Dämonen

Linksbündig Wer toleriert, will toleriert werden

Tolerant sind die Schwachen. Sie wissen, dass sie selbst darauf angewiesen sind, toleriert zu werden, und offerieren freimütig diese Gunst auch anderen. Inhaber von Machtpositionen sind im Allgemeinen nicht tolerant, auf jeden Fall endet ihre Bereitschaft, sich generös zu geben, wenn ihre Herrschaft in Frage gestellt wird. Toleranz gedeiht unter Gleichgesinnten. Den bürgerlichen Aufklärern war das klar, und so steht in Diderots Enzyklopädie, Toleranz sei "die Tugend jenes schwachen Wesens, das dazu bestimmt ist, mit Wesen zusammen zu leben, die ihm gleichen". Diese Aufklärer konnten den Begriff in der Öffentlichkeit durchsetzen. Seit ihrer Zeit kann es sich niemand mehr leisten, nicht tolerant zu sein, ohne den Tyrannenverdacht am Hals zu haben.

Dann ist das breite, kulturelle Konzept der Toleranz als allgemeines Verhalten unter differenten sozialen Gruppen als Tolerierung in den Parlamenten aufgetaucht und merkwürdige Kapriolen sind zu beobachten, etwa in Hessen. Die Grundannahme lautet: Eine politische Gruppierung, die die Tugend der Toleranz ausübt, kann nicht aus sich heraus schlecht sein. Sie ist nicht selbst an der Macht, das ist ein Vorteil. Macht korrumpiert, das weiß man, das muss nicht mehr bewiesen werden. Der politische Gegner dieses Modells steht vor einer schweren Aufgabe, denn er darf mit einer konkreten politischen Diskreditierung der Tolerierung von Rot-Grün in Hessen nicht die Toleranz diskreditieren. Hinzu kommen regionale Eigentümlichkeiten. Amtsinhaber Koch ist die Fleisch gewordene No-Go-Area. Selbst Parteifreunde mögen ihn in zunehmender Zahl nicht mehr tolerieren.

Toleranz ist ein positiv besetzter Begriff, der seine Ausstrahlungskraft noch in der politischen Ableitungsform der Tolerierung besitzt. Wer sie torpedieren will, braucht Gegenkonzepte. Eines bemüht die parlamentarisch unverzichtbare "Verlässlichkeit". Ihr zufolge ist eine Regierung nur dann akzeptabel, wenn ordentliche Koalitionsverträge aufgesetzt werden, die dann bei der nächsten "Reform" zu Makulatur gemacht werden können. "Verlässlichkeit" ist in den Parlamenten ein Codewort für konformistisch. Die Klage der konservativen Parteien über eine Abhängigkeit von Rot-Grün gegenüber der Linken leitet direkt über zum Zentralkonzept der Dämonisierung. Toleranz als republikanische Tugend hatte sich gegen fanatische Intoleranz der Kirchen etabliert. Als legitim allerdings gilt im Zeitalter moderner Republiken demokratische Intoleranz, wenn sie fanatischer Intoleranz begegnet. Für Chefdämonisierer Koch sind alle anderen Kommunisten. Ein Hilfsdämonisierer wie Wulff fügt hinzu, die Linke "flirtet weltweit mit Extremisten wie der PKK, der ETA und der Hamas". Zur Metaphorik: Andrea Ypsilanti wurde häufig vorgehalten, sie lege sich mit der Linken "ins Bett" - als wollten die Dämonisierer an sich selbst demonstrieren, dass Toleranz ihre Grenzen hat.

Das Grundproblem aber bleibt. Toleranz ist eine Tugend der Schwachen, wer nur toleriert, ist nicht gefährlich. Doch wer toleriert in Hessen wen? Diese Tugend beruht auf gegenseitigem Respekt und der Bereitschaft andere, fremde, sogar konträre Positionen zu akzeptieren. An der Bereitschaft der Linken hierzu besteht kein Zweifel. Aber wer die Schriften der bürgerlichen Aufklärer studiert, erkennt, dass derjenige, der jemanden toleriert, seinerseits auch toleriert werden will. Insofern enthält der in Hessen gefasste Tolerierungsbeschluss der Linken eine Bitte an die anderen, gleiches zu tun.

Das Dilemma war bereits den französischen Enzyklopädisten bekannt. Was tun, wenn der Tolerante nicht toleriert wird - oder allenfalls dann, wenn er genauso ist wie die anderen, und nicht auch nur ein wenig anders? Dann ist Tolerierung in der Tradition von Toleranz bereits gescheitert und es braucht nicht einmal eine Intrige der Schröderpartei, um sie erneut zu metzgern.

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