Europas andere Spur: MigrantInnen willkommen

EU-Migrationspolitik Die Europäische Union will nun mehr hochqualifizierte MigrantInnen aus Drittländern anwerben. Während sie Zäune und Marineeinsätze gegen Geflüchtete einsetzt

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Europas andere Spur: MigrantInnen willkommen

Foto: Angelos Tzortzinis/AFP/Getty Images

Zäune und Marine-Einsätze, wie mit Geflüchteten an den EU-Außengrenzen und in den Mitgliedstaaten umgegangen wird, können wir mittlerweile täglich in Medien lesen. Gleichzeitig wirbt die Europäische Union vermehrt um hochqualifizierte MigrantInnen aus Nicht-EU-Ländern. Sie sind willkommen, die hiesigen Ökonomien zu sichern und zu stärken. So werden Menschen aus Drittländern in 'nützlich', wenn hochqualifiziert, und 'unnützlich', wenn minder qualifiziert, eingeteilt. In die, die fern bleiben sollen und die, die willkommen sind.

Ein Instrument der EU, um mehr hochqualifizierte MigrantInnen anzuwerben ist die Blue Card, ein Arbeitsvisum für hochqualifizierte MigrantInnen aus Drittstaaten. Dieses Jahr möchte die Kommission die Blue Card reformieren, um mehr hochqualifizierte MigrantInnen anzuwerben.

Im Folgenden wird erklärt, wie die EU mit hochqualifizierten MigrantInnen verfährt und was die Blue Card als Beispiel für eine Sortierung von MigrantInnen nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen ist.

Die Besten und Klügsten sollen kommen

Die sogenannte Blue Card, das europäische Pendant zur Green Card, soll das Bewerbungsverfahren für ein Arbeitsvisum in einem EU-Land für ArbeitnehmerInnen aus Drittländern vereinfachen und vereinheitlichen. Sie ist ein bis vier Jahre gültig, festgelegt vom jeweiligen Mitgliedstaat, in dem sich jemand für die Blue Card bewirbt.

Wie die Kommission in den Vorgesprächen damals 2007 verkündete, sollen „die Besten und Klügsten angezogen werden“, damit die EU „in der zunehmenden internationalen Konkurrenz“ erfolgreich ist.

Personen aus Drittländern, die sich für die Blue Card bewerben, müssen einen gültigen Arbeitsvertrag oder ein verbindliches Jobangebot vorweisen können. Dabei entscheiden die Mitgliedstaaten selbst über die Anzahl der hochqualifizierten MigrantInnen, denen sie die Blue Card ausstellen.

ArbeitnehmerInnen, die die Blue Card erhalten, haben für die Dauer dieses Arbeitsvisums die gleichen Rechte auf Krankenversicherung am Arbeitsplatz und Sozialhilfe wie EU-BürgerInnen. In Deutschland ist dies jedoch noch nicht rechtlich geregelt. ArbeitnehmerInnen aus EU-Staaten sind übrigens nicht in Gefahr, ihre Arbeitsplätze an KonkurrentInnen aus Drittländern zu verlieren, weil sie laut der Richtlinie weiterhin Vorrang auf einen Arbeitsplatz haben.

Die Blue Card soll attraktiver werden

In diesem Jahr plant die Europäische Kommission, die Blue Card zu reformieren. Sie gab 2014 zu, dass die Anzahl von qualifizierten MigrantInnen, die sich für dieses Arbeitsvisum bewarben, hinter den Erwartungen zurückblieb. Bis einschließlich 2014 waren in der gesamten EU rund 17.500 Blue Cards ausgestellt worden, davon etwa 12.000 in Deutschland.

Auch einige EU-Länder hatten die Blue Card nicht gerade begrüßt. Bis 2011 sollten die Mitgliedstaaten die 2009 in Kraft getretene Richtlinie umsetzen. Die Europäische Kommission erließ im selben Jahr Gesetzesverstoß-Verfahren gegen 20 Mitgliedstaaten, die dies nicht rechtzeitig umgesetzt hatten. In den folgenden Jahren wurden diese alle geschlossen und die Blue Card in allen Mitgliedstaaten implementiert.

Abschotten und öffnen

Für 2016 hat die Kommission dem Europäischen Parlament und anderen EU-Institutionen ein „besseres Migrations-Management“ angekündigt.

Dieses beinhaltet zwei Dimensionen: Asyl und Flüchtlinge, für die „ein Vorschlag für ein strukturiertes System der Umsiedlung von Flüchtlingen“ und die „Revision des Dublin-Systems für Asyl“ vorgesehen ist. Die zweite Dimension ist die sogenannte legale Migration, für die „weitere gesetzliche Maßnahmen“ getroffen werden sollen. Dazu gehört, die Blue Card zu reformieren.

So steht der zunehmenden Abschottung Europas für Geflüchtete die Liberalisierung von EU-Gesetzen für hochqualifizierte MigrantInnen aus Drittländern gegenüber.

Menschen, die nach Europa kommen wollen, werden dabei nach ihrem Nutzen für die europäische Wirtschaft bewertet. Die Blue Card ist ein weiteres Instrument dafür.

