Friseur des Grauens

Ratlos Die Ausstellung "Die Jugend von heute" in der Frankfurter Schirn Kunsthalle

Generalisierende Aussagen über die junge Generation zu machen, ist heute ebenso aussichtslos wie beliebt. Immer wenn, wie in Frankreich anlässlich der Krawalle in den Vorstädten oder dem Fall der Rütli-Schule in Neukölln, Jugendliche in den Fokus einer empörten Öffentlichkeit geraten, erklären Emissäre, was davon zu halten ist. Vielleicht ist es nicht einmal schlecht, eine Ausstellung über Die Jugend von heute mit einem Stoßseufzer wie diesem zu beginnen und sofort auf alle Jugend-Interpreten auszudehnen.

Aus der Vergangenheit überlieferte Erklärungsmuster greifen zu kurz, ein Nenner, der alles jugendbewegte, eben nicht bewegte oder gar eskapistische erfasst, existiert nicht mehr - zumindest das ist Konsens heute. Die Verschiedenheit der Lebensstile, der In-Groups, die erfolgreiche Differenzierung der Klassen, Schichten oder Gruppen haben, so scheint es, jeden Versuch der Vereinheitlichung unterbunden. Übrig bleibt allen Betrachtern allein die Konstatierung des Heterogenen, um sich danach gebeugt von der Last der Vergeblichkeit auf die Suche nach Gemeinsamkeiten zu begeben.

Die Ausstellung in der Frankfurter Schirn kann immerhin für sich verbuchen, sich dieser Dilemmata bewusst zu sein. Der Kurator Matthias Ulrich ist in den Ateliers mehr oder weniger bekannter Künstler fündig geworden; außerdem wurden etwa zwei Dutzend Aufträge, zu diesem Thema etwas zu produzieren, an Künstler vergeben, die noch nicht bekannt und dem Jugendalter nicht allzu ferne sind. Der Leiter der Schirn, Max Hollein, verkündete frohgemut, Jugend sei heute sowieso altersunabhängig zu betrachten, eben ein "kultureller Raum", den unterschiedlichste Populationen bevölkern.

Für eine Ausstellung wie diese ist das eine denkbar günstige Sicht der Dinge, und es ist tatsächlich eine, die vieles ermöglicht. Die Ausstellung ist zunächst einmal unübersichtlich, teilt sich in mehrere Räume, die ihrerseits unterteilt sind. Sie werden von allerlei Nischen und Boxen, in denen Videos laufen, Bilder hängen oder Installationen zu sehen sind, unterbrochen. Einige Motive kehren wieder. Mit ihren dem Jugendstil und der Dekadenz-Bewegung der Wiener Moderne verpflichteten Bildern, dem gruftigen Ambiente gibt Iris van Dongen einen Fixpunkt vor. Vor allem Totenschädel werden häufiger wiederkehren. Rachel Howe steuert Variationen von Suiziden bei, Joe Andoe bildet versonnen und orientierungslos blickende Mädchen ab, die mehr in sich hinein als in die Welt hinaus starren. Die Blicke der Jugendlichen richten sich entweder direkt und herausfordernd auf den nach Deutungen und verallgemeinerungsfähigen Aussagen suchenden Betrachter oder sie verlieren sich im Irgendwo der Nicht-Orte. In die Zukunft, jedenfalls in eine, die einen interessierten oder einen erwartungsvollen Blick verdiente, sieht niemand.

Die glitzernden Oberflächen der bekannten Leuchtkästen Daniele Buettis werden konterkariert von den fein ziselierten Papierschnitten Amie Dickies, Morbidität ausschwitzende Vampirladies, die ungeheuer dekorativ wirken. Bereits am Eingang thronten zwei Menetekel. Gavin Turks Che von 1999, eine unter Glas ausgestellte Figur mit Pistole, ein Relikt aus einer anderen Zeit, das sich zu Recht im Museum befindet. Nur das Schild "Bitte nicht berühren" fehlt.

