Es ist soweit, wir haben es immer gewusst und nun ist es da: das Ende des weißen Mannes. Mit einem Aufschrei im Feuilleton hat Jens Jessen in der ZEIT nun endlich die Gefahr erkannt, die von #metoo für den Mann ausgeht. Die Bedrohung, die der Feminismus für ihn oder andere Männer darstellt, veranlassten Jessen nun zum Wutausbruch, denn zu Unrecht würde er für die Untaten aller Männer beschuldigt – das wird Mann ja wohl noch mal sagen dürfen!
Neu ist dieser Alarmismus beileibe nicht. Der bedrohte Mann, der impotente Mann, der Mann in der Krise. Diese Rhetoriken schwirren immer schon durch den feuilletonistischen Raum, brisant ist das Thema allemal, allein das Ausmaß hinterlassener Kommentare unter Beiträgen dieser Art spricht Bände. Prominent wurden diese Sprechweisen in den vergangenen Jahren besonders dort bedient, wo sie mit der Geflüchtetensituation in Deutschland zusammengeschaut wurden. Nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht 2015 wurden Stimmen laut, die nach der Identität des arabischen Mannes fragten. Zugleich wurde sich am westlichen, am deutschen Mann abgearbeitet. Die russische Publizistin Julia Latynina stellte die verwegene These auf, der deutsche Mann sei zu weich, er könne ‚seine Frau‘ nicht mehr beschützen. Harte Zeiten erfordern harte Männlichkeit.
Das zeigt, dass es um relativ einfache Distinktionsmechanismen geht. Wenn es den weißen Mann nicht gibt, muss er in Opposition zu dem anderen allererst hervorgebracht werden. Steht im öffentlichen Diskurs das Neuverhandeln des jeweils anderen – dort der arabische Mann, hier die Frau – sowie das Re-Arrangieren von Geschlechterverhältnissen selbst zur Debatte, dann sieht auch Männlichkeit sich dazu gezwungen, sich neu zu entwerfen. Dabei ist Männlichkeit vielmehr als Projekt zu verstehen, das – genau wie Weiblichkeit – über diskursive Praktiken konstruiert wird. Wie wir darüber sprechen und schreiben macht Geschlecht – und bringt in Relation anderes hervor.
Besonders zeichnet sich Männlichkeit durch eine spezifische Flexibilität aus. Hybrid Masculinity nennen das die Soziologen Tristan Bridges und C.J. Pascoe, eine Form von Männlichkeit, die sich eines Verhaltenskatalogs ‚anderer‘, d.i. queerer, ‚weiblicher‘ oder homosexueller Männlichkeit bedienen.
Hybride Männlichkeit ist hochgradig elastisch und verfehlt genau deshalb das Projekt, männliche Hegemonie zu unterwandern. Der Griff in die Geschlechter-Apotheke verhilft zur Immunisierung gegen neue ‚Bedrohungen‘.
Die aktuelle Debatte zeigt vor allem eines: die selbstattestierte Krise des Mannes ist hausgemacht. Als Strategie kultureller und gesellschaftlicher Hegemonie dient sie dem westlichen Mann dazu, sich (auch) in der Position des Benachteiligten zu wähnen, um von dort aus sich neu aufstellen und auf die vermeintliche Gefahr reagieren zu können. Auf diese Weise bleibt, das hat Raewyn Cornell schon vor 20 Jahren gewusst, heterosexuelle Männlichkeit das dominante Geschlechtermodell, das die Vorherrschaft über Frauen und marginalisierte Männlichkeiten (homosexuelle, schwarze etc.) gewährleistet. Anpassungs- und Aneignungsfähigkeiten sind die Kernkompetenzen weißer Männlichkeit.
Aus einer solchen Krise geht der Mann gestärkt hervor, schließlich verweist der aus der Medizin kommende Terminus der Krise den Umschlagpunkt, an dem der Patient entweder versterben oder genesen wird. Und wie an der jahrtausendealten Vorherrschaft des Patriarchats und den noch immer andauernden Debatten ersichtlich wird, ist der Patient bisher noch nicht verendet.
