Angst

Linksbündig Bei Opel und Karstadt wird der Fordismus abgewickelt

Als Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts den 8-Hours-5-$-Day verkündete, hatte er dem nach ihm benannten Modell des Fordismus eine durchschlagende Formel geliefert. Steigende Löhne und sinkende Preise sollten garantieren, dass die Arbeiter die von ihnen produzierten Produkte auch kaufen konnten. Der Konsument war geboren und dazu die Forderung, jeder solle sich der Theorie und der Tendenz nach alles leisten können, eine wirkungsvolle Massenutopie des 20. Jahrhunderts, neben der und natürlich als Ersatz für die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft.

So richtig hat sich noch nicht herumgesprochen, dass diese Zeit vorbei ist. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Susan Buck-Morss hat den Abschied von der Utopie des Massenkonsums in Dreamworld and Catastrophe (Freitag 13/2001) beschrieben, aber leider wird ihr Buch nicht übersetzt. Ob sich, wenn mit Karstadt und jetzt mit Opel die Marken der Mittelklasse abgewickelt werden, diese Erkenntnis durchsetzen wird, ist sehr fraglich. Den Arbeitern zu vermitteln, dass sie nicht mehr für ihren Konsum oder andere Ideale der Mittelklasse, für eine sichere Rente, Versorgung und sozialen Aufstieg der Kinder, schuften, sondern für den Börsenwert des Unternehmens und den Export, ist eine undankbare Aufgabe. Entsprechend glücklich sehen sozialdemokratische Politiker derzeit auch aus, wenn sie ihre Gesichter in die Kameras halten und erklären müssen, dass das Arbeiten für den Standort oberstes Gebot ist und ein Streik eine schlimme Sache.

Die Rede von den "Managementfehlern" ist nur eines von zahlreichen Ablenkungsmanövern, um die unangenehme Wahrheit nicht aussprechen zu müssen, und nicht einmal ein besonders gelungenes. Bei näherem Blick verbirgt sich dahinter lediglich die Einsicht, die Unternehmen hätten früher den Trend erkennen, die Produktion von Mittelklassewagen reduzieren und auf Luxusschlitten setzen müssen. Offenkundig setzen Politiker und Wirtschaftler darauf, dass die Zeit nicht für Einsichten und Erkenntnisse reif ist; Wut wird umgelenkt, so auf General Motors, dem der deutsche Arbeiter egal ist.

Zwar wird mit dem Massenkonsum eine Errungenschaft der Moderne abgeschafft, aber etwas anderes kehrt wieder. Häufig wurde als eines der hervorstechendsten Merkmale dieser Epoche die Angst beschrieben, wie sie zum Beispiel in den Bildern Munchs, den Romanen Kafkas zum Ausdruck kam. Der Fordismus war seinerzeit der Ausweg aus der Krise und führte zu einem stabilen Modell. An seinem Ende wird allen eingebläut, wie ungesichert der Arbeitsplatz ist, wie wankelmütig das internationale Kapital bei der Suche nach möglichst billigen Bedingungen. Keine Expertenrunde findet statt, ohne dass alle einmal die missliche Lage beklagen und dann hilflos mit den Schultern zucken. Keine Nachrichtensendung findet statt, in der nicht ein Opel-Arbeiter von seiner Angst um den Arbeitsplatz und wenig später ein Hartz-Opfer von seiner Existenzangst berichtet, und die Medien, die dieses Gefühl massiv anheizen, werden diese Berichterstattung fortsetzen.

Langfristig, so ist zu erwarten, kann eine demokratische Gesellschaft, die auf Arbeitsdisziplin und Angst aufgebaut ist, nicht funktionieren. Der Mittelklasse kommen ihre langjährigen Konsumsymbole abhanden und alle, die noch arbeiten, sparen aus Angst, verharzt zu werden, die paar überschüssigen Kröten. Ebay böte sich als kompensatorische Übergangslösung an. Die Zirkulation des bereits Gekauften mag eine Weile als Illusion beständigen Neuerwerbs durchgehen. Aber irgendwann wird eine Neubesetzung der kollektiven Fantasie erfolgen und etwas anderes an die Stelle des Konsumismus treten müssen. Heute wieder wieder für den Standort gearbeitet und dann im Internet zwei Transaktionen getätigt - auf Dauer ist das arg wenig.

Jetzt wird überall der intelligente Kapitalismus gefordert, etwas, das man sich vielleicht als E.T. mit einem neuen Porsche vorstellen kann. Kluge Manager vermeiden zukünftig Überproduktionen und werden, wie der Soziologe Dirk Baecker es fordert, mit dem Gedanken der Kontingenz vertraut gemacht, damit hinten eine Intelligenz der Standorte herauskommt. Die Grenze zur Satire verschwimmt, aber was sollen sie auch schon sagen? Sie könnten natürlich den Sozialismus fordern und hoffen, dass als immanente Lösung eine sozialverträgliche Lösung entwickelt wird, aber das ist derzeit unpopulär. Das System hat sich als alternativlos deklariert, das heißt es muss simulieren, es gebe immanent eine bessere Lösung, und das ist etwa so als hätte sich Doktor Frankenstein wieder ein paar neue, viel versprechende Ersatzteile beschafft.


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