Politik statt Werbung - Wer macht denn sowas?

Porträt Die Werbeindustrie spricht, er antwortet. Der Aktivist "Dies Irae" hackt Reklamebotschaften oder nutzt Werbeflächen als Demoschilder, wenn sich die AfD versammelt

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Politik statt Werbung - Wer macht denn sowas?

Werbung ist allgegenwärtig. Menschen sind im öffentlichen Raum auf Dauerempfang für die Monologe der Marketingabteilungen. Damit sind nicht alle einverstanden. »Adbuster« antworten auf die Inhalte, mit denen ihr Umfeld tagtäglich bespielt wird.

»Dies Irae« ist einer von ihnen. Bundesweit haut er auf den Tisch oder vielmehr aufs Plakat: Aus dem Slogan »Außenwerbung trifft jeden« wird kurzerhand »Außenwerbung nervt jeden«. Models für Bekleidung erhalten Sprechblasen, in denen sie über ausbeuterische Produktionsbedingungen aufklären und wenn sich die AfD-Anhänger in einer Stadt versammeln, tauscht er Werbeplakate komplett aus, um den Platz für politische Botschaften wie »Menschenrechte statt rechte Menschen« zu nutzen.

Berlin, Alexanderplatz. Es herrscht reger Verkehr an der Bushaltestelle, an der sich der Plakatkünstler Dies Irae zu schaffen macht. »Tage des Zorns« bedeutet die lateinische Wendung. Dabei kommt der Träger des Künstlernamens recht gelassen daher: Mit leichtem Gang, friedlichen Augen und ruhiger Stimme offenbart er, wie es in seinem Inneren aussieht. »Mich macht es zornig, wie sich die schlimmsten und ausbeuterischsten Konzerne ein grünes Mäntelchen umhängen. Diese Märchen werden uns täglich von PR-Agenturen aufgetischt. Sie vermitteln uns das Gefühl, dass alles in Ordnung ist und wir weiter shoppen sollen. Das ist Bullshit. Nichts ist in Ordnung.« Trotz dieser Wut, reißt er nicht einfach die Werbung herunter oder plakatiert reflexartig irgendetwas drüber. Er tauscht sich mit verschiedenen Menschen und Gruppierungen aus, engagiert sich selbst in unterschiedlichen politischen Kontexten, ist informiert. »Wenn auf einem Anti-H&M-Plakat von mir der Stundenlohn von fünf bis zehn Cent steht, ist das nicht erfunden, sondern wurde von einer NGO vor Ort recherchiert. Mir geht es zum einen um den Stimulus auf der Straße, aber es sollen auch Hintergrundinfos geliefert werden. Daher finden sich häufig Links auf den Plakaten«.

In diesem Sinne greift Dies Irae zur Warnweste, nimmt seine Plakatrolle vom Rücken und öffnet innerhalb von Sekunden den Werbeglaskasten des Haltestellenhäuschens. Drei Passantinnen laufen mit ihrer Shoppingbeute in riesigen Primark-Tüten nur wenige Meter an ihm vorbei. Keine scheint die Arbeiten des Mannes auch nur zu registrieren. Dieser macht sich jetzt an dem Reklameplakat zu schaffen. Das grelle Licht des Werbekastens kommt zum Vorschein ehe Dies Irae sein Plakat geschickt hineinhängt: »Menschenrechte stark reduziert« ist darauf zu lesen. Von »H&N – Hungerlohn & Naturzerstörung«. Nach Meinung von Dies Irae die tatsächlichen Hauptbeschäftigungsfelder von H&M. Er hat die Bewerbungskampagne des Unternehmens zum Anlass genommen, die Beschäftigungsverhältnisse der Produktion für das Bekleidungsgeschäft zu thematisieren. Die »ausbeuterischen Zustände in der Textilwirtschaft« beschäftigen ihn schon lange. Eine Näherin, die in der Dokumentation »the true cost« ihre Arbeitsbedingungen beschrieb, brachte ihn zum Weinen. »Von dieser Traurigkeit geht der Zorn aus. Und das ist auch gut so. Denn, um es mit Georg Schramm zu sagen: ›Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht‹«

So kommt er in einen kreativen Prozess, entwirft und malt seine Plakate. Unter »Wir bieten« steht dann beispielsweise »Stundenlohn zwischen 5 und 10 Cent«, »keinen Urlaubsanspruch«, »keine Krankenversicherung: wer krank ist, hat Pech« oder »ruinierte Umwelt als Folge unserer giftigen Produktion«.


