Blockierte Arabellion

Krisenproteste Scheitert die Arabellion in Nordafrika oder steht sie vor einer neuen Etappe der strategischen Neuausrichtung und Reorganisierung?

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Der „Sturm auf das Winterpalais“ war in Nordafrika möglich, da die Regime kaum über Einbindungspotenziale der breiten Massen verfügten, sich nicht auf eine entwickelte Zivilgesellschaft stützen konnten, und mit dem relativen Desinteresse des sie lange stützenden transnationalen Blocks konfrontiert waren. Im Moment zivilgesellschaftlicher Erhebung blieb den Regimen nur der Repressionsapparat. Das Militär, in Ägypten und Tunesien mit den Machthabern verflochten, musste jedoch befürchten, mit ihnen in die Tiefe gerissen zu werden, sollten die Revolten Erfolg haben. Die Risse im Machtblock führten zum Bruch; das Militär sicherte seinen Einfluss, indem die alten Potentaten geopfert und der Machtblock neu zusammengesetzt wurde – damit die Revolution passiv bleibt und radikalere Veränderungen verhindert werden. Für die Entwicklungen in Ägypten und Tunesien begünstigend war, dass von Seiten des transnationalen neoliberalen Blocks eine Aussicht auf formale Demokratisierung befürwortet wird. Man konnte mit den Diktatoren gut leben, mit „freien und demokratischen“ Marktwirtschaften lassen sich bessere Geschäfte machen, so die Hoffnung.

„Islamisten“ versus „Säkularisten“?

Doch bekanntermaßen brachte die Revolution in Tunesien jene an die Macht, die nicht Teil der Revolution waren: die islamisch orientierten Kräfte. - In Tunesien konnten bislang weder die Gewerkschaften, die alten linken oder liberalen Organisationen, noch die Vielzahl neuer Netze und Zirkel von Bewegung auf die Macht der Ennahda eine organisatorische Antwort formulieren. Wie ist jenseits bestimmter urbaner Gruppen die Mehrheit im ländlichen Raum zu erreichen und in ein alternatives Projekt einzubeziehen? Zudem verstellt die Polarisierung zwischen „Islamisten“ und „Säkularisten“ den Blick auf die Probleme sozialer Fragen, die Armut und Perspektivlosigkeit, die doch den Auslöser der Revolution ausmachte. Oppositionelle wie der Linke Mohamed Brahmi fallen politischen Morden zu Opfer, während der Prozess stagniert. Die Arbeit der Verfassungsgebende Versammlung ist ausgesetzt. Der Oppositionszusammenschluss der Nationalen Heilsfront kritisiert Misswirtschaft und Stillstand und drängt die Regierung zum Rücktritt. Die einflussreichen Gewerkschaften der UGTT versuchen zu vermitteln. Neuwahlen zum Jahreswechsel sind denkbar: sie sollen am 17. Dezember stattfinden. Fraglich ist, ob die Opposition eine Mehrheit erringen kann.

Der „Bonarpartistische Coup“

Diese Probleme stellen sich auch in Ägypten. Hier trieb die Polarisierung angesichts des Autoritarismus der Regierung Mursi die Reorganisation der Revolutionsbewegung voran, ohne das die ungelösten Fragen von Armut und Existenznöten untergepflügt wurden. Die Tamerod(Rebellions)-Bewegung hat die oppositionellen Kräfte angesichts der Selbstlähmung des Bündnisses von linken und liberalen Gruppen und Parteien neu mobilisiert. Sechs Monate von beeindruckenden Aktivitäten und Organisationsprozessen gipfelten in einer Demonstration der Stärke am 30. Juni 2013, die „jede herrschende Klasse in Angst versetzen würde“ (Savran 2013). Mit dem Putsch gegen den formal-demokratisch gewählten (was nach 30 Jahren Diktatur nicht wenig ist), religiös-orientierten Präsidenten Mursi hat die Armee unter Al-Sisi nicht nur einen möglichen Bürgerkrieg verhindert, sondern auch den drohenden Fortgang der 2011 begonnen Revolution. Eine weitere Zuspitzung hätte nicht nur Neuwahlen und den Sieg der Opposition mit sich bringen können, sondern auch die Infragestellung der politischen und ökonomischen macht des Militärs. Doch der „Bonarpartistische Coup“ (ebd.) wurde von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt, weil der gemeinsame „islamistische“ Gegner geschlagen wurde. Erwarten sie, dass der Schlag gegen die reaktionären religiösen Kräfte, die Revolution unterstützt, indem mit den Muslimbürdern einen „Hauptfeind der Revolution" geschwächt wird (Al-Chamissi 2013)? Das Militär konnte bereits während der kurzen Zeit der Mursi-Regierung sein Ansehen als Hüter der Nation verbessern und gewann mit dem Coup zunächst weiter an Glaubwürdigkeit - „Armee und Volk, Hand in Hand“, riefen viele wieder. Die brutale Härte und die Hunderte von Toten zeigen jedoch auch den autoritären Charakter. Die Notstandsgesetze gegen die die Revolution 2011 u.a. antrat, sind wieder in Kraft. Tatsächlich richtete sich der Coup eben auch gegen die Ziele der Revolution und orientiert auf eine restaurierte Position einer zivil-militärischen Herrschaft. Al-Sisi zielt scheinbar weniger auf eine vermittelnde oder hütende Rolle des Militärs im demokratischen Spiel, als vielmehr auf die Übernahme der Macht durch einen reorganisierten zivilen Arm des Militärs mit ihm selbst an der Spitze (Herrmann 2013). Ideologisch könnte diese Restauration auf einem Neo-Nasserismus aufbauen, der die Liberalen um El-Baradei wie die Linken um Hamdeen Sabahi integriert – freilich ohne die panarabische und sozialistische Orientierung des alten Nasserismus. Damit sind die revolutionären Kräfte derzeit eingemauert zwischen den islamischen Massenbewegungen und einer erneuerten militärisch-basierten Herrschaft. Protest ist angesichts der staatlichen Repression und Ausgangssperren erschwert, die Gesellschaft tief gespalten. Zu hoffen ist, dass Sungur Savran recht behält: die Revolutionäre und große Teile der Bevölkerungen seien „voller Selbstbewusstsein und Glauben an ihre Stärke“ (2013). Sie stehen vor der dritten Etappe der Revolution, einer erneuten Reorganisierung der Kräfte.

Auszug aus: „Wo bitte geht’s zum Winterpalast?“ Transnationale Resonanzen und blockierte Transformation, erscheint demnächst in der Zeitschrift Luxemburg, H. 3-4, 2013: www.zeitschrift-luxemburg.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MarioCandeias

ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung. Wir arbeiten an sozialistischer Transformation + einer Mosaiklinken.

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