Crash im Kohlerevier

Tagebau Die Ende-Gelände-Blockierer besetzen Schwarze Pumpe im Schongang. Aber Anwohner und Politik reagieren heftig
Ausgabe 20/2016
Pfingsten in der Lausitz: Die Aktivisten sind gut ausgestattet und straff organisiert
Pfingsten in der Lausitz: Die Aktivisten sind gut ausgestattet und straff organisiert

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Das ging einfacher als gedacht!“ Luisa* schaut ungläubig auf die zwei großen Kühltürme des Kohlekraftwerks Schwarze Pumpe in der Lausitz. Gerade befindet sie sich mit hunderten Anti-Kohle-Protestlern von „Ende Gelände“ auf einer Bahnbrücke. Normalerweise wird hier Braunkohle aus den Tagebauen ins Lausitzer Kraftwerk transportiert. Doch gerade bewegt sich hier nichts – das Gleis wird an mehreren Stellen blockiert. Vattenfall reagiert prompt und macht den Bahnausgang auf der anderen Seite des Kraftwerkes zum Eingang für die Kohle. Auch da wird inzwischen das Gleis blockiert.

Dennoch gelingt es den Blockierern, dass die Leistung des Kraftwerks auf 20 Prozent heruntergefahren werden muss. Vattenfall spricht von einer Gefährdung. Tatsächlich verletzen sich zwei Demontranten, sie werden zur ärztlichen Versorgung in ein Krankenhaus gebracht. Die Polizei nimmt nach eigenen Angaben über 100 Personen fest. Ihnen wird nach der Besetzung des Kraftwerks Schwarze Pumpe schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen.

Blockade als Party?

Die Blockade gleicht zunächst einem Kinderspiel. Die verschiedenen Gruppen von mehreren hundert bis knapp tausend Demonstranten bewegten sich ungestört auf die Schienen zu. Als die Schienen vor dem Kraftwerk besetzt werden, stehen die Kohlebagger schon still, auf ihnen schliefen bereits in der Nacht zuvor hunderte Demonstranten. Die Blockierer skandieren für Klimagerechtigkeit und gegen Kohle.

Dass weder Vattenfall noch die Anwohner die Demoparolen hören, stört sie nicht. Sobald man den Mikrokosmos der Blockaden und des Klimacamps verlässt, wird die ablehnende Haltung vieler Lausitzer spürbar. „Gestern wurden mehrere Leute außerhalb des Camps angegriffen und mussten von Sanitätern versorgt werden“, berichtet Luisa. Später griffen Neonazis eine Mahnwache der Kohlegegner an.

Aus der Brandenburger Landesregierung kam scharfer Protest. Wirtschaftsminister Albrecht Gerber sagte, „es darf nicht sein, dass in unserem Land Gewalt und Selbstjustiz um sich greifen“. Jeder vernünftig denkende Mensch wisse, dass die Braunkohle in der Energiewende noch für lange Zeit gebraucht werde.

Wer das Klimacamp erstmalig betritt und einen hippiesken Chaoshaufen erwartet, wird von der straffen Organisation und der Ausstattung überrascht. Es finden sich Sanitäter, eine kleine Bäckerei, unzählige Komposttoiletten und ein umfunktioniertes Zirkuszelt für Versammlungen. Die Feldküche versorgt aus riesigen Töpfen das Klimacamp und die einzelnen Blockade-Orte. Selbst hier legen die Blockierer Wert auf Umweltverträglichkeit – das Essen ist also vegan. Abends gibt es Musik, manche Protestler haben Schminke im Gesicht.

Wird aus der jungen Anti-Kohle-Bewegung eine Party-Truppe? Max* widerspricht vehement: „Auf solchen Camps werden immer Gesellschaftskonzepte mitverhandelt.“ In Rückzugszelten wird über den Druck auf die Blockaden gesprochen. Andere diskutieren, warum Männer mit nacktem Oberkörper herumrennen, Frauen aber nicht. Die Demonstranten sehen sich in der Tradition des Hüttendorfes der Antiatomkraftbewegung oder der G8-Gipfelproteste. Auf den neuen Klimacamps wird viel über „progressive Gesellschaftsutopien“ – so heißt das hier – herumgesponnen.

* Name geändert

Gewaltfrei bleiben

Von den alten Camps haben die meisten Aktivisten selber jedoch nichts mitbekommen, dafür sind sie schlicht zu jung. „Das Klimacamp ist wichtig für Politisierung“, meint Max. „Wir zeigen, dass wir uns mit den Klimaverhandlungen und ihren Ergebnissen nicht zufriedengeben!“, sagt Luisa, eine 28-jährige Studentin. „Vor zwei Jahren kamen noch ein paar hundert Aktivistinnen zum Klimacamp, letztes Jahr waren es 1500 – dieses Jahr sind es 3500!“ Viele der Demonstranten fürchten, dass der Atomausstieg die fossile Energieerzeugung fördert und der Ausbau der erneuerbaren Energien gebremst wird.

Für die Demonstranten ist klar: Die Anti-Kohle-Bewegung wird die neue Antiatombewegung. Für sie ist die Inspiration durch die Vorgängerbewegung überall sichtbar. Manche Taktiken der Schienenblockaden, beispielsweise durch Betonbauteile und Anketten, erinnern an die heiße Zeit im Wendland. Selbst die gelben Kreuze in den Vorgärten der Anwohner, einst Zeichen gegen Atomkraft, erleben eine Renaissance. Wie in Gorleben werden die Klarsichtfolien die sich Demonstranten um den Kopf binden, „Demokratieschutzbrillen“ genannt – sie schützen vor Pfefferspray.

Verkappte Lobby

Bürgerinitiativen genießen eine hohe Glaubwürdigkeit. Manchmal stecken jedoch auch Wirtschaftsinteressen hinter solchen Gruppen. Der Verein Lobbycontrol hat in der vergangenen Woche einen Bericht veröffentlicht, der die engen Verbindungen einer Bürgerinitiative zum Bundesverband Braunkohle (DEBRIV) offenlegt. Die Initiative „Unser Revier – Unsere Zukunft – An Rur und Erft“ setzt sich für die „Nutzung zuverlässiger heimischer Energien“ ein, sprich: für die klimaschädliche Braunkohle. Laut Lobbycontrol wurde die Gründungsversammlung der Gruppe eröffnet von George Milojcic, dem DEBRIV-Hauptgeschäftsführer. Anwesend waren auch zwei weitere Mitarbeiter des Braunkohleindustrieverbands. Enge Beziehungen gebe es ebenfalls zum RWE-Konzern: Der zweite stellvertretende Vorsitzende der Bürgerinitiative sei früher Leiter des RWE-Kohletagebaus Inden gewesen, schreibt Lobbycontrol. Felix Werdermann

Luisa hat auf eine solche Folie verzichtet. „Das ist eh nur was für die ersten Reihen. Außerdem ist es bisher ja recht friedlich.“ Dass auf den Gleisen vor dem Kraftwerk keine Polizei sichtbar ist, liegt auch daran, dass zeitgleich ein großes Fußballspiel in Cottbus die polizeilichen Ressourcen bindet. Hunderte von Demonstranten beschließen daher, direkt zum ungeschützten Kraftwerk aufzubrechen. Luisa und Max hingegen bleiben auf den Schienen. „Hier sind wir richtig. Die Blockade darf auf keinen Fall unterbesetzt oder gar aufgegeben werden“, meint Max. Der Hubschrauber, der über der Blockade schwebt, beginnt sich nervöser zu bewegen, als ein Großteil der Demonstranten zum Kraftwerk aufbricht. Bald fahren etwa 20 Polizeiwagen unter der besetzten Bahnbrücke zum Kraftwerk. Obwohl die Gleisblockierer auf dem Schotter des Gleisbettes sitzen, fliegt kein Stein auf die vorbeifahrenden Autos. „Im Aktionskonsens steht, dass wir gewaltfrei bleiben und auch nichts beschädigen“, meint Luisa. Wie die meisten der Blockade-Trupps umfasst der von Luisa und Max eine Handvoll Menschen und trägt einen Namen – hier „Koalabär“. Wenn jemand im Gedränge verloren geht, reicht es den Gruppennamen zu rufen, um die Mitstreiter zu finden. Für die Blockierer ist selbstverständlich, niemals die echten Namen zu rufen. Auch Handys sind nicht gern gesehen. In Dresden hatte die Polizei nach einer großen Anti-Nazi-Demo Handydaten ausgewertet. Daher bestet die Order, die Mobiltelefone erst gar nicht mit zu bringen. Ein Chor beginnt, von Streichern begleitet, zu singen, während das Plenum, zu dem jede Truppe einen Delegierten schickt, beginnt. Basisdemokratisch wird entschieden, wer auf den Schienen übernachtet.

Zwischen drei Demonstranten, die zurück zum Klimacamp wollen, und Jugendlichen aus dem benachbarten Dorf entbrennt derweil eine Diskussion. „Wovon sollen wir denn leben – weißt du, wie viel man als Ingenieur bei Vattenfall verdient?“, wirft einer der Jugendlichen den Aktivisten entgegen. Der weicht aus und redet von neuen Beschäftigungsmöglichkeiten bei den erneuerbaren Energien. Doch beiden Seiten ist klar, dass diese Arbeiten wohl nur selten von umgeschulten Kohlekumpeln getan wird. „Und was ist mit denen, die hier nur aufpassen oder sauber machen?“, fragt ein anderer Dorfbewohner, „Und stimmt es, dass in eurem Protestbus Flüchtlinge waren? Die wollen wir hier nicht haben!“

Die Demonstranten schauen sich überrascht an. In der Kohleregion Lausitz prallten zu Pfingsten Welten aufeinander.

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Geschrieben von

Marius Hasenheit

Arbeitet für Ecologic Institute & seebohm.berlin. Schreibt hauptsächlich für transform Magazin. @MariusHasenheit

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