrecherische Mutter herausschreit, in einer heutigen klaren Sprache, fühlt man sich als Zuschauer selbst überrollt vom Hass, als würde man angeklagt. Dies war ein sehr bewegender und erschütternder Moment der Inszenierung. Lagerpusch scheint fast wie der Vertreter einer jüngeren Generation, die ihren Eltern deren Vergehen verdeutlichen will. Die Vergehen von Hamlets Mutter bestehen nicht nur in ihrer Untreue, sondern auch in einer Erziehung, die Hamlet zu einem vermeintlichen „Weichei“ gemacht hat. Der Hass auf die Mutter paart sich mit einem Selbsthass, der aus einem verfehlten Leben resultiert. Aus Charakterlosigkeit, Ziellosigkeit und moralischer Schwammigkeit. In der Gotscheff-Inszenierung will Hamlet seine Mutter vergewaltigen, mit Blut beschmieren, wieder zunähen und am liebsten die eigene Existenz auslöschen. Um innerfamiliäre Gewalt kreist auch Samuel Finzis Darstellung des Cäsars. Cäsar als Ehemann. Zu Hause ist er ganz klein, möchte, dass seine Frau ihn beschützt. Doch kaum tritt er vor die Haustür, unter die Augen des Senats, behandelt er seine Frau wie den letzten Dreck.

Gewalt ist das Thema, welches die Collage aus fünfzehn Stücken zusammenbindet. Brutalität, die weitere Ausbrüche nach sich zieht und irgendwann die gesamte gesellschaftliche Harmonie in die Luft sprengt.

Kontrastreiche Inszenierung

Durch die vielen kleinen Szenen, das fragmentarische Verschränken unterschiedlicher Stücke und den experimentellen Jazz erhält das Stück ein sehr hohes Tempo, in das sich der Zuschauer einfinden, mithalten muss. Eine distanzierte Spieltechnik der Schauspieler soll das Stück ästhetisch zusammenhalten und zugleich die Zuschauer davor bewahren, sich an den Gewaltausbrüchen zu erfreuen und zu ergötzen. Wenn Margit Bendokat, die in ihrem Kostüm sehr jung wirkt, in einer ironisch-distanzierten Weise über Mord und Gräber referiert, fühlt man sich an Schreckensnachrichten erinnert, die von Politikern in technokratischer Weise verkündet werden. Macht und Gewalt sind zwei Seiten einer Medaille, die sich durch eine distanzierte, kaltherzige Sprache realisieren lassen.

Zwischen den Stücksequenzen taucht immer wieder eine singende Diva auf. Ruth Rosenfeld, welche mal als blonde Amy Winehouse, mal als Maria Callas die Jazz-Musiker begleitet. Diese wiederum erinnern in ihren Kostümen an dadaistische Performance-Künstler und runden den Wahnsinn der Shakespeare-Figuren optisch ab.

Während die Schauspieler sich gegenseitig abschlachten wollen, sich bedrohen, betrügen und verfluchen, sitzt der Gorilla gedankenversunken in einer Ecke des Bühnenbildes und beobachtet die Tätigkeiten der Menschen. Manchmal rollte er sich auch einfach nur auf den Rücken, krault sich, oder wandert leise umher. Die gleichmütige Kontinuität und friedliche Unaufgeregtheit des Affen führt dazu, dass die Zuschauer sich offenbar am ehesten mit ihm identifizieren. Und zum Schluss dieses kontrastreichen und wunderbaren Stückes erhält er, vermutlich auf Grund seines pazifistischen Benehmens, den größten Applaus.

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