Ungleichheit falsch gemessen? Palma vs. Gini

Einkommensverteilung Um soziale Ungleichverteilung zu messen, wird meist der sogenannte Gini-Koeffizient verwendet. Doch die Methode ist unter Forschern umstritten

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Wie gleich oder ungleich Einkommen und Reichtum verteilt sind, wird wieder diskutiert. Pickettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ wird von Millionen Lesern verschlungen. Oxfam belegte pünktlich zum Wirtschaftsgipfel in Davos, dass die 85 reichsten Menschen ebenso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen besitzenauch der Freitag machte kürzlich soziale Ungleichheit zum Themenschwerpunkt einer Ausgabe.

Wie in vielen politischen Fragen wird hier mit sehr unterschiedlichen Zahlen jongliert. Die Ausmaße von sozialer Ungleichheit werden dabei teilweise sehr unterschiedlich eingeschätzt. Ein Grund dafür ist, dass es gar nicht so einfach ist soziale Ungleichheit zu messen. Meist wird der Gini-Koeffizient zu Rate gezogen. Allerdings mehren sich die Stimmen der Gini-Kritiker. Der Gini-Koeffizient gibt nur einen ungefähren Mittelwert zur Gesamtsituation der Ungleichheit, beantwortet aber nicht die Frage, was mit dem Anteil der Reichsten und Ärmsten geschieht – schließlich bewegt eben diese Frage die meisten Menschen. Es geht nicht in erster Linie um kleine Veränderungen in der Einkommensverteilung, es geht um die Geringverdienenden, die in der Gesellschaft zurück bleiben, während sich der Reichtum der sehr begüterten Menschen zunehmend schneller vermehrt.

Der Gini-Koeffizient jedoch gewichtet eine Veränderung in der Einkommensverteilung stets gleich, ob sie sie nun an der Spitze, am Boden oder irgendwo in der Mitte der Verteilung stattfindet. Es gibt allerdings wohl wenige Zweifel, dass „ein paar Euro mehr oder weniger“ für Manche gar nicht bemerkbar sind, für andere jedoch Einschnitte bedeuten. Dem Gini-Koeffizienten wird an dieser Stelle vorgeworfen, dass er zu sensibel Entwicklungen in der Mitte der Einkommensverteilung anzeigt, während Entwicklungen an beiden Extremen nur schlecht erfasst werden.

Dennoch ist dieser Indikator unangefochten auf dem Thron der Messung von sozialer Ungleichheit. Wie kommt das? Der Gini-Koeffizient vermag es ein komplexes Thema mit einer einzigen Zahl zwischen 0 (absolut gleichmäßige Verteilung) und 1 (eine Person besitzt alles) verständlich auszudrücken. Die Zahlen sind also leicht verständlich und kommunizierbar – es braucht kein Statistikstudium um eine Weltkarte mit Gini-Werten zu interpretieren.

Doch die Einschränkungen in der Aussagekraft des Koeffizienten bleiben. Nun schlagen immer mehr Forscher vor, den Gini-Koeffizienten zurück in die Zauberlampe zu stecken und stattdessen die Palma-Ratio zu verwenden. Dieser neue Indikator fußt auf der Arbeit des chilenischen Ökonomen Gabriel Palma und beschreibt das Verhältnis der reichsten 10% und der ärmsten 40% einer Bevölkerung am Bruttonationaleinkommen. Das bedeutet, bei einer Palma-Ratio von zum Beispiel 4, erhalten die Top-10% viermal mehr Einkommen, als die untersten 40%. So werden die besonders sensiblen Themen innerhalb der Debatte von Ungleichheit, wen es um „Arm und Reich“ geht, wesentlich besser abgedeckt, als durch den Gini-Koeffizienten.

Kommendes Jahr endet der Zeitraum der durch die Vereinten Nationen im Jahre 2000 beschlossenen Entwicklungsziele. In dem sich in Entwicklung befindenden Post-2015-Rahmen soll dem Kampf gegen wachsende soziale Ungerechtigkeit eine wichtige Rolle zugeteilt werden. Bereits im März 2013 appellierten 90 Ökonomen (einschließlich des Nobelpreisgewinners Joseph E. Stiglitz), Akademiker und Entwicklungsexperten an das UN Economic Development Panel, soziale Ungleichheit mehr zu beachten. Dabei betonten sie deutlich die Vorteile der Nutzung der Palma-Ratio. Es bleibt abzuwarten, ob die Palma-Ratio den Gini-Koeffizienten verdrängt. Doch egal welche Zahl soziale Ungleichheit wiederspiegelt: Es ist die menschliche Dimension und die Bedeutung von „ein paar Euro mehr oder weniger“ die zum Handeln drängen.

Hier ein kleines Video welches anschaulich erklärt wie die Palma-Ratio berechnet wird.

[Dieser Artikel erschien zunächst auf der NETGREEN-Projektseite. Das wissenschaftliche Projekt widmet sich den wichtigsten Green Economy Indikatoren, und damit auch Sozialindikatoren.]

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Geschrieben von

Marius Hasenheit

Arbeitet für Ecologic Institute & seebohm.berlin. Schreibt hauptsächlich für transform Magazin. @MariusHasenheit

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