Nur noch kurz die Welt reparieren

Lokal Selbermacher werkeln in „Repaircafés“. Sind offene Werkstätten und 3D-Drucker eine Alternative zu den Lieferketten der Konzerne?
Ausgabe 13/2017

Glimmende Funken fallen auf den Boden, als Ludwig Kuntscher einen glühenden Stab in die Höhe hält und fragt: „Hast du schon einmal verbrennenden Stahl gesehen?“ Kuntscher, Mitte 20, gehört zum Koordinationskreis des Werkhauses Potsdam und leitet dessen Schmiede-Workshops. „Ein spannendes, aber aussterbendes Handwerk“, sagt er. Zwei Teilnehmer sind heute dabei, der Wechsel von Erhitzen und Abschrecken des Metalls verlangt Konzentration, die sich in ihren gebannten Blicken auf die Glut und den Amboss abzeichnet. Ohne jegliche Schmiedeerfahrung fertigen sie gerade ihre ersten eigenen Kleiderhaken.

Die Dinge selber herstellen statt sie nur immer in den Filialen globaler Konzerne wie Ikea zum Schnäppchenpreis zu kaufen – dieses Motiv mag eine Nische bilden und treibt doch immer mehr Menschen in die rund 250 „Freiräume zum Selbermachen“ , die der Verbund Offener Werkstätten auf seiner Internetseite für den deutschsprachigen Raum listet. Wer dabei nur an die Fabrikationslabore – „FabLabs“ – und die „Makerspaces“ mit ihren 3D-Druckern denkt, tut der Szene Unrecht. Zwar erlebt die Bastelkultur auch wegen der modernen Kiezwerkstätten eine Renaissance, doch Lowtech ist noch lange nicht tot. Vielerorts wird getöpfert, geschliffen, gesägt und geschmiedet. Egal, ob ein 3D-Drucker, eine CNC-Fräse oder eine Drechselbank in der Werkstatt steht: Vereine und Kollektive profitieren von der Lust am Werken.

Manche Schwärmer erwarten, dass die neue Bastlergeneration die Nische verlässt, die vorherrschende Wirtschaftsweise hackt und sie nachhaltiger, sozialer, ja sogar postkapitalistisch gestaltet. Während Politik und Wirtschaft einen rhetorischen Kampf zwischen Freihandel und Protektionismus ausfechten, sollen offene Werkstätten eine eigene Zukunft schaffen – Jeremy Rifkins Null-Grenzkosten-Gesellschaftstheorie in der Praxis. Eine Gesellschaft, in der weite Transportwege entfallen, Konsumenten zu Produzenten oder „Prosumenten“ werden und der Weltmarkt mit seinen globalen Lieferketten höchstens noch ein Ort ist, auf dem man sich Spezialprodukte besorgt. Die Welt reparieren ist dann auch der Titel des jüngst erschienenen Sammelbandes, in dem viele Akteure der Szene vertreten sind, Unterzeile: Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis (transcript 2016, 352 S., 19,99 €, Digitalversion gratis).

Fahrräder für Flüchtlinge

Noch ist es aber nicht ganz so weit, jedenfalls nicht, wenn man dem differenzierten Bild glaubt, das eine jüngst veröffentlichte Untersuchung des Forschungsverbundes „Commons-based Peer Production in offenen Werkstätten“ (COWERK), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, zeichnet. 500 Bastler aus 180 Werkstätten wurden dafür befragt – ein Viertel schickte den Fragebogen zurück. Ob Open-Source-Anhänger, Upcycler oder Töpferkursteilnehmer, 70 Prozent der Befragten sind ehrenamtlich in ihrer Werkstatt tätig. 61 Prozent nehmen ihre Werkstücke mit nach Hause. Im gemeinsamen Besitz der offenen Werkstätten verbleiben nur 16 Prozent der hergestellten oder reparierten Güter. Die meisten Repaircafés und Vereine ähneln eher kleineren Bildungseinrichtungen denn großen Produktionsstätten.

„Es geht uns vor allem um den Aha-Effekt“, sagt Florent Vivier. Seit einem Jahrzehnt ist er beim Werkhaus in Potsdam dabei, heute als Koordinator der Holzwerkstatt. „Wir bauen mit Kindern aus dem benachbarten Plattenbauviertel Longboards, mit Geflüchteten reparieren wir Fahrräder und bieten verschiedenste Kurse gegen kleine Gebühren an. Dabei ist das Basteln vor allem die Chance für einen Dialog über die Frage, wie wir leben wollen.“ Die Werkstätten gehören zum Projekthaus Potsdam, auf dessen Gelände ein selbst gebautes Passivhaus als Mitglied des Mietshäuser Syndikats Wohnen zu niedriger Miete ermöglicht und eine Jugendbildungsstätte des Landes Brandenburg ist.

Um in den Kursen zum Denken anzuregen, gehen die Potsdamer ökologische Kompromisse ein. „Hauptbestandteil für unser Lastenrad sind leichte Aluminiumbauteile. Die Produktion von Aluminium ist umweltschädlich, aber zum einen ersetzt das Lastenrad im besten Fall ein Auto, und zum anderen regt der Bau eines solchen Rads an, über Mobilität nachzudenken“, sagt Vivier. Um auch jüngere Generationen anzusprechen, kombinieren die Kursleiter die Lastenräder mit einem Beamer, und bauen so mobile Kino-Bikes. Auf diese Art wird Technologie greifbarer – nicht nur für Kinder. „De-Blackboxing“ nennt das die Repairbewegung: Es ist nicht deins, bis du es reparieren kannst.

Doch trotz des Hypes, der tausenden Neumitglieder und hunderten neuen Gruppen, die Bewegung ist klein und mit makroökonomischen Indikatoren praktisch nicht erfassbar. Doch die Frage, ob sie mit Drechseln, Schweißen, Fräsen und 3D-Drucken globale Lieferketten erschüttern, stellt sich vielen Bastlern auch gar nicht – für sie ist das Ganze schlicht ein Hobby.

Bastler zum Ausbeuten

Allein in schummrigen Kellerwerkstätten und alternativen Gemeinschaftsprojekten ist die kollaborative Selbermachkultur aber längst nicht mehr zu Hause. Der Techniksoziologe David Seibt sagt: „Unter Schlagworten wie Open Innovation, Coproduction oder Firm-hosted Peer-Production laden längst auch Großunternehmen zum Mitentwickeln von Produkten und Services ein.“ Produktentwickler und Forscher arbeiten heute an Projekten von Airbus, der Bahn oder Renault, ohne regulär angestellt zu sein. „Natürlich könnte man einwenden, dass es schon immer Formen von Koproduktionen zwischen Firmen und Nutzern gab, doch heute sind diese stärker institutionalisiert und werden von vielen Firmen ganz bewusst forciert“, sagt Seibt, der an der TU München forscht. Das geschieht natürlich nicht aus Uneigennützigkeit. „Unternehmen kooperieren häufig mit FabLabs oder Open-Source-Projekten und nehmen dann deren Ideen auf.“

Auch mit dieser Kopie durch Konzerne mag es zu tun haben, dass an der Basis heute manche ein wenig desillusioniert sind. „Die Euphorie um die FabLabs ist etwas abgeklungen“, sagt der COWERK-Wissenschaftler Michael Steinfeldt. Unklar seien die konkreten sozialen und ökologischen Auswirkungen von offenen Werkstätten. „Die sind häufig eher indirekt messbar, traditionelles Wissen wird wieder erlangt, sozialer Zusammenhalt verstärkt.“ Allein damit ließen sich aber nicht gleich ganze ländliche Regionen reindustrialisieren.

In Sachen Standort hat das Werkhaus Potsdam derzeit andere Bedenken – es liegt mitten in einer Villengegend unweit des Griebnitzsees. Einige Nachbarn stehen den Bastlern durchaus wohlwollend gegenüber, kommen zum Hoffest. Im Werkhaus hoffen sie, dass das auch die Bewohner des nebenan entstehenden Neubaus mit teuren Eigentumswohnungen so halten und sich nicht etwa über Lärm aus der Schmiedewerkstatt beschweren werden.

Marius Hasenheit arbeitet als Forscher am Ecologic Institute in Berlin und als Journalist unter anderem für das transform-Magazin

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Geschrieben von

Marius Hasenheit

Arbeitet für Ecologic Institute & seebohm.berlin. Schreibt hauptsächlich für transform Magazin. @MariusHasenheit

Marius Hasenheit

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