Rassismus verstehen

Black Lives Matter Der Tod mehrerer schwarzer US-Bürger sorgt für Aufsehen. Doch die Deutschen tun sich schwer, Rassismus auch hier zu erkennen

Eigentlich geht es nicht eindeutiger: "Deutschland, Du hast ein Rassismusproblem", heißt es auf einem der vielen Demoschilder. Vergangene Woche kamen die Menschen auf Berlins Straßen zusammen. Die Veranstalter sprechen von 1.200, die Polizei von 500 Demonstrierenden. Sie protestierten unter dem Motto "Black Lives Matter – No Justice = No Peace".

Die Bilder sind aus den USA längst bekannt: Seit drei Jahren gehen dort die Menschen unter diesem Motto auf die Straße. Nachdem diesen Monat innerhalb von 48 Stunden zwei Schwarze Menschen von weißen Polizisten getötet wurden, nahmen die Proteste und auch die weltweite Berichterstattung deutlich zu.

Eine Berliner Fotografin erzählt über die Demonstration: "Die Leute skandierten 'Oury Jalloh das war Mord – Widerstand an jedem Ort'. Auch in Deutschland sterben Menschen durch rassistische Polizeigewalt." Oury Jalloh sei ein Beispiel, aber auch Laye Condé, Jaja Diabi und Christy Schwundeck müssten in diesem Zusammenhang genannt werden.

Die Namen sagen vielen Menschen nichts. Auch das ist Teil der Kritik. Die Demonstrierenden beklagen, dass die Schicksale der durch Polizeigewalt zu Tode gekommenen Menschen kaum öffentlich diskutiert werden. "Say their names", steht auf einem weiteren Plakat.

Doch es sei bei der Demo nicht nur um die Mordopfer gegangen, berichtet die Fotografin. "Schließlich besagt 'Black Lives Matter', dass das Leben zählt, und nicht nur das blanke Überleben." Es gebe mannigfaltige Folgen von alltäglicher rassistischer Diskriminierung in Deutschland. "Depressionen und Selbstmordgedanken sind keine Seltenheit." Man müsse in dem Zusammenhang auch über die Flucht Schwarzer Menschen aus Deutschland reden. "Es wird immer nur über Geflüchtete gesprochen, die nach Deutschland kommen. Aber es gibt genug Schwarze Deutsche, die wegen ihrer Rassismuserfahrungen hier weggehen."

Institutionalisierter Rassismus

Auch Tahir Della von der "Initiative Schwarzer Menschen" (ISD) äußert Kritik. "Wir haben bei der deutschen Polizei ein institutionalisiertes Problem mit Rassismus", sagt er. Das müsse auch offen so benannt werden. "Beim NSU-Prozess ist das nochmal deutlich geworden." Della kritisiert, dass es "politisch kaum erkennbare Folgen gab und die Polizei bis heute nicht darin geschult wird, nicht rassistisch zu handeln".

Laut Della weist Deutschland ebenso rassistische Strukturen auf wie andere Länder. "Die Polizei trägt mit ihren Handlungsweisen dazu bei", sagt er. Beispielsweise durch Kontrollen, die aufgrund der Hautfarbe der Betroffenen stattfinden. "Das sind keine Einzelfälle." Offiziell ist diese Vorgehensweise verboten.

"Nicht jeder Polizist handelt bewusst rassistisch. Doch man muss nicht die Intention haben, rassistisch zu handeln, kann aber trotzdem den Effekt erzielen", gibt Della zu bedenken.

Das sieht auch die UN so. Sie fordert Deutschland auf, die Rassismusdefinition, die besagt, dass der Effekt der Handlung maßgeblich ist, bekannt zu machen. Sprich: Nur, weil eine Person nicht rassistisch sein will, heißt das nicht, dass sie nicht trotzdem diskriminiert.

Die UN fordert zudem, Deutschland solle an den Ursachen von rassistischen Ausschlussmechanismen arbeiten. Dazu seien Daten notwendig, um beispielsweise zu wissen, inwiefern eine Bevölkerungsminderheit in den Institutionen repräsentiert ist. "Wir wissen nicht, wie viele Schwarze Menschen und people of color bei der Polizei arbeiten. Das ist Teil des Problems", meint Della.

Trotzdem löse sich durch eine gezielte Einstellung schwarzer Polizist*innen das Problem des institutionalisierten Rassismus nicht komplett. Das zeige sich am Beispiel der USA. Della fordert gezielte Antirassismus-Schulungen der Polizei. "Es ist eben nicht immer nur das Problem einzelner Polizist*innen, sondern in erster Linie der Institution."

Kritik an Medien

Manchmal spielen auch die Medien eine problematische Rolle, etwa in der Berichterstattung über die Demonstration. Die Berliner Morgenpost übernahm einen Bericht der Nachrichtenagentur dpa und titelte: "500 Berliner demonstrieren gegen Polizeigewalt in den USA". Mit keiner Silbe werden die Anliegen der Demonstrierenden, die sich auf Rassismus in Deutschland beziehen, erwähnt. Und das, obwohl der Artikel mit dem Protestschild "Deutschland, Du hast ein Rassismusproblem" bebildert ist. Statt über die Demonstration in Berlin zu berichten, wird über den "Hass auf Weiße" berichtet, den die Person gehabt haben soll, die in den USA fünf Polizisten erschoss.

Della sagt, dass das verengte Verständnis von Rassismus auch die Medien betreffe. Wenn es um die USA geht, scheue sich keiner von rassistischen Motiven zu sprechen. "Dabei sind es die gleichen Mechanismen wie in den USA, diese werden in Deutschland jedoch nicht als Rassismus eingestuft."

Er glaubt: "Zu viele Menschen assoziieren mit Rassismus immer noch Rechtsextremismus". Dadurch fühlten sich weiße Menschen auch oft persönlich angegriffen, wenn Rassismus diskutiert werde. Auch würden Begriffe oft falsch verwendet. "Häufig ist von Ausländerfeindlichkeit die Rede", stellt Della fest. Das sei jedoch irreführend. "Schließlich geht es nicht um Belgier, Franzosen oder Holländer, sondern um Menschen, die – unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit – von Rassismus betroffen sind."

In vielen Berichten über die Demo wird die Zahl der Demonstrierenden einfach vom Polizeibericht übernommen – teilweise ohne Nennung der Quelle. Die Angaben der Veranstalter tauchen nicht auf. Viele Demonstrationsteilnehmer*innen sind nach der Berichterstattung frustriert. Eine fragt sich: "Wie sollen wir Aufmerksamkeit für unsere Anliegen erhalten, wenn nicht oder falsch darüber berichtet wird?" Eine gute Frage.

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Geschrieben von

Marisa Janson

Ökonomin, Anti-Rassistin, Feministin & Journalistin. @asiramsa

Marisa Janson

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