Ihr kennt das Lied nicht? Ich singe es Euch vor!

Fasia Jansen Schwarze Haut, Hamburgerin im Ruhrpott, Blues-Stimme der Friedens-bewegung und der Streiks von Opel bis Hoesch

"Sie war vielleicht die authentischste Sängerin von uns allen. Weil sie das alles auch selbst und für alle offen lebte. Sie hatte einen einzigartigen, leuchtenden Charakter, die Frau."
Hannes Wader

Ihr wurde es nicht "an der Wiege gesungen", dass sie eine Liedermacherin und Sängerin wird, die Tausende bewegt. Für ihr Leben trifft wirklich zu, was oft leicht hingesagt wird: es war eine Gratwanderung. Von klein auf hätte es ihr geschehen können, dass sie gebrochen, im NS-Staat zu Grunde gerichtet, auch nach dem Krieg von Bildung ausgeschlossen, von der Gesellschaft an den Rand gestoßen wird. Ihr unendliches Glück war es, dass immer Menschen da waren, die sie schützten und stützten. Fasia brachte ihre Neugier und Lernfähigkeit mit, ihre Begabungen für Musik, ihre schöne Stimme und die schon legendäre Fähigkeit, mit dem Publikum Kontakt zu bekommen.

Zuerst war es die Familie, die das dunkle Kind vor rassistischen Gemeinheiten bewahrte. "Wenn wir mal zusammen in der Straßenbahn waren und die Leute machten so höhnische Bemerkungen und Kinder fingen an: Owamba, Owamba, das Negerweib, huhuhu! - dann guckte mein Vater mich nur an und sagte: Alles geistig Minderbemittelte, Fasia", erzählte sie. Den Vater hatte sie bekommen, als sie sechs war. Er war Schlosser im Hafen und Kommunist. Fasias Mutter heiratete ihn, weil sie sah, dass er zu ihrem unehelichen schwarzen Kind gut war. Außerdem war das Mädchen in dem großen Haus mit seinen sieben Hinterhöfen sicher, wo unzählige Menschen eng beieinander wohnten, wo es Pferdeställe und Werkstätten gab und der Geruch der Elbe und des Hafens hindrang. Da mochte man die kleine "Schwatte", da lernte sie früh, sich in den Kinderbanden zu behaupten, die sich nach Abenteuern sehnten.

Die Nazis trauten sich selten in dieses Gewirr, hier hatten sie keine Anhänger, doch Fasia war Zeugin von Verhaftungen, erlebte die Schläger der Gestapo und die Angst um die abgeholten Männer, unter ihnen ihr Vater. In diesen Häusern und Höfen wurde die kindliche Phantasie mächtig angeregt, von Seeleuten, von der Großmutter, von den Erzählungen der Kinder, durch die Gespräche der Nazigegner. Diese Welt war nicht klein, sondern unergründlich, weit, verzwickt, und die Kraft, die sie dort spürte, reichte fürs ganze Leben, so scheint es. Fasia bewahrte zärtlich die Erinnerung an dieses solidarische und vitale Arbeitermilieu, sie wollte ein Buch über ihre Kindheit schreiben und hinterließ Stapel von Notizen.

Mit 15 wurde sie zum Küchendienst in ein KZ-Außenlager verpflichtet. Einer der Brüche im Leben, ein Trauma. Für ihre Orientierung in der Gesellschaft blieb es ein Bezugspunkt. Aber es war auch der Anlass einer immer wiederkehrenden psychischen Katastrophe und der Anfang einer chronischen Herzinnenhautentzündung, wegen der sie nie nach Liberia reisen konnte. Das Land ihres Vaters Momolu Massaquoi, des herrschaftlichen Generalkonsuls von Liberia, den sie meist nur den "Erzeuger" nannte. Vom Glanz seines Hauses erzählte Fasias Mutter gern, er war der erste afrikanische Diplomat überhaupt in Deutschland. Aber er ließ sie im Stich, das verzieh Fasia ihm nie. Schon im Jahr ihrer Geburt war er mit seiner Familie nach Liberia zurückgekehrt, geriet dort in Kriegswirren und starb.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen Fasias Geschwister Kontakt zu ihr auf, sie studierten in Europa und in den USA und wurden in Liberia Minister und Professoren. Die Familie Massaquoi war einflussreich, selbstbewusst, gebildet. Dass zwei so unterschiedliche soziale Welten in ihrem Leben eine Rolle spielten, hatte Fasia zu verkraften. Sie verwandelte diese Beziehungen in Freundschaften.

