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Unsichtbarer Kleber Zeig mir deine Freunde, ich sag dir wer du bist! Gilt das noch?

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Der Sammelband betont auch die potenziellen kulturellen Unterschiede von Freundschaften
Der Sammelband betont auch die potenziellen kulturellen Unterschiede von Freundschaften

Bild: PETER GRESTE/AFP/Getty Images

Der neue Sammelband „Freundschaft heute – Eine Einführung in die Freundschaftssoziologie“ herausgegeben vom Transcript Verlag, bietet eine umfassende Einführung in die Freundschaftsforschung, angefangen bei den antiken Aufzeichnungen zu diesem sozialen Phänomen (Aristoteles, Plato) über die neueren Soziologen (Georg Simmel, Friedrich Tenbruck, Siegfried Kracauer, Georg McCall, Niklas Luhmann u.a.) bis hin zu heutigen Betrachtungen und Analysen, die zum Teil von den Autoren selbst herrühren, aber auch aktuelle internationale Forschungsergebnisse einbeziehen.

Retter in der Not oder Friend with Benefit?

Deutlich wird, wie divers das Phänomen der Freundschaft auftreten kann und dass in jeder historischen Epoche unterschiedliche Formen von Freundschaften gelebt werden. Extreme literarische Ausformungen sind die Beispiele heroischer Kriegerfreundschaft, wie sie schon in der Antike bei Homer besungen wurden. Ein berühmtes Freundespaar sind die Freunde Achilles und Patroklos, deren Verhältnis man heute vielleicht eher als das eines Herrn und seines Dieners verstehen würde. Indem Patroklos stellvertretend für Achilles in den Kampf zieht und stirbt, erbringt er den damals gültigsten Beleg für seine Freundschaft, den Beweis seiner selbstlosen Loyalität bis in den Tod hinein.

An dieser Stelle sei eingefügt, dass die literarische von der gelebten Praxis schon immer abwich.

Eine komplexe Systematik der Freundschaft entwickelte Aristoteles, der zwischen der Freundschaft, die auf Nutzen basiert, der Freundschaft, die die Lust zum Inhalt hat und der Tugendfreundschaft unterscheidet. Natürlich genießt bei ihm nur die Tugendfreundschaft, welche auf der beiderseitigen guten Gesinnung basiert, den Ruf einer würdigen und wahren Freundschaft. Seine triadische Strukturierung der Freundschaftsformen ist im Grunde auch heute noch relevant und wird unter den unterschiedlichsten Betitelungen ausgelebt. So findet die Lustfreundschaft ihr modernes Äquivalent im sogenannten „Fuck Buddy“ oder auch „Friend with benefit“.

Seelenverwandter im Internet

Auch aus dem (europäischen) Mittelalter sind unterschiedliche, nebeneinander existierende Freundschaftsauffassungen belegt. Während militärische Ausformungen die Kameradschaft preisen, suchten Kleriker ihre Verbindung in der gemeinsamen Liebe zu Gott. Leider sind von weiblichen Personen nur wenige schriftliche Dokumente erhalten und Freundschaft wird zumeist mit größter Selbstverständlichkeit als ein männliches Thema aufgefasst. Auch die empfindsamen Freundschaftskulte des 18. und 19. Jahrhunderts sind überwiegend aus der männlichen Perspektive dokumentiert. Hier gewann die Vorstellung von der „Empfindsamkeit“ und „Tiefe“ der Seele eine besondere Bedeutung. Seelenöffnung, die Offenbarung von Selbstzweifeln und das Teilen intimer Gedanken wurden zum Kennzeichen freundschaftlicher Vertrautheit. Die Preisgabe des eigenen Selbst erfolgte nicht mehr über die körperliche Aufopferung, sondern über die seelische Auslieferung.

Der Sammelband betont mit einem eigenen Kapitel die potenziellen kulturellen Unterschiede von Freundschaften, wobei die Praxis der Freundschaft kulturell gar nicht so unterschiedlich zu sein scheint. So konnten vier kulturell übergreifende Elemente herausselektiert werden, die für Freundschaften als wichtig wahrgenommen werden: Respektierung der Privatheit, Vertrauen und Verlässlichkeit in den anderen, freiwillige Hilfe in der Not und keine Eifersucht und Kritik an dritten Beziehungen. - Schwierig wird es sicherlich, mit einer Person befreundet zu sein, die all diese sozialen Regeln nicht beachtet, wobei auch hier die gelebte Praxis von starren Regelungen abweicht.

Auch neuere Formen der Freundschaft werden in dem Buch angeschnitten, so bringt die Mediatisierung durch das Internet eine Erweiterung des Freundschaftsbegriffes einher. Zahlreiche virtuelle Freundschaften können durch einen relativ geringen persönlichen und zeitlichen Aufwand bis zu einem gewissen Grad gepflegt werden.

Total überflüssig

Freundschaft wird in dem Buch häufig als unsichtbarer sozialer Kleber bezeichnet, eine Erscheinung, die aufgrund ihrer vielfachen Gestalten nur schwer dingfest gemacht werden kann. Niklas Luhmann bescheinigte der Freundschaft eine abnehmende soziale Relevanz, bis hin zur gänzlichen Überflüssigkeit und Nutzlosigkeit. Denn die zunehmende Partialisierung und Institutionalisierung des täglichen Lebens mit der hinzukommenden Entgrenzung der Arbeitszeiten lässt Freundschaften zunächst als weniger notwendig erscheinen. So wird die Unterstützungsleistung durch Freunde weniger notwendig, wenn die gesuchte Hilfeleistung auch durch den Arzt, die Kreditbank, den beauftragten Handwerker oder den Psychologen weitaus professioneller übernommen werden kann.

Trotzdem bietet Freundschaft sicherlich einiges mehr, als diese partiell begrenzten Dienstleistungen es gewährleisten können. Auch Luhmann gesteht Freundschaften ihren Platz in einer funktionalisierten und differenzierten Gesellschaft zu. Freundschaften betrachtet er als Einheiten, die stark formalisierte (hierarchische) Beziehungsmuster parallel ergänzen oder manchmal sogar durchkreuzen. Als brauchbare und belastbare Illegalitäten federn sie die Brüchigkeit der formalen gesellschaftlichen Beziehungen ab. Etwas poetischer hat Rio Reiser die Freundschaft besungen, in seinem Lied „Mein Freund“.

Der Sammelband bildet ein weites Spektrum von soziologischen Perspektiven auf das Phänomen der Freundschaft ab und ist als Einführungswerk sehr zu empfehlen.

Schobin Janosch, Leuschner Vincent, Flick Sabine, Alleweldt Erika, Heuser Eric Anton, Brandt Agnes et. al. 2016. Freundschaft heute – Eine Einführung in die Freundschaftssoziologie. Kulturen der Gesellschaft, Transcript Verlag: Bielefeldt.

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