Sie kennen sich seit langem. Fast alle Gegner im zerstörten Jugoslawien kannten sich ja persönlich aus unterschiedlichsten Zusammenhängen. Von Milosevic und Tudjman erzählt man, dass sie per du verhandelten, als sie 1991 auf dem Papier die Grenze zogen, an der sie Bosnien-Herzegowina zwischen Kroatien und Serbien aufteilen wollten. Milosevic leugnet diesen Plan, Mesic aber bestätigt ihn vor dem Haager Tribunal erneut. Er habe es vom verstorbenen kroatischen Präsidenten selbst gehört.
Stipe Mesic war 1991 der letzte Vorsitzende des gesamtjugoslawischen Spitzengremiums, das sich aus Vertretern der sechs Republiken und den zwei autonomen Gebieten Kosovo und Vojvodina zusammensetzte. Nach dem Rotationssystem war die Reihe für den Vorsitz an ihm, doch wurde er von den serbischen Abgesandten boykottiert, denn Kroatien war im Begriff, die Föderation zu verlassen. Als Mesic am 5. Dezember 1991 ins kroatische Parlament zurückkehrt, erklärt er: "Ich glaube, ich habe meine Aufgabe erfüllt, Jugoslawien gibt es nicht mehr."
Das wirft ihm jetzt in der Haager Verhandlung der gut vorbereitete Slobodan Milosevic vor. Mesic bestreitet das Zitat nicht, aber interpretiert es nicht als Bilanz seiner "Leistung", sondern als Formulierung einer Tatsache - Jugoslawien habe es nicht mehr gegeben. Zwei Profis stehen einander gegenüber. Beide Juristen und lange in der Politik.
Serbien: Der nationalistische Appell hat noch nicht ausgedient
Milosevic, der sich bekanntlich selbst verteidigt und an bislang über 97 Verhandlungstagen noch nie erlahmte, versucht im ausgedehnten Kreuzverhör, die Verantwortung von Mesic für die Zerstörung Jugoslawiens und den Krieg herauszustellen. Kroatien verfolgt das Duell genau. Serbische Medien hingegen verraten kaum Interesse, auch in Gesprächen in Belgrad an jenen Tagen taucht das Thema nicht auf.
Unter der Oberfläche gibt es in Serbien natürlich doch ein Interesse an dem Mann in Den Haag. Seine Selbstverteidigung imponiert, wie erzählt wird, seinen verbliebenen Anhängern. Die Gesellschaft ist in dieser Hinsicht tief gespalten. Wer Milosevic hasst, und das war bekanntlich immer eine erhebliche Zahl, will nichts von ihm hören und sein Gesicht mit der höhnischen Miene nicht sehen. Milosevics Empfehlung aus der Zelle, dem radikalen Kandidaten Vojislav Seselj in der gerade abgehaltenen ersten Runde der serbischen Präsidentschaftswahl die Stimme zu geben, womit er "seine" Sozialistische Partei bestrafte, die sich von ihm abwendet, hat dem Chauvinisten unerwartete 22 Prozent beschert. Vojislav Kostunica, der die meisten Stimmen erhielt - in wenigen Tagen gibt es die Stichwahl zwischen ihm und Miroljub Labus, dem Kandidaten von Premier Djindjic - spielt auf einer selbst ausgedachten, moderat-nationalistischen Klaviatur. Seine These: bisher gab es gar keine national orientierte Politik, also auch keinen Nationalismus. Das System unter Milosevic sei Kommunismus gewesen. Nun wolle er endlich einen "demokratisch fundierten Nationalismus" ohne aggressive Note nach außen einführen. Auch er übrigens Jurist. Der nationalistische Appell hat noch nicht ausgedient, in keinem der neuen Staaten. Wie auch, unter dem zermürbenden Druck der ökonomischen Dauerkrise und einem Vakuum an Konzepten?
Kroatien: Eine Wende in der Deutung der jugoslawischen Katastrophe
In Zagreb ist der Auftritt von Stipe Mesic das Hauptthema. Er muss sich bei der Rückkehr in heftigen Debatten des kroatischen Parlaments rechtfertigen. Aus den Reihen der rechten Parteien tönt das Wort Verräter. Weil er Tudjman belastet hat. Und weil er manches zugab. Aus allen anderen Richtungen, den linken, demokratischen, sozialdemokratischen, die an der Macht sind, erhält Mesic große Unterstützung. Sein Auftritt gilt ihnen als historisch, eine Wende in der Interpretation der jugoslawischen Katastrophe und der Schuld daran. Mesic habe nachgewiesen, Milosevic trage die Verantwortung. Dass er selbst Probleme mit seiner politischen Vergangenheit hat, blieb nicht verborgen, aber das kreiden ihm seine Sympathisanten nicht an. Er sei fähig, sich zu verändern, etwas in Frage zu stellen. Das sei selten im Balkan.
Die Tageszeitung Vjesnik hat am 3. Oktober auf sieben Seiten das Protokoll der Verhandlung im vollen Wortlaut abgedruckt. Keine langweilige Lektüre! Angeklagter, Richter, Zeuge sind wortmächtige Leute, die hart und konzentriert um ihre Sache kämpfen. Richter Richard May greift hin und wieder ein, ermahnt Milosevic, nicht abzuschweifen, aber verlangt auch von Mesic, auf Fragen zu antworten.
Im Spiegel Nr.41/2002 erschienen "Auszüge aus dem Kreuzverhör". Diese Auszüge sind ein eigenartiges Dokument, vielleicht sollten Journalistik-Studenten es sich vornehmen, um anhand der Originaldebatte die Methode des Auswählens, Kürzens und Montierens zu untersuchen. Ziel der "Auszüge" ist es berechtigter Weise, die Atmosphäre der Verhandlung aufscheinen zu lassen. Um mehr geht es nicht, und es gelingt: Milosevics Vorstöße erscheinen als Nonsens, gebührend unsympathisch. Auch im Original weckt er übrigens nicht Sympathie, aber vielleicht doch Interesse. Auch das verdiene er nicht, davon sind in Deutschland, in Kroatien, Serbien, Bosnien viele absolut überzeugt. Für sie ist er hohl, ideenlos, nur von Macht besessen. Dass durch ihn und durch diese Verhandlungen politische Wahrheiten aufgedeckt werden könnten, die bislang unerkannt waren, will kaum jemand.
Und so unterhält auch der Spiegel seine Leserschaft damit gut, in drei Spalten Redepassagen des Duells (und dieses war ausnahmsweise wirklich eines) zusammenzuwürfeln, zu glätten, zusammenzufassen und als Originalton auszugeben.
Die Autorin hat das zweitägige Duell Milosevic/Mesic zunächst in Belgrad, dann in Zagreb verfolgt.
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