Seltsamer Weise ist es nie zu ihr durchgedrungen, dass noch ein zweites Massaquoi-Kind nicht weit von ihr entfernt aufgewachsen war: Hans-Jürgen, den der älteste Sohns des Konsuls bei der Mutter des Kindes, einer Hamburgerin, zurückgelassen hatte. Kurz nach ihrem Tod kam sein Buch Neger, Neger, Schornsteinfeger heraus. Er wurde genauso wie Fasia als "nicht-arisches" Kind von den Nazis geschmäht und bedroht. Nach 1945 veränderte sich seine Lage allerdings, man hielt ihn meist für einen Amerikaner und zählte ihn somit zu den Siegern. Das war für eine junge schwarze Frau keine Option: sie wurde eher als "Exotin" wahrgenommen, Männer fanden sie aufregend, aber die alten rassistischen Ressentiments begegneten ihr überall.

Trotzdem hat sich Fasia nicht gegen die Umwelt abgeschottet und zurückgezogen. Im Gegenteil, sie lebte ihre Gabe voll aus, andere zu begeistern, zum Lachen zu bringen, aus der Reserve zu locken. Sie hat viele zum Nachdenken gebracht darüber, ob der Rückzug ins Private, ob Schutzdämme gegen das Außen wirklich das Glück sichern. Sie lockte wieder heraus. Sie war das lebendige Beispiel, dass ein engagiertes Leben, das offen und eingreifend geführt wird, nicht nur Kraft verbraucht, sondern auch erneuert.

Mit ihrem Singen wollte sie Menschen auch ermutigen, weil meist der Mut fehlte, zu widersprechen und eigene Interessen zu verteidigen. Deshalb würden die "kleinen Leute" abhängig und elend bleiben, meinte sie. Den Gedanken spielt sie immer wieder durch, in ihren Tagebüchern, in Interviews, in zwei Filmen, die über sie gedreht wurden: Wie einfach könnte es sein, sich gemeinsam gegen Zumutungen zu wehren, einschließlich der Kriegsschrecken. Da sie ja erlebte, wie Zivilcourage entstand - bei Ostermärschen, bei Streiks, durch die Solidarität mit emigrierten Chilenen oder den Kindern von Roma und Sinti -, fühlte sie ihre Idee bestätigt, dass Selbstbewusstsein und Mut geweckt werden konnten, auch durch Lieder.

Aber bevor sie öffentlich auftrat, hatte sie noch zwei Wendepunkte im Leben vor sich. Eines war beim Weltjugendfestival, dem einst ungeheuer erfolgreichen, internationalen Treffen gegen Krieg und für antikoloniale Befreiung. Im Jahr 1951 fanden die Weltfestspiele in Berlin, DDR, statt. Fasia kam aus Hamburg mit ihrem Akkordeon und traf auf eine Volkstanzgruppe aus Oberhausen. Und wie es nur manchmal geschieht, flammte hier auf den ersten Blick eine Freundschaft auf, die ein Leben lang hielt, zwischen Fasia und Anneliese Althoff, die später mit Annemarie Stern den ASSO-Verlag gründete. Von Hamburg nach Oberhausen, das war damals keine Reise, die man nebenbei machte. Doch irgendwann landete Fasia im Ruhrgebiet, das ihr nicht fremd vorkam mit seinen Arbeiterstädten, der direkten Umgangsart und dem Humor, auch den herzlichen, patenten Frauen. Das Hamburger Platt blieb zwar ihre Sprache und nach Hamburg zog es sie immer wieder zurück, aber das Ruhrgebiet hielt sie fest.

