Bauernopfer für den 2. Mittelamerikakanal

Nicaragua Die chinesische Betreibergesellschaft HKND baut einen zweiten Mittelamerikakanal in Nicaragua - mit Unterstützung der Regierung. Die Proteste eskalierten Weihnachten.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Oh, wie schön ist Panama“ lernte ich als Kind von Janosch. Als der berühmte Panamakanal gebaut wurde, sahen das ein paar Arbeiter aber wohl anders. Insgesamt kostete der Bau etwa 28.000 Arbeitern das Leben – vor allem aufgrund verschiedener Krankheiten. Auch die finanziellen Kosten und der Bauaufwand waren größer als gedacht. Nun ja: Wenn bei Flughäfen und Elbphilharmonien die Kosten zu optimistisch eingeschätzt wurden, warum sollte das bei einem Kanal der zwei Ozeane verbindet anders sein.

Außerdem führte der Bau des Kanals zu Umweltzerstörung und politischen Spannungen. Ökologisch gesehen ist es aber natürlich sinnvoll, dass sich der Schiffsverkehr die Umrundung Lateinamerikas spart und eine Abkürzung nimmt. Solche Überlegungen waren es wohl weniger, die zum Bau bewogen, stattdessen spielten militärische und geopolitische Gründe die Hauptrolle.

Und so ist auch der fest geplante Bau eines weitaus größeren Kanals in Mittelamerika sowohl für die Analysten als auch die mäßig interessierte Weltöffentlichkeitin erster Linie eine geopolitische Frage. Dieser neue und größere Kanal wird mit Hilfe einer, für diesen Zweck gegründeten, chinesischen Betreibergesellschaft, HKND (Hong Kong Nicaragua Development) in Nicaragua gebaut. Schlüsselfigur ist Wang Jing, der laut Forbes zwölftreichste Mensch der Welt. Es gibt also bald einen Pazifik-Atlantik-Kanal unter chinesischer Kontrolle. Und das in Mittelamerika, einer Region die von manchen in den USA gern als eine Art Vorgarten angesehen wurde.

Die Landbesitzer die von der Kanalroute betroffen sind, geht es jedoch nicht um geopolitische Bedeutungen und Folgen, um Kontrolle von Welthandelsströmen oder der Beweglichkeit von Marineflotten – es geht um ihre Existenz. Ob nun chinesische Wirtschaftsinteressen dahinter stehen, die kostengünstiger Öl aus Venezuela importieren und unzählige Absatzmärkte erreichen zu können, interessiert sie zunächst wenig.

Zwar wurde den Bauern für ihre beschlagnahmten Flächen Ausgleichszahlungen versprochen. Doch die Flächenübernahme an sich war teilweise illegal, da nach internationalem Recht unverkäufliche Territorien von First-Nations betroffen waren. Was die Ausgleichsmaßnahmen angeht, so trauen Viele weder der Regierung, noch dem schwer greifbaren Bauherrn.

Immerhin 29.000 Landbesitzer müssen umgesiedelt werden. Nicaraguas Präsident Ortega verspricht ihnen nun Jobs im Zusammenhang mit dem Kanal. Doch darüber können viele Bauern nur lachen. Sie wissen ihr Land zu bestellen und das wollen sie auch weiterhin tun. Anwohner, die nicht direkt beim Bau und Betrieb des Kanals ein Auskommen finden, sollen indirekt von der neuen Einkommensquelle profitieren. Doch ob das wirklich für einen Großteil der Bevölkerung gilt, ist unsicher. Sicher ist, dass die Enteignung der Landbesitzer die Urbanisierung und Landflucht, welche ihrerseits Negativfolgen verursachen, verstärkt.

Aber warum schreibe ich nun darüber?

Der Grund ist, dass ich selbst in einer der betroffenen Regionen ein Jahr gearbeitet habe und seit einiger Zeit erschreckende Berichte, Fotos und Videos zu Gesicht bekomme.

Ich kann nicht abstreiten, dass ich neben allen schlüssigen Argumenten gegen diesen Kanal, schlicht und ergreifend ein komisches Bauchgefühl habe (und das ist natürlich noch untertrieben). Der Kanal soll unter anderem den Nicaraguasee, das größte Süßwasserreservoir Mittelamerikas durchkreuzen. Ich erinnere mich noch genau wie ich mit Kollegen, die Freunde wurden, in diesem See schwamm. Dort auf der der bekannten Insel Ome Tepe gibt es Vulkane, ganz allgemein herrscht eine Landschaft vor die paradiesisch zu sein scheint.

Romantisiere ich insgeheim nun dieses Stückchen Erde und will es konservieren? Autobahnbau und Landversiegelung von über 70 Hektar pro Tag (!) in Deutschland kein Problem – aber in Nicaragua bitte nur Ökotourismus und Folklore?

