„Ich bin nie kolonisiert worden"

Widerstand Fatou Diome vermischt bildhafte Erzählungen und politische Forderungen. In Brüssel zeigt sie sich mal mehr als Schriftstellerin, mal mehr als Aktivistin.

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„Was ist das für ein Dritte Welt-Wetter?“ Fatou Diome hat die Bühne in Brüssel betreten, wo heiße Tage wie dieser selten sind. Damit legt die Schriftstellerin vor, wie sie an diesem Abend über Identität, Migration, europäisch-afrikanische Beziehungen und ihr neues Buch „Marianne porte plainte“ reden wird: Mit Sprüchen, über die das Publikum lachen kann, weil sie von ihr als franko-senegalesischer Schriftstellerin kommen. Und mit einem Blick auf koloniale Strukturen, der auch die Bewohner in afrikanischen Ländern in die Verantwortung nimmt.

Der Saal im Zentrum für Kunst ‚Bozar‘ ist voll besetzt, als erste Stichwörter gibt der Moderator Frankreich und Europa. „Europäisch zu sein heißt nicht, weiß zu sein“, sagt Fatou Diome. Schwarze Franzosen und Französinnen, die in den Pariser Stadtteilen St.Denis oder Cergy-Pontoise geboren seien, würden die Herkunftsländer ihrer Familie meist weniger gut kennen als Frankreich. Kultur sei keine Frage von Melanin. „Ich habe hier schwarze Frauen gesehen, die das R nicht so rollen können wie ich“, fügt sie hinzu und grinst. Sie scheint genau zu wissen, in welchem Moment sie das Publikum wieder beschwingen muss, wenn sie vorher ernst wurde.

So kommt die Autorin auf das zu sprechen, was im französischen Wahlkampf eine große Rolle spielte: Von sogenannter Integration durch Assimilierung hält sie nichts. Eine Kultur zu mögen könne man nicht erzwingen. Man müsse Menschen die Kultur des Wohnortes „verkosten, wertschätzen“ lassen, sie behutsam dazu bringen, diese zu mögen. So wie es ihr damals gegangen sei.

Das Wort „Kultur“ benutzt sie an diesem Abend oft, und weigert sich, wie vorher in Interviews und in ihren Büchern, sich auf ihr Geburtsland Senegal festlegen zu lassen, schließlich wohnt sie seit den 90er Jahren in Frankreich, seit 1994 in Straßburg.

Migration ist heute normal

Für Fatou Diome, die also seit langem in Frankreich lebt und trotzdem immer wieder auf ihr Herkunftsland angesprochen wird, ist Migration etwas Banales. Das betont sie auch im ‚Bozar‘ wieder. „Bei mir“ - und damit meint sie ihre Region Sine Saloum im Süden Senegals - „stirbt niemand an Hunger. Trotzdem bin ich hier. Mobilität hat viele Gründe.“ Man habe die Globalisierung lange kommen sehen, und man müsse sich nur daran anpassen. Dass gerade jetzt eine unruhige Zeit, auch in Bezug auf Migration sei, lehnt sie ab. War die Welt nicht gewaltvoller und gefährlicher während der beiden Weltkriege und anderen großen Ereignissen?, fragt sie. Zirkuläre Migration fordert sie, damit man einfach hin und her reisen, arbeiten oder leben kann wo man es möchte.

Das, was eben zwischen Afrika und Europa nicht geht, auch weil koloniale Strukturen immer noch eine Rolle spielen. Mit Fatou Diomes Ansichten zur Beziehung der beiden Kontinente sind nicht alle im Publikum einverstanden.

Kolonialismus hinter sich lassen

„Wir haben akzeptiert, uns zu Opfern machen zu lassen“, sagt sie. Und: „Ich bin nie kolonisert worden“. Ins Jetzt und nach vorne zu schauen ist für die Schriftstellerin der Weg daraus. Das antwortet sie auch einem jungen Mann aus dem Publikum. Er meint, dass es schmerzhaft sei, täglich in Brüssel an der großen Statue von Leopold II vorbeizukommen, dem belgischen König, durch dessen Kolonisierung des Kongo schätzungsweise zehn Millionen Menschen starben. „Die Ungerechtigkeit eurer Eltern wird nicht die Ungerechtigkeit von euch heute sein“, sagt Fatou Diome. Und: „Zu befrieden ist nicht vergessen.“

In ihren Büchern wie Der Bauch des Ozeans oder Ketala, und auch an diesem Abend im stickigen Veranstaltungssaal, kritisiert die Schriftstellerin, dass nicht nur Menschen in Europa, sondern auch in Afrika an ihren Einstellungen arbeiten müssen:

„Ich wäre gerne die Mutter der führenden Politiker in Afrika, um ihnen in den Hintern zu treten“. Diejenigen, die einem Familienmitglied ermöglicht hätten, nach Europa zu gehen, würden zu viel verlangen von denen, die nach Europa gegangen seien. „Die, die von der Immigration am meisten profitieren sind nicht die Immigranten, die Ihnen hier begegnen. Es sind diejenigen im Herkunftsland, wenn sich jemand seine zweite Frau vom Geld der Schwester kauft“.

Die schreibende Aktivistin scheint zu wissen, dass sie Dinge ausspricht und in ihre Zeilen fließen lässt, die andere nicht sagen wollen, oder sich nicht trauen. Eine Frau aus dem Publikum meldet sich später zustimmend und sagt, dass sie diese Kritik bei Besuchen in ihrem Herkunftsland nicht äußern könne, zu hart wären die Reaktionen.

Europäer und Komplexe

Auch Europa müsse sich ändern, sagt Diome: „Die Europäer sind eingefroren in ihrem Komplex der Kolonisation.“ Stattdessen wünscht sie sich einen richtigen Dialog zwischen den zwei Kontinenten, führt aber kaum aus, wie dieser aussehen könnte. Außer, dass Europa nicht mehr der Komplize der westlichen Firmen in Afrika sein solle. „Ich erwarte, dass Europa sich an seine großen Humanisten erinnert.“ Damit meinte sie vorher Molière, Victor Hugo und Goethe.

Kurz lesen der Moderator und sie aus ihrem neuen Buch, „Marianne porte plainte“ vor. In Französisch, Englisch und Niederländisch strahlt der Text auf der Leinwand hinter ihnen. Es ist eine Anklageschrift aus der Sicht der französischen Nationalfigur Marianne, deren Name momentan unter anderem vom Front National für seine rechte Ideologie instrumentalisiert wird. Fatou Diome hat ihre Version der Marianne in einer Mischung aus Roman und Pamphlet festgehalten, wie sie sagt, und spricht sich gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Islamophobie aus, wie der Klappentext sagt.

In der Fragerunde am Schluss steht eine Frau auf, sie zitiert eine Buchstelle Diomes, die sich auf Gebäudereinigerinnen bezieht. Und sagt, dass es Putzfrauen gebe, die der Schriftstellerin zuhören, sie als Beispiel sehen. Fatou Diome hat selbst sechs Jahre als Reinigungskraft in Frankreich gearbeitet. „Ich war die diplomierteste Putzfrau Frankreichs“, sagt sie über diese Zeit. Diome bedankt sich bei der Zuhörerin. Ihre Worte vom Anfang, dass sie immer gegen Resignation angekämpft hat, um für ihre Ideen einzustehen, bekommen noch eine Ebene mehr.

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