Dort fuhr sie mit der Niederrheinischen Volkstanzgruppe zu den Auftritten und begleitete sie auf dem Akkordeon. Es war für ihre Freunde eine der ganz wenigen Möglichkeiten des politischen Engagements. Sie waren in der FDJ, bevor die Organisation in den Jahren des hysterischen Antikommunismus unter Adenauer verboten wurde. Als Ausweg hatten sich Fasias Freundinnen dem Volkstanz zugewandt. Die Gruppenmitglieder kamen aus Arbeiterkreisen, sie reisten auch in die DDR, manchmal auf abenteuerlichen Wegen und wurden als Tanzgruppe immer besser. Auf den Fotos sieht man sie jung und übermütig.

Und dann wieder so ein verblüffender Wendepunkt, eine Begegnung, zehn Jahre später: Fasia sang das berühmte amerikanische Gewerkschaftslied Black and White bei einer Veranstaltung zum ersten Ostermarsch. Die Freunde hatten sie auf die Bühne gedrängt, ihr Auftritt kam gut an. Es war nur ein einziges Lied, aber der Dichter Gerd Semmer hörte sie, der Jahre vorher Dieter Süverkrüp entdeckt hatte, und schrieb ihr: "Wir haben uns alle sehr gefreut, daß es Sie gibt auf der Welt. Ich denke ohne Schmus, daß aus Ihnen sehr viel werden kann, wenn Sie arbeiten. Zunächst einmal mit uns."

An ihrer Biografie lässt sich ablesen, welche Erlösung es für viele war, als sich nach den Jahren der Verbote und Selbstbeschränkungen endlich wieder eine Opposition sammelte, die ihre eigene Kultur hervorbrachte. Dass Fasia gut singen konnte, wussten die Freunde, sie sang ständig, aber es war privat geblieben. Jetzt gab es Bühnen und Kontakte über die ganze Bundesrepublik hin und ins Ausland. Das Wort Vernetzung war nicht üblich, aber genau das lief ab, die Netze bildeten sich erstaunlich schnell. Für Fasia war das mit Herausforderungen ohnegleichen verbunden, sie wurde zur Lernenden, schrieb auch eigene Liedtexte und Melodien. Sie sang von nun an auf zahllosen Bühnen, in kleinsten Räumen und in Stadien oder Hallen mit 20.000 Leuten, sie sang auf der Burg Waldeck, in Streiklokalen, Schulen, Gewerkschaften, Kirchengemeinden und auf Kirchentagen, vor Fabriktoren, bei internationalen Konzerten in Turin, Bologna, Paris, auf der Krim in der Sowjetunion.

Sie stand mit allen auf der Bühne, die in der Bundesrepublik einen Namen hatten, aber auch mit Joan Baez und anderen berühmten Sängerinnen dieser Zeit. In den Achtzigern zog sie mit den damaligen Frauenfriedensmärschen wochenlang durch West- und Osteuropa und öffnete unterwegs mit der Gitarre und Liedern die Türen zum Gespräch. Immer wieder verblüffte sie mit ihrer Fähigkeit, das Publikum zu gewinnen.

Sie selbst hat Dokumente aus all diesen Jahren gesammelt, Fotos, Plakate, Programmzettel, eigene Notizen, Tonbänder, Videos. "Wenn wir das nicht aufschreiben, glaubt uns das hinterher kein Mensch. Wir müssen unsere Geschichte selber schreiben, die schreiben nicht über uns", sagte sie in der turbulenten Gruppe der Hoesch-Frauen. Wen sie mit "Die" meinte, war den Frauen in ihren heftigen langen Streiks gleich klar. Fasia hatte aus der Kindheit und Nachkriegszeit eine Erfahrung und Erkenntnis über Klassengegensätze, die sie nicht einfach wegsteckte, wie die meisten es verschämt taten in den Jahren des Wirtschaftwunders.

