BND als Chamäleon: Ohnmächtig bis Allmächtig

Nach Charlie Hebdo Alle Aufrüstungen der Geheimdienste werden auf dem Nährboden des Nichtwissens gerechtfertigt – egal, wie unfähig oder mächtig sie bereits sind. Und der BND?

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Edward Snowden während einer Anhörung durch das EU-Parlament im Sommer 2014
Edward Snowden während einer Anhörung durch das EU-Parlament im Sommer 2014

Foto: Frederick Florin/AFP/Getty Images

Mit dem Überfall auf Charlie Hebdo wurden nicht nur zwölf Journalisten und Karikaturisten umgebracht, sondern auch der Snowden-Effekt beseitigt. Mit diesem Effekt beschrieben viele Journalisten Anfang letzten Jahres die Zunahme von privater Datenverschlüsselung und Skepsis gegenüber den Geheimdiensten. Doch scheint dieser Effekt mittlerweile schon wieder verschwunden zu sein. Inzwischen wähnen manche Politiker ihre Stunde, um mit dem Anlasser der Pariser Morde die Überwachung auszubauen.

Hans-Peter Uhl (CSU) stieß maßgeblich die Debatte an, als er kurz nach den Anschlägen eine deutsche Vorratsdatenspeicherung forderte. Inzwischen befürwortet auch Merkel die tiefschwarzen Vorschläge. Doch bei der Vorratsdatenspeicherung soll es nicht bleiben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte bereits kurze Zeit nach dem Morden von Paris „Wer jetzt ein europäisches Fluggastdatenabkommen ablehnt, weiß nicht, was die Stunde geschlagen hat.“ Es handelt es sich bei dem Versuch das „Policy-window“ der Terrorangst zu nutzen um kein rein deutsches Phänomen. Der britische Premierminister Cameron sinnierte kürzlich über neue Gesetze zur Onlineüberwachung im Falle seiner Wiederwahl. Es sollte seiner Meinung nach keine nicht einsehbaren Inhalte, keine unlesbare Kommunikation geben.

Schade, nicht umsonst warnten viele Kommentatoren wie Dominique Moisi davor, die sogenannten westlichen, verbliebenen Werte abzuschaffen und sich langfristig angreifbarer zu machen. Viele befürchteten, dass auf das, was manche den französischen oder europäischen 11. September nennen, eine europäische Post-11. September-Paranoia folgt. Wir könnten ein kollektives Déjà vu erleben.

Bis zum Pariser Schicksalstag lief alles den Gang des alltäglichen Wahnsinns: Assanges Dauerexil wurde immer teurer, Snowden lernt vermutlich russisch und der NSA gegenüber sind die meisten Menschen ebenso skeptisch wie machtlos. Die Geheimdienstskandale verloren ihre mediale Wirkung. In einer Zeit, in der wir regelmäßig von massiver NSA-Überwachung und Flüchtlingsverhören durch den BND hören, rüttelt es niemanden mehr auf, wenn im vergangenen Jahr im Saarland 7,5 Millionen Handyverbindungsdaten angefragt und ausgewertet wurden.

Die Zahl kann man sich auf der Zunge zergehen lassen: 7,5 Millionen! Soll das nun an Lafontaine liegen, dass im langweiligsten Bundesland jeder Bürger im Jahr sieben Mal verdächtig war? Nun ja, wie das Saarland im Vergleich dasteht wissen wir nicht. Öffentlich wurde das massive Datenernten durch die Piraten. Sie stellten bereits 2013 die entsprechenden Anfragen im Landtag. Wenn man sich allerdings den bundesdeutschen Ozean heute anschaut, gibt es nur noch wenig Hoffnung auf zahlreiche, gewählte Datenschützer unter der Piratenflagge; dabei gäbe es genug Diskussionen um den Datenschutz zu führen. 2011 führte der Abruf von Handydaten bei einer Antinazidemonstration in Dresden noch zu einem Skandal – von den Vorgängen im Saarland war kaum etwas zu hören.

Auch der Bundesnachrichtendienst leistet sich so manches – und soll weiter ausgebaut werden. Gerade erst hat man sich vom Steuerzahler eine 730 Millionen Euro teure Zentrale finanzieren lassen. Die wurde zudem auch noch Jahr für Jahr teurer (inzwischen ist die Milliarde geknackt) und dann verschwanden auch noch die Baupläne des Hochsicherheitsgebäudes. Wie alle Geheimdienste pflegt auch der BND sein Faible für Abkürzungen, die an Inspektor Gadget erinnern. Deshalb wird die Forderung, nun auch bei den Großen mitspielen zu dürfen (NSA und GCHQ) in eine kryptische Abkürzung verpackt: Es braucht SIGINT Support for Cyber Defense – also die Auswertung von Kommunikationsdaten (= Signals Intelligence, SIGINT), wegen der zahlreichen Cyberangriffe. Es geht also um mehr, als „nur“ Handydaten.

