Das war ein Schock: Junge Gewerkschafter zwischen 18 und 24 Jahren wählen nicht nur genauso häufig rechtsradikale Parteien wie Nicht-Gewerkschafter dieser Generation, sondern deutlich zahlreicher. Wie kann das sein? Herrscht in den Gewerkschaften kein ein solidarischer Geist mehr? Sollte ihnen Ausländerfeindlichkeit nicht fremd sein?
Schon früher hatten ähnliche Studien zu ähnlichen Schlussfolgerungen geführt. Der DGB berief daraufhin eine Kommission, deren Bericht inzwischen vorliegt (auch die Einzelgewerkschaften gaben Untersuchungen in Auftrag). Fazit: Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist nicht von vorneherein eine Barriere gegen nationalistisches Denken. Zwar lässt sich unter Jugendfunktionären rechtes Potenzial nur marginal feststellen (sie werden durch Schulungen und Veranstaltungen dann doch anders geprägt), etwas ganz anderes allerdings offenbart die Studie über "einfache" junge Gewerkschaftsmitglieder. Wer sich da als rechtsorientiert zu erkennen gibt, ist überwiegend männlichen Geschlechts, arbeitet im Westen zumeist in Großbetrieben und hat ein stark leistungsorientiertes Wertesystem verinnerlicht. Im Osten liegen diese Befunde anders: Dort sind die rechten Tendenzen bei nicht organisierten Jugendlichen genauso hoch wie bei Gewerkschaftern, deren Fremdenfeindlichkeit in der DGB-Studie als "Rassismus der Ausgrenzung von Armen" definiert wird, während sie bei westdeutschen Jugendlichen tendenziell als "Wohlstandschauvinismus" gilt. Folge "einer Überidentifikation mit den deutschen Wirtschaftsinteressen"
Die schwarzhaarigen, schönen Weiber
In den Gesichtern der 100 Betriebsräte und Vertrauensleute in der IG Metall-Schule in Lohr ist zunächst wenig zu lesen, als sie mit den Ergebnissen der Umfrage konfrontiert werden. Abwartend hören sie zu. Sie kommen aus Nürnberg und sind hier, um eine ganze Woche lang über Erfahrungen zu reden. Als Referentin Petra Wlecklik von der Bildungsstätte Sprockhövel jedoch über "alltäglichen Rassismus" in den Betrieben spricht, kommt Empörung auf. - "Bei uns ist es nicht so!" Petra Wlecklik beugt sich vor: "Lasst uns streiten, das ist besser, als die Dinge unausgesprochen wieder mit nach Hause zu schleppen." Einer nach dem anderen steht auf, um seinen Umgang mit ausländischen Kollegen, seinen Betrieb, seine Kollegen zu verteidigen. Triumphierend meint ein Betriebsratsvorsitzender: "Bei uns ist Blut nur geflossen, als sich in den Umkleideräumen Griechinnen und Türkinnen eine Messerstecherei geliefert haben." Ist da ein geheimes Vergnügen herauszuhören? Weil es die Anderen sind, die sich unzivilisiert verhalten? Die schwarzhaarigen, schönen Weiber aus dem Süden? Auch gewalttätige Konflikte zwischen Kurden und Türken, zwischen Kroaten und Serben haben die Betriebsräte schon schlichten müssen - aber zwischen Deutschen und Ausländern? Nein, schon lange nicht mehr.
Eine Studie von Infratest/dimap besagt, dass bei jungen Gewerkschaftsmitgliedern in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen 32 Prozent dazu neigen, rechtsextrem zu wählen, unter allen gleichaltrigen Befragten aber nur 17 Prozent. Diese Schere schließt sich, je älter die Befragten werden. Ab 45 Jahren gehören sowohl sieben Prozent aller Befragten wie sieben Prozent der Gewerkschafter zum rechtsextremen Wählerpotenzial, erst ab 60 würden weniger Gewerkschafter rechtsextrem wählen als alle Befragten (3 : 4 Prozent). Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft sei keine Hürde für die Wahl einer rechtsradikalen Partei, schließt die Studie vorsichtig. Dies war schon bei der Bundestagswahl 1998 zu beobachten. Damals stimmten unter den 18 - 24-jährigen Gewerkschaftsmitgliedern im Osten 27 Prozent für rechtsextreme Parteien, im Westen 10.
Eher würden sich jetzt die "alten Gastarbeiter" mit den Deutschen gegen die "neuen Einwanderer" solidarisieren. Die kommen aus Kasachstan, dem ganzen Osten. Es sind jene Fremden, denen bei Ankunft gleich die deutsche Staatsangehörigkeit überreicht wird, nach dem Einbürgerungsprinzip der Blutsabstammung. Kulturell sind sie den Deutschen ähnlich unbekannt wie Sizilianer, Serben, Spanier, wie das ganze ungeheure Volk der "Gastarbeiter" in Deutschland. Die "Neuen" stoßen auf die ablehnende Front der "Alteingesessenen", aus welchem Land sie ursprünglich auch immer stammen mögen. Sie verteidigen gemeinsam die raren Jobs gegen alle, die ihnen als Bedrohung erscheinen.