Das alles lässt sich ihrer Biografie entnehmen, die unversehens zu einer Geschichte der Bundesrepublik geworden ist, erlebt und erzählt aus einer widerständigen Perspektive. Und da wird auch die Herablassung, die sich heute über die Demonstranten, die "Gutmenschen" ergießt, aufgehoben. Auch die Sucht von Linken, sich gegenseitig abzugrenzen. Fasia hat sich darüber stets hinweggesetzt.

Im trüben November 2003 war ich nach Oberhausen in die Fasia-Jansen-Stiftung e.V. gekommen, wo ihr Nachlass aufbewahrt wird, um ihre Biografie zu schreiben, im siebten Jahr nach ihrem Tod. Ich hatte sie gekannt. Oberhausen ist inzwischen von Industrie entleert. Der "Gasometer" steht noch und ist als gigantischer Ausstellungsraum ein Markenzeichen geworden, das Centro im einstigen Stahlwerk zieht Läden und Leute aus der Stadt ab. Als Fasia hierher kam, dröhnte es noch im Ruhrgebiet, und die Hochöfen stießen Flammen in den Himmel.

Warum wird diese Fasia so geliebt, von ganz unterschiedlichen Menschen? Warum lässt das nicht nach? Das ist etwas Seltenes. Sieben Jahre nach ihrem Tod ist sie allen, die mit ihr zu tun hatten, präsent. Es ist der Zauber, der von einem Menschen ausgeht, einer Frau, die ihre "Fährte" gefunden hat. Die ganz sie selbst war und blieb. Die sich nicht auf kommerzielles Terrain begab, ohne deshalb zu denken, sie habe etwas verpasst. Die ansteckend einfach war, nicht angepasst, aber ohne moralische Anmaßung, auch nicht überanstrengt. Sie war ohne die Macken und Attitüden, die sich so manche linke Aktivisten zulegen. Eine Person, die von Freundschaften getragen wurde. Ihr Leben und das Buch, das jetzt entstand, ist wie ein großes Lied auf die Freundschaft.

Als sich die "deutschen Schwarzen" in einem Verband sammelten, nahmen sie auch Kontakt zu Fasia auf. Sie sympathisierte mit ihnen, aber hatte ihren Weg längst gefunden. In ihrem Nachlass fanden sich Briefe von jungen Frauen: "Was Du nicht wissen kannst, weil ich bisher nie darüber gesprochen habe, ist die Tatsache, dass Du durch Dein politisches Engagement unbewusst dazu beigetragen hast, dass ich diesem unserem Lande wieder mehr Interesse entgegen bringe. Und ich heute der Überzeugung bin, dass man überall auf der Welt sich gegen politische und soziale Ungerechtigkeit einsetzen kann und muss, in erster Linie in dem Land, in dem man lebt, auch wenn oder gerade weil man zu einer unerwünschten Minderheit gehört."

siehe auch Marina Achenbach: Fasia. Geliebte Rebellin. Bildband mit CD. ASSO Verlag Oberhausen, November 2004, 304 Seiten, Hardcover, 29.80 Euro / assoverlag@aol.com, Tel. 0208 / 802356


Fasia Jansen

1929 in Hamburg als uneheliche Tochter des Generalkonsuls von Liberia, Momolu Massaquoi, und des Kindermädchens Elli Jansen geboren. Als nicht-arisches Kind überlebte sie die Nazizeit.

1952 Übersiedlung nach Oberhausen ins Ruhrgebiet.

1962 tritt sie mit den ersten Ostermärschen als Sängerin politischer Lieder auf, ebenso bei den großen Streiks im Ruhrgebiet.

1987 beginnt sie, ihr Auftritte auf die Arbeit mit Kindern von Asylbewerbern sowie auf Frauenfriedensmärsche zu verlagern.

1997 erhält Fasia Jansen die Ehrennadel der Stadt Oberhausen. Sie stirbt im Dezember des gleichen Jahres. Seither bewahrt die Fasia-Jansen-Stiftung e.V. ihren Nachlass auf, den das Stadtarchiv Oberhausen übernehmen will.


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