Rohstoff Vertrauen

Finanzchaos Nicht nur der Markt lebt davon, auch die Gesellschaft

Meine Herren! In Geldfragen hört die Gemütlichkeit auf!". So sprach der Finanzminister. Dann forderte er die "Wiederherstellung des gestörten Vertrauens" durch die "Stärkung der Staatsmacht". Der Mann hieß weder Steinbrück noch Paulson, obwohl beide genau dasselbe auch heute noch sagen könnten. 1848 versicherte der preußischen Finanzminister Hansermann seinem Volk, er verfüge über das Mittel zur Bewältigung der Krise, nun müsse nur noch die Allgemeinheit dem Staate Vertrauen entgegenbringen, dann werde es schon wirken. Einer allerdings zweifelte: Ein Redakteur der Neuen Rheinischen Zeitung namens Marx. Er kritisierte, der Minister "belastete die Bourgeoisie mit den unerschwinglichen Millionen, welche die Restauration der preußischen Feudalherrschaft kostet".

Damals herrschte keine umfassende Finanzkrise, aber die rhetorischen Zutaten der öffentlichen Debatten haben sich kaum verändert. Kein Artikel kommt heute ohne die Beschwörung aus, dass Vertrauen unbedingt nötig sei - Vertrauen ist die entscheidende psychologische Währung in der großen Krise. Bilder werden aus den Archiven gekramt, wie gegen Ende der Weimarer Republik die Sparer die Banken stürmten, um ihre Einlagen zu sichern - und damit das System vollends zum Absturz brachten, wie kein Kommentator anzufügen vergisst. Der Staat ist der Akteur der Stunde, und selbst das Stichwort von der Feudalherrschaft wirkt nicht mehr abwegig, seit von einer Refeudalisierung des Kapitalismus durch eine ungezügelte Konzentration von Reichtum und Macht die Rede ist.

Vertrauen ist zwar das Schlüsselwort der gegenwärtigen Debatten, gleichzeitig aber auch das Problem. Noch das Wort von der Staatsgarantie, das Merkel und Steinbrück eilig in Umlauf setzten, verrät etwas von der historischen Tradition. Staatsvertrauen, von der Untertanenseligkeit wilhelminischen Angedenkens bis zur politischen Stabilität nach 1945, war ein Rohstoff, der scheinbar beliebig nachwuchs und durch jede Krise trug. Nur gilt das nicht mehr. Erst Schwarz-Gelb unter Kohl, dann Rot-Grün unter Schröder haben diese Tradition beendet und erfolgreich an die Wirtschaft verwiesen. Das durch das Tempo einer Finanzkrise rapide sich auflösende Wirtschaftsvertrauen kann jetzt aber nicht mehr einfach durch das alte Staatsvertrauen ersetzt werden. Noch die rhetorischen Floskeln beweisen das. Peer Steinbrück möchte einen "Schirm über ganz Deutschland spannen". Einen Regenschirm? Einen Raketenschirm? Schon mal was von Globalisierung gehört?

Aber vielleicht hat es ja sein Gutes, dass dieses Staatsvertrauen aufgebraucht ist - und es wäre auch falsch, diesen Mangel dem fehlenden Format der handelnden Akteure anzulasten. Der Vertrauensverlust hat tief sitzende Wurzeln. Geld funktioniert nur mit Vertrauen, die moderne Gesellschaft nur mit Geld. Seit der einfache Warentausch durch das Geld abgelöst wurde, müssen sich die Akteure darauf verlassen können, für Papiergeld, Schecks und Cybermoney einen adäquaten Gegenwert zu erhalten. Kann eine Gesellschaft das nicht mehr garantieren, riskiert sie den Kollaps, also reagiert ihren Repräsentanten im Krisenfall schnell hysterisch.

Kollektive Ängste sind dann sehr leicht zu mobilisieren. Es ist schon erstaunlich, wie schnell der brave deutsche Michel, bis vor kurzem noch der letzte Trottel, weil er auf popelige Sparzinsen setzt, von der Kreisklasse in die Champions-League öffentlicher Aufmerksamkeit katapultiert wird. Crash-Phantasien blühen - der Spiegel sieht bereits versagende Geldautomaten am Horizont, Geschäfte könnten nur noch gegen Bares getätigt werden, der gute alte Naturalientausch komme wieder, der Schwarzmarkt, die ganze Palette.

All das soll helfen, den Staat als Heilsbringer zu lancieren. Aber dieser Staat müsste zuerst selbst unter Kontrolle gestellt werden. Dazu bedarf es eines neuen Urvertrauens, das wirklich eine emanzipatorische Wirkung entfalten kann. Vertrauen in Geld, Kredit oder Währung ist etwas sehr Funktionalistisches, Vertrauen in Politik die passive Tugend des Kleinbürgers, der aktuell als Sparer mit Sedativa gefüttert wird.

Dieses Urvertrauen ist kein politisches oder ökonomisches, sondern soziales Kapital, das Einzelne oder Gruppen sich langsam erarbeiten müssen. In den siebziger Jahren gab es Bildungschancen für alle und Gesundheit war bezahlbar. In den achtziger Jahren begann der systematische Abbau. Wenn jetzt die Macht in Wirtschaft und in Politik Verfallserscheinungen zeigt, ist das eine gute Gelegenheit, dieses Urvertrauen wiederherzustellen. Nämlich das Vertrauen darin, dass es in der Gesellschaft einigermaßen gerecht zugeht und niemand im Elend leben muss.

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