Neuer Ablasshandel

Legalisierung des Kirchenasyls Während Otto Schily versucht, sich von christlicher Kritik freizukaufen, verschärfen die Kirchen nach den Terroranschlägen ihre Kritik am Zuwanderungsgesetzentwurf

Nach den Terroranschlägen in den USA sollen die Verhandlungen über ein Zuwanderungsgesetz ausgesetzt werden. Das fordert die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Asyl in der Kirche, ein Zusammenschluss von evangelischen, katholischen und freikirchlichen Kirchengemeinden in Deutschland, die Flüchtlingen Schutz vor Abschiebung bieten. Es sei unverantwortlich, so die BAG in einer Erklärung, ein solches Vorhaben jetzt durchpeitschen zu wollen. "In einem Klima, in dem Zuwanderer unter Pauschalverdacht gestellt und Zuwanderung primär als Gefahrenabwehr begriffen wird, sind keine sachgerechten und humanitär verantwortlichen Entscheidungen zu erwarten."

7,3 Millionen Menschen seien durch das geplante Zuwanderungsgesetz entscheidend betroffen, und schon der vorliegende Entwurf habe gravierende Mängel. So würden zum Beispiel mindestens 200.000 Menschen durch die Abschaffung der Duldung ins rechtliche Nichts fallen und zu "Papierlosen" werden. Es sei davon auszugehen, dass viele von ihnen Schutz in den Kirchen suchen würden. Auch der Vorschlag von Bundesinnenminister Otto Schily, den Kirchen ein "Kontingent von Härtefällen" zuzuweisen - also eine Zahl von abgelehnten Flüchtlingen, die auf Kosten der Kirchen in Deutschland bleiben dürfen -, stößt bei den Gemeinden auf scharfe Kritik. Das Ökumenische Netzwerk Asyl der Kirche in Nordrhein-Westfalen spricht von einer "neuen Art des Ablasshandels". Schily versuche, sich von christlicher und humanitärer Kritik freizukaufen. Sein Kalkül, so die Gemeinden aus Nordrhein-Westfalen: Die Kirche solle in aller Stille barmherzig sein und die Solidarität für die Opfer des deutschen Asylrechts nicht mehr öffentlich einfordern. Auch der Berliner Pfarrer Jürgen Quandt sieht das so. Der Vorschlag von Schily laufe darauf hinaus, das Kirchenasyl zu entpolitisieren und als humanitäre Nothilfe abzuschaffen.

Immer mehr Menschen haben in den letzten Jahren Zuflucht im Kirchenasyl gesucht. Zum ersten Mal 1983: Damals nahm die Berliner Heiligkreuzkirche als erste Gemeinde in Deutschland Flüchtlinge auf. Während es in den achtziger Jahren nur vereinzelt zum Kirchenasyl kam, ist die Zahl der Zufluchtsuchenden seit dem sogenannten Asylkompromiss im Jahr 1993 stark angestiegen. Nach Angaben der BAG leben derzeit rund 300 Flüchtlinge unter dem Dach der Kirche, die meisten davon sind Kurden.

Innerhalb der Kirchenasylbewegung gibt es verschiedene Positionen, wie Kirchenasyl zu legitimieren sei. Die einen verstehen das Kirchenasyl als einen Akt des zivilen Ungehorsams von Bürgern, die sich aufgrund einer Gewissensentscheidung zu einem Regelverstoß entschließen. Sie sehen keine Sonderrechte für die Kirche; nach ihrer Auffassung kann es in einem Rechtsstaat keinen rechtsfreien Raum geben. Ziviler Ungehorsam wird hier als demokratisches Mittel angewandt, um Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Im Unterschied dazu meinen andere, Kirchenasyl sei legal. Ausgehend von der christlichen Beistandspflicht wird der spezifisch kirchliche Charakter des Schutzes betont, das Kirchenasyl als eine Art kirchliche Institution betrachtet. Beiden Positionen ist jedoch gemeinsam, dass es nicht darum geht, den Rechtsstaat in Frage zu stellen, sondern ihm zur Geltung zu verhelfen.

Ob Gemeinden eine Straftat begehen, wenn sie Flüchtlinge aufnehmen, ist unter Juristen umstritten. Eng verbunden mit dieser Frage ist die mögliche Sonderposition der kirchlichen Räume. Diese hängt mit der Tradition des mittelalterlichen Kirchenasyls zusammen, die den kirchlichen Raum als sakral begreift. Die Kirche stellte im Mittelalter eine Tabuzone für alle weltliche Gewalt dar und galt als unantastbar. Während es für die katholische Kirche durchaus die Vorstellung von geweihten Räumen gibt, kommt nach protestantischem Verständnis kirchlichen Räumen keine sakrale Bedeutung zu. Heilig ist hier die Schutzgewährung der Gemeinde. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Behörden nicht in jedem Fall von einer gewaltsamen Räumung des Kirchenasyls zurückschrecken. So kam es im Juli letzten Jahres zu einer gewaltsamen Räumung des Kirchenasyls in Duisburg. Dort wurde am frühen Morgen eine vierköpfige Familie aus Mazedonien von der Polizei aus dem Kirchenasyl geholt und in Abschiebehaft genommen. Meistens war das Kirchenasyl erfolgreich. Die BAG Asyl in der Kirche hat Fälle aus den letzten fünf Jahren ausgewertet. Demzufolge konnte bei 73 Prozent der Schutzsuchenden eine Abschiebung verhindert werden. Dr. Wolf-Dieter Just vom Vorstand der BAG sieht damit bestätigt, was von Kirchen und Flüchtlingsorganisationen immer wieder bemängelt wird: Die Erstanhörung werde häufig dem Flüchtlingsschicksal nicht gerecht. Sie sei immer wieder Quelle tragischer Fehleinschätzungen. Die Beurteilung erfolge schematisch und sei ohne einen Rechtsanwalt oder eine Beratungsstelle nicht zu bestehen. Auch der tatsächlichen Menschenrechtslage im Herkunftsland werde nicht ausreichend Beachtung geschenkt. Das gilt, so Just, besonders für die Türkei: 630 der insgesamt 903 Flüchtlinge kamen von dort, die meisten aus den kurdischen Gebieten.

Peinlich für die Verantwortlichen, findet Just: "Bei näherer Untersuchung des Falles stellt sich heraus, dass die geplante Abschiebung rechtlich unzulässig ist." Es mehrten sich die Fälle, wo Kirchenasylflüchtlinge nachträglich Duldungen erhalten, Folgeanträge stellen dürfen oder nach Artikel 16a des Grundgesetzes oder der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden. Wenn das Menschenrecht auf Asyl durch die gegenwärtige Asylverfahrenspraxis nicht gewährleistet sei, so Just, dann müsse die Praxis geändert werden - zum Beispiel durch ein faires Asylverfahren, ausreichende Fristen für die Erstanhörung und die Einlegung von Rechtsmitteln, rechtliche Beratung der Flüchtlinge vor der Anhörung, Anerkennung geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung, eine Härtefallregelung. Solange diese Mindestanforderungen an ein humanes Recht nicht erfüllt sind, werde das Ärgernis Kirchenasyl weiter bestehen, kündigt Just an. Für die BAG Asyl in der Kirche steht fest: "Dem Versuch, das Kirchenasyl zu legalisieren und ihm dadurch seine kritische Kraft und seinen Impuls zu politischer Veränderung zu nehmen, ist zu widerstehen."

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