Dutzende Passanten sind in der Zwischenzeit vorbei gekommen. Dies Irae schließt den ersten Kasten. Ein weiteres Plakat wartet darauf, in den zweiten Glaskasten gehängt zu werden. Während er ihn öffnet, kommen vier Uniformierte vorbei: Zwei vom Ordnungsamt, zwei von der Polizei. Der Mensch in der Warnweste verfolgt weiter mit ruhigen Hände seine Arbeit. Mittlerweile kennt er die Wirkung der orangefarbenen Weste. »Ich war häufiger im Schutz der Dunkelheit unterwegs. Aber auch am Tage schindet man mit einer Warnweste bei autoritätsgläubigen Deutschen ordentlich Eindruck.« Er ist dabei nicht auf Krawall gebürstet, sondern möchte Inhalte nachhaltig transportieren. Sie sind gut recherchiert und erreichen an öffentlichen Plätzen sowie auf seiner Facebookpräsenz mit fast 15 000 Anhängern ein großes Publikum. Er probiert so wenig Schaden wie möglich anzurichten. Als »minimalinvasiven Vandalismus« definiert er seine Art des Eingriffs. Er sieht sich im Recht, manchmal auch in der Pflicht, den öffentlichen Raum für die politische Diskussion und Aufklärung zu nutzen. Doch die alten Werbeplakate rollt er nur zusammen und lässt sie im Kasten, um den Straftatbestand des Diebstahls nicht zu erfüllen.
Dies Irae hat es auch schon mal zivilisierter probiert: Er hat sogar BWL studiert – mit Schwerpunkt Marketing. »Ich habe die Mechanismen verstanden, die dazu führen, dass man bei der Darstellung von Autos in der Werbung irgendwann glaubt, aus dem Auspuff kommen Schmetterlinge statt Abgase.« Er beschloss, sich durch Parteiarbeit zu engagieren. Hochmotiviert half er beim Straßenwahlkampf und konnte sich bald vorstellen, die Politik zum Beruf zu machen. »Aber Fraktionszwang und politische Machtspielchen gefallen mir nicht.«

Um das zu vermeiden, wollte er sich bei einer NGO engagieren. Als studierter Wirtschaftswissenschafter war ihm klar: Dort könnte er Gutes tun und die Abläufe effizienter gestalten, damit NGOs »besser werden im Welt besser machen«. Die Folgen der Finanzkrise 2008 ließen seine Ansichten jedoch radikal ändern. »Irgendwie klappt das mit dem freien Markt doch nicht so gut. Es profitieren immer die gleichen, die nicht müde werden zu betonen, dass der Kuchen größer werden muss, damit jeder ein größeres Stückchen bekommt. Was für ein Quatsch. Die Umverteilung funktioniert einfach nicht. Aber am meisten hat mich beeindruckt, dass der kurzzeitige wirtschaftliche Zusammenbruch, eine Wohltat für die Biosphäre war: Weniger CO2, da weniger produziert und transportiert wird. Weniger Ressourcenverschwendung, BIP und Output sorgen dafür, dass Menschen länger auf dem Planeten leben können. Kurzum: Durch die Wirtschaftskrise sägen wir viel langsamer am Ast, auf dem wir sitzen.«

Es wird Nacht, Dies Irae steht in einiger Entfernung zur Bushaltestelle. Touristen bewundern den hell erleuchteten Funkturm und schlendern zur Bushaltestelle. Und tatsächlich: Sie lesen sich die ganzen Informationen von Dies Irae durch. Es ist eben wirklich mal etwas anderes. Ob er damit mal die Welt verändert? Er nimmt einen tiefen Zug von der kühlen Berliner Abendluft und lächelt. »Ich würde mir gerne mal mit einer Handvoll Vollzeit-Aktivist*innen ein Unternehmen wie H&M herausnehmen und eine gezielte Druckkampagne gegen dieses machen. Ich möchte wissen, wie viel es braucht, um Konzerne und Politiker*innen zum Handeln zu bringen. Ich glaube es sind gar nicht so viele.«

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marisa Janson

Ökonomin, Anti-Rassistin, Feministin & Journalistin. @asiramsa

Marisa Janson

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