Dass die EU mehr Hochqualifizierte ermuntern will, hierher zu kommen liegt auch daran, dass sie damit rechnet, dass die höher Ausgebildeten eher wieder in ihre Heimatländer zurückkehren werden. Mit der europäischen Arbeitserfahrung und dem hiesigen Gehalt, so die Hoffnung, werden hochqualifizierte MigrantInnen nach einigen Jahren eher zurückziehen, als ihre Familie nachzuholen.

Die EU wird ihre Kategorisierung in nützliche und unnützliche MigrantInnen nicht aufheben, dafür ist das Vorhaben, die Blue Card zu verbessern ein Beispiel. Wenn die Kriterien der Blue Card jedoch heruntergesetzt und sie effektiver gestaltet würde, kann sie für eine größere Anzahl von Menschen eine Chance sein, nach Europa zu kommen.

Uneinige EU-Länder: Was ist hochqualifiziert?

Ein erster Schritt um mehr MigrantInnen einen legalisierten Zutritt zu den EU-Ländern zu ermöglichen wäre, die in der Blue Card-Richtlinie festgelegten Kriterien zu vereinheitlichen.

Denn den Zugangsbedingungen für die Blue Card mangelt es bisher an einheitlichen Kriterien in den Mitgliedstaaten. So gibt es etwa keine ausgearbeitete Definition, was einE „hochqualifizierteR MigrantIn“ genau ist. Auch die Bedeutungen der Geltungsbereiche, die in der Richtlinie vorkommen, etwa „höhere Bildungsqualifikationen“ oder „Berufserfahrung“ variieren in den Mitgliedstaaten, wie die Kommission 2014 zugab.

Ebenso ist die Anerkennung von Qualifikationen nicht vereinheitlicht. Bisher ist es so, dass jedes Mitgliedsland eigene Kriterien für die Anerkennung von Qualifikationen, eine Voraussetzung um als „hochqualifiziert“ zu gelten, erlässt. Gleichzeitig eröffnet das (anerkannte) Bildungsniveau einer migrierten Person ihr entweder neue Perspektiven, wie den Erhalt der Blue Card, oder weist sie zurück wenn niedriger qualifiziert.

Hinzu kommt, dass die Abschlüsse von MigrantIinnen in EU-Ländern oft nicht anerkannt oder niedriger eingestuft werden. In Deutschland arbeiteten 2013 laut OECD rund 30 Prozent der MigrantInnen in einem Job, für den sie überqualifiziert sind.

Wenn etwa andere Kriterien hinzukämen, wie Berufserfahrung in Jahren, außeruniversitäre Fortbildungen, Sprachkenntnisse, familiäre Umstände, würde die Blue Card für mehr MigrantInnen zugänglich gemacht werden.

Ein Grund für die variierenden Zugangsbedingungen sind die Eigeninteressen der EU-Länder: Die Mitgliedstaaten konkurrieren untereinander um die am besten Qualifizierten aus Drittländern. Sie wollen keine niedrigeren Zulassungsbedingungen als andere Mitgliedstaaten erlassen, um sicher zu gehen, die höchst Qualifizierten zu rekrutieren, im Interesse der eigenen Wirtschaft.

Standards heruntersetzen, mehr Zugänge schaffen

Die EU sollte die Zulassungsbedingungen heruntersetzen – und dadurch die Kategorisierung von MigrantInnen in nützlich, hoch qualifiziert, und unnütz, weil nicht hoch qualifiziert, abschwächen.

So müssen BewerberInnen in der Stelle, auf die sich bewerben, mindestens anderthalb mal das durchschnittliche Jahreseinkommen des Landes verdienen. Für Deutschland sind das laut dem Immmigrationsportal der Kommission ein Jahresgehalt von mindestens 44.800 Euro, oder 35.944 Euro in Berufen mit Arbeitskräftemangel.

Würde dieses hohe Gehalt heruntergesetzt, könnte sich eine größere Zahl von Arbeitskräften auf die Blue Card bewerben.

Die Standards herabzusetzen würde MigrantInnen auch ermöglichen, einfacher zwischen ihrem Arbeits- und Herkunftland zu pendeln: Könnten die BewerberInnen sicher sein, dass sie dieses Visum leichter und eventuell mehrmals erhalten, würde das die zirkuläre Migration, das Zurückgehen ins Herkunftsland aus eigenem Wunsch und auf eine längere Dauer oder dauerhaft, verstärken. So könnten auch die Ökonomien der Herkunftsländer von den in Europa gesammelten Arbeitserfahrungen profitieren.

An die, die schon da sind, denken

Statt aus Drittländern zu rekrutieren kann man auch diejenigen, die schon im Land sind besser über ihre Anerkennungs- und Arbeitsmöglichkeiten informieren. In Deutschland etwa können Menschen aus Drittländern, die mit einem anderen Visum, wie zum Studieren oder Arbeiten, hier sind, sich auf die Blue Card bewerben. Wissen tun das jedoch bisher Wenige, dementsprechend niedrig sind die BewerberInnenzahlen. Wissen über dieses Unwissen hat die Kommission jedoch und plant deshalb, die Blue Card bekannter zu machen.

In der Reform der Blue Card sollte die EU Anreize schaffen für die Mitgliedstaaten, diese Richtlinie vermehrt zum Einsatz zu bringen. Auch wenn die Kategorisierung von MigrantInnen bestehen bleibt, kann sie abgeschwächt werden und mehr Menschen den Zutritt zu Europa ermöglichen.

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