Mehr Berührungspunkte könnte es mit Bjarne Melgaards Untitled geben, einem Bewohner des Planeten der Affen, der dem Besucher den Stinkefinger entgegen reckt und mit Graffiti übersprüht ist. Popkultur also, womöglich sogar rebellisch. Das Duo Abetz/Drescher fügt noch ein Bild hinzu, das die jungen Stones, die Zertrümmerung einer E-Gitarre, vorzeigt, Matthew Greene ein Plattencover, das wie eine Kompilation bereits im Schrank vor sich Hinstaubender wirkt, eine Mischung aus Led Zeppelin und Kiss - zwei Objekte, die wirken, als wären sie aus der zuvor gezeigten Ausstellung Summer of Love - Psychedelische Kunst (Freitag 3/2006) hängen geblieben. Revolte war einmal, ist heute nicht mehr zu haben.

Natürlich fehlen auch Hinweise auf die neuen Technologien nicht, die angeblich das zeitgenössische Leben bestimmen, aber sie bleiben dezent - vielleicht spielen sie doch keine so überragende Rolle wie vermutet. Ausgestellt hingegen werden in vielen Objekten die Jugendlichen selbst. In Anuschka Blommers und Niels Schumms Class of 1998 werden Fotografien von Schulmädchen gezeigt, die in ihrer Buntheit, vor allem ihren schauderhaften Frisuren, die besseren Falls einem medialen Vorbild abgeschaut, im schlechteren hingegen einem Friseur des Grauens geschuldet sind, nur mehr entsetzen. Wer hat ihnen das angetan, das ist hier die Frage, die immerhin zu der Einsicht führt, dass Jugend auch immer die sind, die zum Objekt zugerichtet werden sollen, damit sie zum Beispiel gut funktionierende Erwachsene und Konsumenten werden. Wie beginnt noch Sartres Der Idiot der Familie? "Als der kleine Gustave Flaubert, verstört, noch ›tierhaft‹ aus dem frühkindlichen Alter auftaucht, erwarten ihn die Techniken." Und zu denen gehört heute eben auch eine Jugendforschung, die allein schon aus kommerziellen Aspekten heraus betrieben werden muss.

Wer in dieser Ausstellung fehlt, jedenfalls in dem Sinne, dass er nicht gezeigt wird, sondern hinter den Objekten und Objektiven verschwindet, ist der Erwachsene, der von diesen Kids etwas will. In L.A. Ravens Video TestRoom stecken einige junge Frauen in einem Zimmer, in Unterwäsche oder Bikini, mit Alkohol, Zigaretten karg versorgt. Sie werden beobachtet, wissen nicht, was sie tun sollen, wechseln gelegentlich ein paar Worte oder stieren vor sich hin. Sie wissen natürlich, dass sie beobachtet werden, ziehen daraus aber weder ein Vergnügen noch begehren dagegen auf. Sie sind nummeriert, tragen eine Zahl auf dem Arm. Andere junge Frauen, etwa bei Lauren Greenfield, bieten sich, mehr oder weniger Lolita, dem Fotografen dar. Auf einem Foto kommt kurz das Kameraobjektiv in den Blick.

In ersten Reaktionen auf diese Ausstellung wurde bezweifelt, dass sie kulturellen oder soziologischen Aufschluss über die Jugend von heute gibt. So ist sie wohl also gelungen, diese Ausstellung, und die Unübersichtlichkeit ein cleveres Arrangement? Wer durch die Räume streift, weiß nicht genau, wo sie endet, ob es nicht vielleicht hinter der nächsten Ecke weitergeht, in der nächsten Box womöglich die ultimative Installation zum Vorschein kommt, die den Schlüsselbegriff oder das Emblem liefert, die in die neugierige Welt getragen werden können, damit "die Techniken" (Sartre) sich der Jugend klassifizierend und damit disziplinierend annehmen. Wenig überraschend tritt dieser Effekt nicht ein.

In der Frankfurter Schirn ist nichts wirklich Überraschendes, aber einiges Konventionelle zu sehen. So gibt es erwachsene Künstler, die Jugendliche zeigen, die den Erwachsenen sagen oder zeigen, was die hören oder sehen wollen. Aber die Ratlosigkeit, die aus der Summe der Ausstellungsobjekte spricht, ist ein erster Schritt. Die "Jugend von heute" ist hier nicht richtig in den Griff zu bekommen. Wenn Jugendliche überlegen, wie sie den "Techniken" der Erwachsenen entkommen können, könnte dies für sie ein ermutigendes Resümee sein.

Die Jugend von heute. Ausstellung in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, noch bis 25. Juni, Katalog, Verlag Walter König, 29,80 EUR


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