Kopfschuss

KOSOVO Welche Sprache sprichst du?

Sprich nicht Serbisch im Kosovo. Auch nicht Kroatisch oder Serbokroatisch, nicht Mazedonisch und nicht Bulgarisch. Die Sprachen sind einander nah, ein junger Kosovoalbaner, der nicht mehr das Serbokroatische lernte, wird die Sprachen kaum unterscheiden können. Möglicherweise wird er dich für einen Serben halten, vielleicht auch für einen Serbenfreund. Es kann geschehen, dass sein Reflex Töten ist. Ein Bulgare hat seine Unachtsamkeit oder Unbefangenheit in Prishtina mit dem Leben bezahlt. Slawische Sprachen sind jetzt für Reisende ein Tabu, vermeide sie dort, die Warnung wird unter UN-Mitarbeitern, Journalisten und Militärs ausgegeben.

Und doch ist das Serbische im Kosovo anwesend. Diese Kenntnisse sind zwar verborgen, aber ständig lauert die Versuchung, trotz des gesellschaftlichen Verbots die Sprache zu benutzen, in der eine Verständigung möglich wäre.

Du bestellst im kleinen Restaurant am Straßenrand auf Englisch. Die Karte ist Albanisch und Englisch, eine einfache Verständigung. Aber nach dem Essen, als der Kellner in Zeichensprache wissen will, ob er abräumen kann, rutscht es dir heraus. Wie unbewusst sagst du auf Serbokroatisch vor dich hin: Nehmen Sie es ruhig mit, ich esse nichts mehr ... Und plötzlich ist etwas nicht mehr in Ordnung. Woran spürst du es? An einer Leere um dich, einer völligen Windstille. Beim Aufblicken weißt du es: die falsche Sprache. Der Kellner, der vielleicht 30 oder 35 Jahre alt ist, rührt sich nicht. Du wiederholst es Englisch, das er kaum spricht, er nimmt die Teller, geht, schon auf den Stufen, die ins Restaurant führen, dreht er sich um - und lacht. In diesem Lachen lässt sich lesen: Von denen kommst du also, hast dich verraten, aber keine Sorge, von mir hast du nichts zu befürchten.

Im Kosovo wuchsen die Menschen mit mehreren Sprachen auf. Am besten waren vielleicht die Roma, die Albanisch, Serbisch, Romanes und oft auch Türkisch sprachen. Viele Menschen im Kosovo beherrschten auf jeden Fall die zwei Hauptsprachen, manche nur die eigene. So meist die Serben. In den letzten zehn Jahren trifft das auch mehr und mehr für die Albaner zu, nachdem sie ihre eigenen Schulen gründeten, die geheimen, wie es früher in den Berichten hieß, die privaten, wie sie jetzt dort meist genannt werden. Junge Albaner lernen englisch. Das ist jetzt die Welt.

Die Mörder des Bulgaren sollen um die 17 Jahre gewesen sein. Es war Abend, der erste Abend des UN-Mitarbeiters im lebendigen Prishtina, das von jungen Menschen überquillt, die über die Hauptstraße flanieren, ein wahrer Korso. Sie haben den 38-jährigen Mann nach der Uhrzeit gefragt. Wie ist in Sekunden der Mordimpuls erwacht? Kaum hatte er seine Antwort gegeben, packten sie ihn, schleppten ihn ein Stück weiter, töteten ihn mit einem Kopfschuss. Dann halfen andere Passanten den Jungen unterzutauchen. So weit die Berichte.

Sprache ist seit dem Zerfall Jugoslawiens erstes Erkennungszeichen für die Dazugehörenden und die Anderen, die Feinde. Das hat eine alte Vorgeschichte: nirgendwo sonst war die Sprache so sehr ein Mittel, sich als Nation zu definieren. Nationen, die - als die großen Reiche der Habsburger und der Osmanen die Völker des Balkan beherrscht hatten - zerfielen. Über die Sprache wird nun den Bürgern der neuen Staaten das Wohlverhalten abverlangt. Sprache ist ein erstes Mittel, Anpassung zu kontrollieren.

Die "Anderen" auszutreiben, war noch in jedem neuen unabhängigen Staat der Region ein politisches Programm. Die Kosovo-Albaner machen keine Ausnahme, obwohl der Krieg, den die NATO zu ihren Gunsten führte, so völlig andere Ziele vorgab. Die UÇK schürt die chauvinistischen Emotionen, um die Bevölkerung zu homogenisieren und so in den Griff zu bekommen. Die Jungen haben nicht für sich gemordet, sondern vermutlich - für die Nation. Die Menschen werden in die Schuld hineingezogen, um sie zu beherrschen.

Ein Albaner, der deutsch spricht, zeigt sein zerstörtes Haus, das neben einem serbischen Hof liegt. Er und die Nachbarn begrüßen sich bemüht, aber verkrampft über den Zaun. Dieser Albaner ist versöhnlich. Ein paar Anwesen weiter betrachtet ein Ingenieur des nahen Kraftwerks sein völlig zerstörtes Haus, ein bedrückter Mann. Die Mauern rauchgeschwärzt, kein Dach, keine Tür mehr da. So auch die Nachbarhäuser. Die Birnen und Nüsse fallen ins nicht gemähte Gras. Er hält die Serben des Dorfs für schuldig, er ist unversöhnlich. Aber er möchte sprechen über alles. Sein Englisch ist schwach, ich sage nach einer Weile leise: es würde auch Serbisch gehen. Er antwortet: Ich hasse doch keine andere Sprache. Wir reden erleichtert. Er erzählt nun in einer Weise von sich, als würde gerade die Tatsache, dass wir fähig sind, uns über das Tabu hinwegzusetzen, ein Vertrauen begründen.

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