Inwieweit ist ein solcher Ausbau gerechtfertigt?
Das Problem bei der Einschätzung von Geheimdiensten ist jedoch nicht nur das massive Abhören an sich, sondern zunächst die zwei sehr konträren Darstellungen der Geheimdienste. Je nach aktuellen Geschehnissen werden Geheimdienste medial entweder als allmächtig und unkontrollierbar beschrieben, oder aber als veraltete Bürokratien, die unfähig sind auch nur eine einzige Maghreb-Revolution oder Krim-Annexion vorherzusehen. Das Auftauchen von ISIS, welches sich gefühlt von einem Tag auf den nächsten vollzog, schien diese Version der unfähigen Geheimdienste zu bestätigen.

Alle Aufrüstungen der Geheimdienste werden auf dem Nährboden des Nichtwissens, wie mächtig oder unfähig unsere Geheimdienste denn nun sind, gerechtfertigt.

Bei dem Bundesnachrichtendienst ist das Bild besonders unklar. Momentan arbeiten dort etwa 6000 Angestellte. Davon arbeiten 5000 am Schreibtisch, während etwa 1000 Beschäftigte zur HUMINT (Human Intelligence) gehören. Das sind die Agenten, die sich “nah am Geschehen” bewegen. Wir reden hier also nicht von Heerscharen von Schlapphüten. Traditionsgemäß konzentriert sich die Arbeit des BND hauptsächlich auf die Einsatzorte der Bundeswehr. Die sind nun in den letzten Jahren wahrlich nicht weniger geworden,und binden einen Großteil der BND-Agenten. Das könnte einige Überraschungsmomente im mittleren und nahen Osten erklären.

Auch die Entwicklungen von Big Data, das Anwachsen des globalen Datenvolumens, kann teilweise sowohl die Ohnmacht, als auch die Allmacht von Geheimdiensten erklären. Zwar gibt es zunehmend “verwertbare” Daten, doch deren Herausfiltern wird dadurch nicht leichter. Big Data führt eben auch zu einer Verdopplung des Heuhaufens in immer kürzeren Abständen, während die Nadel in ihrer Größe unverändert bleibt. Wenn Polizeibehörden im Saarland insgesamt 7,5 Millionen Handydaten abrufen, spricht das sicher auch für die Überforderung und Trödelmentalität: Erst einmal so viel wie möglich sammeln und im Anschluss schauen, was davon verwertet werden kann. Zielgerichtet wirkt das nicht.

Wie lässt sich der Widerspruch von der Ohnmacht und Allmacht des BNDs erklären?

In erster Linie ist die Schwierigkeit, den Einfluss des Bundesnachrichtendienstes einzuschätzen seiner mangelnden Transparenz geschuldet. Das liegt natürlich zum Teil an der Natur der Geheimdienste. Vor 20 Jahren war beispielsweise die bloße Existenz des britischen Geheimdienstes M15 streng geheim. Wer den BND komplett transparent gestalten will, kann den danach auch gleich mit irgendeinem Ministerium fusionieren und Führungen mit Schulklassen veranstalten. Für manche, wie zum Beispiel einige Politiker von Die Linke, gäbe es allerdings weitaus schlimmere Vorstellungen.

Ein Kompromiss könnte eine vielschichtige, verstärkte Kontrolle sein. Davon wäre der bisherige parlamentarische Kontrollrat sicher nur ein Anfang. Eine effektive Kontrolle und mehr Transparenz würden nebenbei auch die grassierenden Verschwörungstheorien etwas eindämmen. Woher überhaupt die Annahme, dass Geheimdienste in erster Linie dazu da sind, die Weltpolitik und deren Tendenzen zu erfassen und für Regierungen aufzubereiten, und wie nötig sind sie? Ein Großteil der Analysen kann sicher auch von all den internen und externen Fachleuten, Beratern und Think Tanks abgedeckt werden. Zum Altkanzler Schmidt kann man stehen wie man will, aber es ist schon sehr aussagekräftig, wenn er behauptet, während seiner Amtszeit keinen einzigen Geheimdienstbericht gelesen zu haben. Des Weiteren braucht es klare juristische Entscheidungen – und die sollten im Zweifel den Datenschutz bestärken. Es ist ermutigend, wenn der Europäische Gerichtshof den Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung zunächst kippte.

Nicht zuletzt müssen wir jenen mehr zuhören, die sich für einen starken Datenschutz einsetzen: dem Chaos Computer Club, der Humanistischen Union, der Digitalen Gesellschaft e.V. und dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Wir müssen uns nicht sagen lassen, dass für eine Abwehr von islamistischem Terror Millionen Daten überwacht werden müssen. Das bewiesen zuletzt die Anschläge in Paris. Die französische Vorratsdatenspeicherung konnte Charlie Hebdo nicht verhindern.

Wirkt der Bundesnachrichtendienst nun allmächtig oder ohnmächtig? Es geht ihm wie allen westlichen Geheimdiensten: Auf die eigene Bevölkerung wirken sie allmächtig, gegenüber den beschworenen Gefahren ohnmächtig.

(Dieser Artikel erschien zunächst auf Doktor Peng)

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Geschrieben von

Marius Hasenheit

Arbeitet für Ecologic Institute & seebohm.berlin. Schreibt hauptsächlich für transform Magazin. @MariusHasenheit

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