Runter von der Insel

Geräumt Shenaz Patels Roman schildert den verzweifelten Kampf der Chagossianer um ihre Identität

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Barachois Maurice, Diego Garcia
Barachois Maurice, Diego Garcia

Foto: Steve Swayne/Wikimedia (CC 2.0)

Shenaz Patels im Weidle Verlag erschienener Roman Die Stille von Chagos widmet sich dem Schicksal der Chagossianer, einer Bevölkerungsgruppe, die Ende der Sechziger Jahre von ihrer Heimatinsel vertrieben wurde, um Platz für eine gemeinsame amerikanisch-britische Militärbasis zu schaffen.

Die Landfläche der Chagos-Inseln beträgt ungefähr 60 Km2 . Die größte der Inseln, Diego Garcia, ist ca. 30 Km2 groß, ein kleiner Fleck auf der Landkarte. Die Bewohner Diego Garcias, mehrere tausend Menschen, wurden zwischen 1967 und 1973 kurzerhand abtransportiert und nach Mauritius bzw. auf die Seychellen umgesiedelt.

Die Chagos-Inseln liegen mitten im Indischen Ozean, ungefähr 500 Kilometer südlich von den Malediven. Ihre Lage macht die Inseln zu einem strategisch perfekten Standort, von dem aus man alle Landregionen, die den Indischen Ozean begrenzen, gut erreichen kann. Aus diesem Grund wurde die Region attraktiv für militärische Zwecke. Während Mauritius im Jahr 1968 unabhängig wurde, verblieben die chagossianischen Inseln weiterhin unter der Macht Großbritanniens. Ein fünfzigjähriger Pachtvertrag mit den USA führte zu der dortigen Errichtung der Militärbasis Camp Justice, der Pachtvertrag wurde im Jahr 2015 nochmals um 20 weitere Jahre verlängert.

Die kleine Insel Diego Garcia wird in dem Roman zu einem verlorenen Paradies, das durch die Belange der internationalen Politik zweckentfremdet und zerstört wird. Die umgesiedelten Chagossianer finden sich nicht zurecht in der neuen Umgebung, in der sie nur widerwillig aufgenommen werden. Diskriminierung, Arbeitslosigkeit, Nicht-Dazugehörigkeit, Staatenlosigkeit kennzeichnen das Leben der Betroffenen auf Mauritius. Mauritius hat seine neuen „Mitbewohner“ nur gegen ein Entgelt der Briten aufgenommen. Untergebracht in unzumutbaren Behausungen, sehen die Verdrängten einer perspektivlosen Zukunft entgegen.

Der Roman dreht sich um die Sehnsucht der Chagossianer in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen und beschreibt zugleich das Gefühl der Scham und Würdelosigkeit angesichts der von ihnen erfahrenen Machtlosigkeit.

Bis heute kämpfen die Chagossianer in internationalen Gerichten um ihr Recht auf Rückkehr und Souveränität, jedoch ohne Erfolg.

Shenaz Patel beschreibt einfühlsam die Sichtweise der Chagossianer, ihre Verzweiflung und ihre Trauer über die aktuell aussichtslose Situation, die einer idealisierten Vergangenheit gegenübersteht. Die Chagossianer scheinen wie ein mit der Insel verwachsenes Puzzlestück zu sein, das herausgebrochen und weggeworfen wurde. Patels Roman ist als eine literarische Anklage zu lesen, die unbemerktes Unrecht sichtbar macht. Die auf Mauritius geborene Autorin spricht stellvertretend für die Entwurzelten, Deplatzierten und Ausrangierten. Für die, die im Wege waren und deswegen weichen mussten.

Shenaz Patel

"Die Stille von Chagos"

2017 Weidle Verlag

159 S. ISBN 978 3 93 88 03 868

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden