Lung Bao baut Reis an, seit Jahrzehnten schon. Er lebt auf Koh Yao Noi, einer kleinen Insel im Süden Thailands östlich von Phuket. Onkel Bao, wie er genannt wird, trägt den Bart kurz und bewirtschaftet ein kleines Reisfeld auf der Westseite der Insel, mit Wasserbüffeln zum Pflügen und weißen Reihern, die dazu dienen, Insekten und Frösche von den Reispflanzen fernzuhalten.
Der Reis, Oryza sativa, ist in Thailand mehr als ein bloßes Grundnahrungsmittel. Er sichert Leben, bringt Reichtum, kann die Macht von Staatsoberhäuptern festigen oder sie stürzen. Lung Baos Ernte braucht er größtenteils für sich und seine Familie, den Rest verkauft er zum Verbrauch auf der Insel. Früher war das bei den meisten Bauern in Thailand so, inzwischen wird Reis jedoch zunehmend international und zu schwankenden Preisen gehandelt – die umgeschlagene Menge hat sich seit den 1960ern vervierfacht. Auf den Märkten trifft eine wachsende Nachfrage auf das schwankende Angebot aus bloß einer Handvoll von Staaten. Mit Reis, der Lebensgrundlage von Millionen von Menschen, wird spekuliert und Politik gemacht.
Die Reisbauern im Norden Thailands profitieren von einem noch günstigeren Klima als jene im Süden wie Lung Bao, sie können zweimal im Jahr ernten. Deshalb, und weil Thailand den Reis exportierte und nicht wie viele andere asiatische Länder der eigenen Versorgung Vorrang gab und die Ausfuhren begrenzte, stieg das Land bis zum Jahr 2012 zum weltweit größten Reisexporteur auf, fast ein Drittel des Angebots auf dem Weltmarkt an Reis kam aus Thailand.
Wilde Preisschwankungen
Der Reis eignet sich deshalb hier auch als Wahlkampfthema: 2011 gewann Yingluck Shinawatra, die Schwester des nach einem Militärputsch im Exil lebenden ehemaligen Premiers Thaksin Shinawatra, die Wahl zur Premierministerin. Ihren Sieg verdankte sie einem, wie es aussah, ausgebufften Plan: Die Regierung versprach, den Bauern Reis zu einem Mindestpreis abzukaufen, der über dem Marktniveau lag, und sie so gegen wilde Preisschwankungen abzusichern. Der gekaufte Reis würde in Speichern gelagert, was das globale Angebot verknappen und so die Preise hochtreiben würde. Dann könnte die Regierung ihre Reisreserven mit Gewinn abstoßen.
Immerhin ein Zehntel des Staatshaushalts floss in das Programm. Ob es tatsächlich geholfen hat, die Armut zu verringern, darüber stritt sich die thailändische Bevölkerung. Während manche die Preisstabilität lobten, kritisierten andere, dass die meisten Kleinbauern wie Lung Bao Klebreis anbauten, den sie vor allem selber verzehrten, weswegen sie von dem Subventionsprogramm kaum profitierten. Auch der thailändische Staat zog keinen Vorteil aus dem Horten des Reises: Zuerst verursachte das Bauen von Speichern hohe Kosten, dann brach der Weltmarktpreis ein, als Indien seinen Exportbann für Reis aufhob und den Markt mit billigem Reis überschwemmte. Thailand verlor daraufhin seine Position als größter Reisexporteur und fiel hinter Indien und Vietnam zurück. Als Yingluck Shinawatra zusätzlich Amnestiegesetze erlassen wollte, von denen auch ihr umstrittener Bruder profitiert hätte, kam es zu von der Opposition organisierten Massenprotesten. Nachdem die Premierministerin für die Hauptstadt Bangkok den Ausnahmezustand erklärt hatte, putschte das Militär. Bis heute regiert die Militärregierung unter General Prayut Chan-o-cha.
Doch es waren nicht die Amnestiegesetze, weswegen die Premierministerin 2015 angeklagt wurde, sondern Korruption. Dreh- und Angelpunkt der Vorwürfe: der Mindestpreis für Reis. Kurz nachdem Shinawatra zu einer Strafzahlung von einer Milliarde Euro verurteilt wurde, setzte sie sich nach Dubai ab. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Weltmarktpreis für Reis am niedrigsten Stand innerhalb eines Jahrzehnts, was dazu führte, dass die regierende Militärjunta ebenfalls ein Reissubventionsprogramm aufnahm, mit Preisen, die über jenen des Weltmarktes lagen. Dabei spielte auch der Umstand eine Rolle, dass der Großteil von Thailands Reis im Norden angebaut wird. Die dortige Bevölkerung gilt größtenteils als treue Anhängerschaft der Geschwister Shinawatra und sollte damit ruhiggestellt werden.
Seitdem erlebt der internationale Reishandel – und damit auch Thailands Bauern – immer neue Turbulenzen. Die steigende Nachfrage, vor allem aus afrikanischen Staaten, neue Exportländer und die wachsende geopolitische Bedeutung des Grundnahrungsmittels sorgen für abnehmende Preisstabilität. 2016 verkündeten China und Kambodscha ein gemeinsames Abkommen zum Reishandel. Seit mehreren Jahren weitet Peking seine Investitionen in die Mekong-Staaten Thailand, Myanmar, Laos, Vietnam und Kambodscha massiv aus. Der Mekong durchfließt alle sechs Länder und ist für die Reisproduktion zentral. Naturgemäß haben die Länder in Quellennähe, China und Myanmar, mehr Eingriffsmöglichkeiten als Länder in Deltanähe. An der Quelle lässt sich schließlich eher der Hahn zudrehen.
Wie in Kambodscha oder Vietnam wird auch in Thailand ein Großteil des Reises mit der Überflutungsmethode bewirtschaftet. Neben der Gefahr von geopolitisch motivierten Eingriffen sind es die Staudämme, die mit chinesischen Investionen in allen Mekong-Staaten errichtet werden, die den Wasserfluss bedrohen. Gleichzeitig macht der Klimawandel den Reisbauern zu schaffen: Mal fällt der Regen über lange Zeit aus, die Flüsse und Reisfelder trocknen aus, mal kommt es zu flutartigen Niederschlägen, Überschwemmungen und dadurch Erosion. Als im August 2017 ein Drittel von Bangladesch unter Wasser stand, stieg auch die Nachfrage nach dem Reis aus den Mekong-Staaten, was die Preise steigen ließ – gut für Großbauern, Händler und Exportstaaten, schlecht für die zahlreicher werdenden Reisimporteure.
Die globale Reisnachfrage wächst stetig – vor allem in vielen afrikanischen Staaten. Nigeria begegnete dem auf die gleiche Weise wie viele asiatische Staaten in der Vergangenheit: Um sich bis 2018 vom zweitgrößten Reisimporteur nach China zum selbstversorgenden Staat zu entwickeln, verbot die Regierung den Import von Reis über den Landweg. Doch mit der steigenden Reisnachfrage konnte die nigerianische Landwirtschaft nicht mithalten: Der Preis für einen Sack Reis verdoppelte sich, was Schmuggler auf den Plan rief, die im großen Stil Reis von Benin nach Nigeria brachten. Dorthin kommt der Reis zu einem großen Anteil aus Thailand, dessen Exporte nach Benin stetig wachsen, seitdem Nigeria den ausländischen Reis verboten hat.
Methan, Methan, Methan
Auch in Nigeria erschweren zunehmende Extremwetterereignisse, wie Dürren, den Anbau von Reis. Doch der leidet nicht nur unter dem Klimawandel, sondern trägt selbst zu Letzterem bei. Auf den dauernassen Reisfeldern werden durch die Zersetzung von organischem Material unter Sauerstoffabschluss große Mengen des Treibhausgases Methan frei, dessen Emissionen durch den Menschen zwar geringer als beim Kohlenstoffdioxid sind, doch 25-mal klimaschädlicher wirken. Zwei Drittel der vom Mensch verursachten Methanemissionen entfallen auf die Landwirtschaft – vor allem Rinderzucht und Reisanbau. Um den Reisanbau klimafreundlicher zu gestalten, müssten die Reisfelder zeitweise trockengelegt werden. Die Methan produzierenden Mikroorganismen würden dann absterben. Für die Bauern jedoch bedeutet das einen größeren Arbeitsaufwand, schließlich würden die dann trockenen und unbepflanzten Reisfelder von Unkraut überwuchert werden. Ein anderer Vorschlag ist, weniger Erntereste, wie Reiskornhüllen, die sogenannten Spelzen, auf den Feldern zurückzulassen. Immerhin ist es ihr Abbau, bei dem die Methanemissionen entstehen. Entgegnet wird von manchen Reisbauern jedoch, dass die Erntereste auch den Boden düngen und somit die Basis für die kommende Reisernte bieten.
Die Felder von Bauern wie Lung Bao im Süden Thailands fallen wegen des Klimas regelmäßig trocken, tragen deshalb auch weniger Reis. Aber Onkel Bao hat Glück, denn Koh Yao Noi wird immer öfter von Touristen besucht. Er zeigt ihnen die Kokosnussernte und hat mit seinem Sohn kleine Gästebungalows gebaut. Für die meisten Reisbauern in Thailand und anderswo aber bleibt die Zukunft angesichts von Klimawandel, Geopolitik und Weltmarktverwerfungen ungewiss.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.