Ausbalancierte Ausgrenzung
Gewerkschaften haben eine Schutz-Funktion. Junge Facharbeiter schreiben sich nicht zuletzt aus diesem Motiv bei ihnen ein. Bei Befragungen wird offensichtlich, dass sich gewerkschaftlich organisierte Jugendliche mehr bedroht fühlen von "Arbeitslosigkeit", von "Verteuerung des Lebens" als andere. Außerdem erfahren sie schon als Auszubildende oft recht bald, welche Unterschiede es bei der innerbetrieblichen Rangordnung von ausländischen und deutschen Mitarbeitern gibt. Wen kann da überraschen, dass sie sich von den Gewerkschaften auch Schutz vor ausländischer Konkurrenz erhoffen - zumindest den Erhalt des Status quo? Sie fühlen sich dabei vollkommen im Einklang mit den Gesetzen in Deutschland, denn das geltende Recht unterscheidet von vornherein zwischen "deutschen" und "ausländischen" Arbeitskräften. Daran ist man gewöhnt. An einen neuen Arbeitsplatz werden "Ausländer" bekanntlich erst vermittelt, wenn kein Deutscher ihn will. An dieser "ausbalancierte Ausgrenzung" soll nicht gerüttelt werden.
In der Wirtschaft ist ähnlich wie in der Politik ein rassistisches Prinzip der Unterbau des Ganzen. Dagegen zu sein, verlangt schon ein erhebliches Engagement. Als am 1. August 2000 die erste Green Card überreicht wurde und Bilder davon auf den Titelseiten erschienen, war zugleich im Wirtschaftsteil zu lesen, rechtsradikales Auftreten im Betrieb müsse vor den Arbeitsgerichten als Kündigungsgrund gelten. Auf einmal wollten Medien, Regierungen und Wirtschaftsverbände die Gesellschaft gegen Rechts mobilisieren. Ein verblüffender Vorgang, die Heuchelei dabei wäre kaum zu ertragen gewesen, hätte dies alles nicht vor allem eines bewirkt: Es meldete sich ein klares Interesse, also gab es Geld für Initiativen, Untersuchungen, pädagogische Modelle, Raum in den Medien für Aufklärung.
Auch die Gewerkschaften betrieben die Auseinandersetzung mit den rechten Tendenzen viel energischer als das bis dahin der Fall war. Sie betrachteten Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit als Ideologie, die bevorzugt den Globalisierungsverlierern angeboten wird - ein Anachronismus, der aber verfängt, überall in Europa. Die Gewerkschaften begriffen ihre außergewöhnliche Verantwortung, damit niemand sich einbilden konnte, mit Losungen wie "Arbeit nur für Deutsche" in ihren Reihen am richtigen Platz zu sein. Nur sind Aktionen und gewerkschaftliche Bildungsarbeit kaum öffentlichkeitswirksam, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass der Abstand zwischen den Gewerkschaften und einer kritischen Öffentlichkeit wieder viel größer geworden ist. Ein Grund dafür mag die gewerkschaftliche Praxis sein, zuerst einmal den eigenen Funktionärskörper für das Problem zu sensibilisieren - wie es auf der Tagung der Metaller in Lohr geschieht.
Eine Schrecksekunde
Gegen die Rund-um-Verteidigung vieler Betriebsräte, die den Konflikt so lange wie möglich von sich fernhalten wollen, bekommen in der IG Metall-Schule diejenigen Unterstützung, die schon längst hellhörig geworden sind. Vor allem eines wird deutlich: Im Betrieb gelten andere Regeln als in Kneipen oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Zivilcourage ist hier noch schwerer einzulösen als anderswo. Im Unternehmen hat man Tag für Tag hautnah miteinander zu tun. Wie also können Bewusstsein und Souveränität des Einzelnen so gestärkt werden, um einzugreifen, wenn während der Frühstückspause wüste rassistische Bemerkungen fallen?
Oder auch bei Gewerkschaftsschulungen. Werner Neumann, damals Tagungsleiter, beschreibt so einen Fall: "Die erste Reaktion ist eine Schrecksekunde. Die Frage heißt: Soll ich ein Machtwort sprechen? Manche wünschen es sich, andere fürchten es, weil sie möglicher Weise ähnlich denken." Neumann steht unter Erwartungsdruck, auch die Ansprüche an sich selbst bedrängen ihn. Er weiß um die Meinung der Organisation, dass so etwas in ihrem Hause nicht stattfinden darf. Ist die Schmerzgrenze erreicht? Die sieht Neumann in wirklicher Gewalt oder Demütigung von Anwesenden. Er will deshalb dem Druck widerstehen und "nicht draufkloppen", sondern klären.
Der betreffende Teilnehmer kommt, wie sich herausstellt, aus einem kleinen Nest, in dem es ein großes Asylbewerberlager gibt, und hat etliche Konflikte erlebt. Er regt sich über die Ahnungslosigkeit auf, mit der oft das "multikulturelle Nebeneinander" gepriesen werde. Er weiß, dass er ein Tabuthema berührt, daher die Aggression von Anfang an. Ein aktiver Rechtsextremist ist er nicht. Aber gehört er zum Bodensatz, aus dem solche Bewegungen entstehen?
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