Nicht wenige Regierungsvertreter des globalen Südens sehen Neokolonialismus als Motivation mancher NGOs im Kampf gegen Großprojekte in ihren Ländern. Wir managen unsere gesamte Landesfläche, es gibt kaum sich selbst überlassende Flächen, sind unfähig eine Handvoll Luchse zu schützen, fordern aber eifrig das Ende der Regenwaldabholzung und die Etablierung von großen Schutzprogrammen.

Letztendlich ist dieser Kritikpunkt berechtigt, geht aber am Kern der Sache vorbei. Problematisch ist in erster Linie, dass Mittelamerika unbestritten ein Hotspot von Biodiversität ist, viele Spezies die dort vorkommen weltweit einzigartig sind. Ein Kanal bringt, ökologisch gesehen, nachweislich mehr Schäden als ein vergleichbares Projekt in den meisten anderen Regionen. Sozial problematisch wiederum ist, dass die Allgemeinheit die Kosten von solchen riesigen Bauprojekten tragen soll und selten am Gewinn beteiligt ist.

Tausende Menschen werden zwangsumgesiedelt und Umweltberichte unter Verschluss gehalten. Was wird mit dem Trinkwasser geschehen? Wie regieren Tiere und Pflanzen wenn nicht nur massiv viel Fläche umgewandelt wird, sondern auch zwei Ozeane über einen Süßwassersee verbunden werden? Wer profitiert vom Kanal und inwieweit geht der dann wirklich über die Jahrzehnte in nicaraguanische Kontrolle über? Geplant ist, die nicaraguanische Gewinnbeteiligung über das nächste Jahrhundert schrittweise zu erhöhen, doch noch sind nicht alle Details geklärt.

Aber was viele Bauern ganz besonders interessiert: Wo sollen sie hin? Wie sollen die Ausgleichsmaßnahmen aussehen?

Was viele der Bauern inzwischen außerdem interessiert: Wo sind die verschwundenen Demonstrierenden? Warum die brutale Polizeigewalt?

Nach Demonstrationen gab es bereits unzählige Verletzte, Vermisste, Gefangene und Tote. Deren Zahlen unterscheiden sich nach dem üblichen Polizeisprecher-Oppositions-Gegensatz. Von mindestens 33 Festnahmen, 21 Verletzten und keinen Todesopfern war in offiziell bestätigten Berichten die Rede. Doch auf die ist herzlich wenig Verlass. Die Zahlen der Aktivisten fallen um Einiges höher aus.

Die Aktivisten selbst werden natürlich von der Gegenseite in einem ganz anderen Licht dargestellt. Die chinesische Betreibergesellschaft veröffentliche kürzlich Dokumente in denen die nicaraguanische Gesellschaft als rassistisch beschrieben wird. Zugegeben: Auch mir fiel auf, dass immer vom “chinesischen Kanal” mit einem gewissen Unterton die Rede war. Das klingt oft etwas nach “roter Gefahr”. Doch im Endeffekt ist es den Bauern wohl egal aus welchem Land der Bauherr stammt, welcher sie komplett übergeht.

Die deutschen Medien, wie der Spiegel, die FAZ und die Tagesschau berichten in ihren Randnotizen in erster Linie kritisch von dem Kanalbau. Doch trotz deren kritischen Einstellung, schien man sich auf offizielle Angaben der Regierung zu verlassen. In verschiedenen Artikeln wird behauptet, dass zwei Drittel der Nicaraguaner den Kanal gutheißen. Auf Nachfragen wurde noch nicht reagiert.

Sollte es jedoch tatsächlich um offizielle Umfragen, welche von der Regierung in Auftrag gegeben wurden, handeln, würde ich nicht allzu viel auf die "2/3 Zustimmung bei der nicraguanischen Bevölkerung" geben.

Die Ausschreitungen und Verbissenheit nehmen indessen zu. Natürlich ist es nicht möglich einer Nation ein Attribut zuzuschreiben. Zu behaupten die "Nicas" wären an sich wehrhaft und widerspenstig ist Quatsch. Dennoch: Der letzte Bürgerkrieg liegt nicht weit zurück (Ende 1990) und die letzten Aufstände wesentlich weniger (Blockaden gibt es inzwischen bei jedem Wahlgang und den dabei zunehmenden Unregelmäßigkeiten). Es wurden auch schon aufgrund geringerer Missstände Straßen blockiert.

Was passieren wird, wenn der Kanal voranschreitet, geschweige denn 2020 fertig gestellt ist, ist völlig unklar. Unklarer sind nur die Auswirkungen des Kanals.

(Der Artikel erschien zunächst auf dem doktorpeng.de.)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Marius Hasenheit

Arbeitet für Ecologic Institute & seebohm.berlin. Schreibt hauptsächlich für transform Magazin. @MariusHasenheit

Marius Hasenheit

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden