Die Empörung verpufft

Krisenproteste Es genügt nicht mehr die Zivilgesellschaft zu erobern, Plätze zu besetzen oder die Straße zu erobern. Die Bewegungen in Spanien und Portugal ringen um neue Strategien.

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Ob in Spanien, Portugal oder Griechenland, das Ergebnis erfolgreicher Mobilisierung war eben auch die Wahl rechter Regierungen, die mit noch härterer Macht Kürzungspolitiken, Abbau von Arbeits- und Sozialrechten und Privatisierungen durchsetzen. Massenproteste sind an der Tagesordnung. An den Generalstreiks und zentralen Demonstrationen nehmen Millionen teil – in Portugal mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung. Darüber hinaus genießen laut Umfragen die Proteste einen enormen Rückhalt und Zustimmung in der übrigen Bevölkerung – sie übernehmen eine (jenseits der Selbstwahrnehmung als „horizontale“, direkt-demokratische Zusammenkünfte) Repräsentationsfunktion, stärker als es die Parteien noch können. Auch die Zeitungen sind mehrheitlich gefüllt von der Kritik an der imperialen Unterwerfung unter die Troika, an der Unfähigkeit der eigenen Regierungen, an der himmelstürzenden Korruption. Insbesondere die in Spanien regierende Partido Popular (Volkspartei) hat sich durch und durch in eine unvergleichliche Spendenaffäre verstrickt. Der Rückhalt der Regierung sinkt auf ein negatives Rekordniveau. In Portugal werden Kürzungsmaßnahmen vom Verfassungsgericht zurückgenommen. Die regierende rechte Koalition wird ein ums andere mal umgebildet und müht sich ihren Zerfall zu verhindern. Selbst in Militär und Polizei mehren sich die Stimmen gegen die Regierung – Erinnerungen an die Revolution von 1974 werden wach, das alte Revolutionslied Grândola wird auf jeder Demonstration gesungen. Doch falsche Hoffnungen verbieten sich. Die beiden Regierungen sind stark geschwächt, schwanken, aber sie fallen nicht. Die transnationale Macht hält sie aufrecht. Ein autoritärer neoliberaler Konstitutionalismus in Europa verzichtet auf Konsensproduktion oder demokratische Standards und regiert – angesichts der vernichtenden wirtschaftlichen Ergebnisse - mit Hilfe einer zur Kompradorenbourgeoisie zurück entwickelten Klasse, die das Land im wahrsten Sinne ausverkauft.

Ein dekonstitutiver Prozess

Die Bewegungen versuchen sich zu reorientieren. Es genügt nicht mehr die Zivilgesellschaft zu erobern, Plätze zu besetzen, die Straße zu erobern, symbolische Aktionen durchzuführen, Zwangsräumungen zu verhindern, Bürgerbegehren zu gewinnen. Sie zielen auf einen „proceso destituyente“ (dekonstitutiven Prozess), also den Sturz der Regierung und die Auflösung des Parlaments. „Viele halten nun auch die Eroberung der institutionellen Macht wieder für wichtig. Zugleich will ein großer Teil der Bewegung weiter nichts damit zu tun haben.“ (Ruiz Luxemburg 1/2013) Der Kampf um die „Hauptquartiere“ der Macht wird entscheidend sein für die Zukunft der Bewegungen.

Dabei wird in Spanien nicht so sehr auf die (Re)Organisation einer Partei neuen Typs gesetzt, als auf eine Frente Civico, eine „zivilgesellschaftliche Bürgervereinigung“, die keine Regierung anzielt (vgl. Monereo u. Ruiz, LuXemburg 3,4/2013). Entscheidend wird sein, ob die unterschiedlichen Teile und Spektren der Bewegung, die Gewerkschaften, die Izquierda Unida und die links-nationalistischen Regionalparteien ausreichend Vermittlungen ausbilden, um gemeinsame strategische Ziele zu erreichen. Breit diskutiert wird, einen Prozess einer verfassungsgebenden Versammlung in Gang zu bringen. Der Prozess verbindet dies mit den neuen Bewegungen für reale Demokratie entsprechenden politischen Formen der horizontalen und diagonalen Beratung und Organisierung von den Vierteln und Regionen über die nationale bis vielleicht zur europäischen Ebene. Statt die Regierungsmacht zu ergreifen zielt die gesellschaftliche Mobilisierung – die konstituierende Macht – auf die Neugründung der gesellschaftlichen Institutionen – der konstituierten Macht. Doch bislang scheint dieser Prozess nicht vom Fleck zu kommen. - In Portugal stehen Kommunalwahlen und im Juni evtl. nationale Wahlen an. Doch ist bislang unklar, was nach einem Sturz der Regierung geschehen soll. Die Kommunistische Partei, der Linksblock und die Sozialistische Partei haben keine gemeinsame Regierungsperspektive. Die zivilgesellschaftlichen Alternativprozesse sind nicht entwickelt. Es mangelt an Organisationsstrukturen jenseits der beeindruckenden Proteste. Doch die ReOrganisation ist auf dem Weg (Candeias/Völpel 2014).

Auszug aus: „Wo bitte geht’s zum Winterpalast?“ Transnationale Resonanzen und blockierte Transformation, erscheint demnächst in der Zeitschrift Luxemburg, H. 3-4, 2013: www.zeitschrift-luxemburg.de

Plätze sichern! Zur Lernfähigkeit des Mosaiks in den USA, Spanien und Griechenland, von Mario Candeias und Eva Völpel (taz), erscheint im Januar 2014 bei VSA.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

MarioCandeias

ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung. Wir arbeiten an sozialistischer Transformation + einer Mosaiklinken.

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