Die Angst vor den Bären

SPIEGELND Rumjana Zacharieva verfolgt in ihrem Roman "Bärenfell" identitätsstiftende Momente im Leben einer Migrantin

Das Bärenfell ist ihr Schutzmantel gegen Anpassung. Wenn dem Mädchen Mila und auch später der Frau bis zu ihrem 46. Lebenjahr der Zwang droht sich unterzuordnen, das Ich klein zu machen, dann wachsen ihr die Bärenkrallen und das Fell, es wächst bis ins Innere. Das Fell bringt sie in Atemnot, hilft ihr keineswegs, eine Siegerin zu sein, es hilft ihr nur, sich zu verweigern, nicht mitzuspielen, das Eigene nicht ganz aus dem Auge zu verlieren. Aber zu ihrem Schutz legt sie auch Fettschichten um sich herum, wird dick, dickfellig. Die Schwerkraft bindet sie, hält sie fest und erst zum Schluss des Buchs löst sie sich, gewinnt Leichtigkeit.

Eine Bulgarin geht mit 20 Jahren nach Deutschland. Als Kind hat sie schon Gedichte geschrieben und wurde herumgereicht. Aber den kommunistischen Alltag, in dem das geschah, verabscheut sie. In Deutschland wiederum stößt sie auf Hochmut, Gleichgültigkeit gegen Kunst und völlige Ahnungslosigkeit gegenüber Bulgarien. Nur ihr deutscher Mann ist ihr das Ideal eines aufgeklärten, sanften Mannes, jung und erotisch.

Die Prägungen aus der Kindheit, der Verlust der Muttersprache und der Gewinn an Klarheit beim Schreiben in verschiedenen Sprachen, das verarmte und brutalisierte postkommunistische Bulgarien, die historischen Spuren der osmanischen Herrschaft in diesem Land, über das sie mit linken türkischen Intellektuellen in Deutschland streitet, die ererbte Abneigung gegen Zigeuner und alle Braunhäutigen, die sie bei sich entdeckt, all das geht ihr durch den Kopf auf einer Bergwanderung. Mit Mann und Tochter hat sie sich nach langer Zeit auf einen Besuch in ihre Heimat begeben.

Sie, die sich als Bärin fühlt, erlebt hier die Angst vor den Bären. Denn sie sind im Balkangebirge zahlreich und gefährlich, sie wurden gehalten für die Jagd der Bonzen, jetzt nähren sie sich von Müllkippen, dringen bis nah an die Dörfer vor, töten Menschen.

Übergangslos wandert die Autorin durch die Zeiten, zurück in die Kindheit, in das englischsprachige Gymnasium, eine Art Eliteschule, bis zu ihrer zielstrebigen Annäherung an die Männer. Denn diese Frau mag die Männer. Nicht sie sind es, mit denen sie schwierige Erfahrungen machte, wie es so oft in der Literatur von Frauen ist. Das Ersteigen des Berges, die Überwindung ihres schweren Körpers, die Begegnungen unterwegs, die Tochter, die eines Tages -- einem Sprichwort der Großmutter gemäß - den Kopf der Mutter anknabbern wird, die Konfrontation mit einer rechtsradikalen Schulklasse in Leipzig - so wechseln die Zeiten und Orte und bilden das Gewebe des Textes. Aber auch ein Beitrag, den die Autorin für das Kritische Tagebuch des WDR geschrieben hat, wird aufgenommen und der Protagonistin untergeschoben. Fast ist der Roman dokumentarisch, zwischen dem Ich der Autorin und der literarischen Figur ist keine besondere Distanz gehalten. Aber warum auch?

Wer gern über das Abenteuer des Schreibens, der Selbstfindung und des Lebens zwischen unterschiedlichen Kulturen liest, sich auch für den Spiegel interessiert, der hier den Deutschen hingehalten wird, der oder die Leserin wird das alles in dem Buch von Rumjana Zacharieva finden.

Rumjana Zacharieva Bärenfell. Roman. Horlemann Verlag. Bad Honnef 1999. 174 S., 29,80 DM.

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