Bloß keine Strukturen

Wirtschaft George Clooney darf schon mal eine Bank sprengen, Jérôme Kerviel wird als Betrüger gebrandmarkt

Gäbe es eine Möglichkeit, Wörter an die Börse zu bringen und wie Finanzderivate zu handeln, hätte die Formulierung "housing bubble" in den vergangenen Jahren so manchen Anleger glücklich machen können. Eine Untersuchung der großen amerikanischen Zeitungen ergab, dass dieser Terminus ab 2004 häufig, zeitweise sogar inflationär verwendet wurde und allein zwischen März und Juni 2005 eine Hausse von über 1.000 Prozent erfuhr. Wo die Existenz einer Spekulationsblase offenbar ist, kann ihr Platzen überraschend nicht sein.

Hunderte von Milliarden Dollar sind nicht mehr da, wo sie eben noch waren. Wer letztlich die Rechnung bezahlen muss, wie derartige Krisen vermieden werden könnten - darüber darf nicht gesprochen werden, nicht zuletzt, um eine linke Hoffnung, in der Krise erweise sich die Untauglichkeit tiefer sitzender Strukturen, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Ergo werden enorm viele Worte gemacht.

Ein Stereotyp ist das vom Versagen der Finanzmärkte. Wer dieses bemüht, hat wenig über die Funktion von Börsen nachgedacht. Doug Henwood, der Herausgeber des Left Business Observer und Autor eines bemerkenswerten Buches über die Wall Street hat dazu geschrieben: "Eine Sache, die die Finanzmärkte nur zu gut verstehen, ist die Konzentration von Reichtum." Ob aber die aktuelle Krise der weiteren Konzentration von Reichtum ab- oder zuträglich ist, darüber wird nicht geredet, und was geredet und geschrieben wird, ist angetan, diesen kritikwürdigen Zustand zu verfestigen.

Die Erzählungen über den "Crash" lehnen sich an geläufige Muster an und modifizieren sie. Jérome Kerviel, der die französische Großbank Société Générale um ein paar Milliarden prellte, ist zum Beispiel ein Glücksfall für die Wirtschaftspresse. Händler betrügt Riesen-Bank lautet eine Schlagzeile, in der noch die Empörung darüber mitschwingt, dass ein No-Name einen Global Player reingelegt hat. Im Kino existiert ein eigenes Genre über dieses Motiv, das Caper-Movie, in dem einnehmende Erscheinungen wie George Clooney oder Brad Pitt in den Ocean-Filmen Superreichen ein wenig Geld aus den Rippen leiern und es am Ende wenigstens ein paar Sympathen gibt, die auch unter Palmen dem Wohlleben und Nichtstun nachgehen dürfen. Die mehr als klammheimliche Freude darüber wird jetzt exorziert. Eine "Riesen-Bank" wurde geschädigt, Skandal!, - und dann wird der verantwortliche, arme Kerl, der "betrügerische Einzeltäter", in den Gazetten geteert und gefedert. Kerviels Vorgänger Nick Leeson galt als ein Volksheld. Aber so etwas darf nicht allzu laut gesagt werden, denn die Société Générale ist eine ehrenwerte Bank.

Schwerer wiegt die Hypothekenkrise in den Vereinigten Staaten. Sie könnte nicht nur die Konjunktur abwürgen, sondern heimische Arbeitsplätze gefährden. Es besteht verschärfter Erklärungsbedarf. Nimmermüde wird erklärt, wie amerikanische Immobilienbesitzer sich verschuldeten, mit billigen Krediten zum Hauskauf gepresst wurden, um der Versuchung zu erliegen und jetzt die Weltwirtschaft zu gefährden - es sei denn, sie finden weiterhin einen Weg, viel zu konsumieren und die globale Ökonomie zu retten. Kurt Tucholsky schrieb 1931: "Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten." Heute ist sie noch viel verflochtener, und deshalb warnt eine große deutsche Tageszeitung mit einem in der Wirtschaftspresse üblichen, kuriosen Bild, die Eigenheimbesitzer in Missouri und Arkansas würden einen "Schatten auf die deutschen Lohnverhandlungen werfen".

Ob Kerviel oder die Hausbesitzer in Missouri - ökonomische Strukturen sind es in keinem Fall. Um Gottes willen, nur keine Strukturen. Strukturen sind Kommunismus. Sollen jetzt deutsche Arbeiter nach Arkansas fahren und die Schuldigen zur Rede stellen? Was um jeden Preis verteidigt werden muss, ist das Primat der Ökonomie über die Gesellschaft. Deshalb ist alles, was über Komplexität, Risiko, "Risikokontroll- und Risikomanagementsysteme", geschrieben wird, nur Teil eines neoliberalen Diskurses, an dessen Ende die weitere Konzentration von Reichtum steht. Für Börsianer besteht also kein Grund zur Aufregung.

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