Doch wäre das angesichts Jessens Befund vielleicht endlich angebracht. Denn wer sich wie der ZEIT-Feuilletonist als Mann mit Händen und Füßen gegen seine Verantwortung wehrt, etwas gegen die Untaten anderer Männer zu unternehmen, lässt das Projekt der Emanzipation verkümmern und handelt nicht weniger beschämend als diejenigen, gegen die sich #metoo zunächst gerichtet hatte. Dass der respektlose Vergleich mit der „Diskriminierungserfahrung der Muslime“ nicht nur völlig verfehlt ist und Privilegien westlicher Männlichkeit sowie deren historischen Vorherrschaft verkennt, sollte nicht einmal einer Erwähnung wert sein.
All das zeugt nun gerade nicht von einer Krise des Mannes. Vielmehr zeigt es, wie aggressiv und gewalttätig Geschlechterentwürfe sind und mit welchen Mitteln sie aufrecht erhalten werden, auf weltpolitischer wie auf feuilletonistischer Bühne. Nur wenn Männer wie Jens Jessen damit aufhören, sich als Opfer in der Krise zu inszenieren, können wir anfangen, uns über diese Entwürfe zu unterhalten. Und das ist dringender denn je.
Kommentare 8
Es gibt keine aktuelle "Krise der Männlichkeit", denn eigentlich ist die immer in der Krise. "Männlichkeit" muss immer und immer wieder neu hergestellt und verteidigt werden - gegen andere Männer und - vor allem in Abgrenzung von den Frauen. Ich kann hier nur auf diesen hervorragenden Beitrag von Rolf Pohl verweisen, der das vor einigen Jahren thematisiert und erklärt hat.
Männer - das benachteiligte Geschlecht? Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit
Zu Jens Jessen kann man nur sagen: Der hat - und das ist wirklich unverzeihlich - nichts über diese Probleme geschrieben, sondern - beflissen und sorglos - fast alles nochmal zusammengefasst, was militante Maskulisten und Antifeministen in ihren Blogs so zusammenschreiben. Das wimmelt von bösen Unterstellungen, wenn er erklärt, dass alle Männer jetzt die Diskriminisierungserfahrung der Muslime machen. Wenn er von einem "feministischen Volkssturm" spricht oder meint, dass die feministische Rhetorik sich an bolschewistischen Schauprozessen orientiert. Und am Ende geht es um den Triumph des totalitären Feminismus.
Ich habs zitiert, nicht weil ich Antifeministen "munitionieren" wollte, sondern weil hinter der Bezahlschranke bei der ZEIT tatsächlich üble Hetze veranstaltet wird.
Die Unterstellung, alle Männer würden "in die Ecke" gestellt hat allerdings mehr damit zu tun, dass fast alle Männer, die sich kommentierend äußern, sofort Partei ergreifen für jene, die sie zu unrecht angeprangert sehen. Sie selbst sind es, die dadurch den Eindruck verstärken, es ginge ihnen nicht um eine Debatte, sondern - an der Seite der Beschuldigten - um Zurückweisung und Abwehr der Anschuldigungen. Und zwar absolut pauschal.
Wenn Sie sich hier in der Community umsehen, finden Sie das massenweise.
"All das zeugt nun gerade nicht von einer Krise des Mannes. Vielmehr zeigt es, wie aggressiv und gewalttätig Geschlechterentwürfe sind und mit welchen Mitteln sie aufrecht erhalten werden, auf weltpolitischer wie auf feuilletonistischer Bühne. Nur wenn Männer wie Jens Jessen damit aufhören, sich als Opfer in der Krise zu inszenieren, können wir anfangen, uns über diese Entwürfe zu unterhalten. Und das ist dringender denn je."
Dem ist absolut zuzustimmen!!!!! - Den Anti-Feminismus und dieses Opfergeheule bestimmter Männergruppen muss man immer im Zusammenhang mit dem überall in Europa und in der Welt aufblühenden rechten Populismus sehen. Und diese erschreckende politische Tendenz wird von alten, weißen, verbitterten, nicht sehr sensiblen oder klugen Männern mit narzißtischen Störungen getragen.Diese sind es, die "Männlichkeit" in eine Krise stürzen und es peinlich machen könnten, ein Mann zu sein. Aber Gott sei Dank gibt es ja Alternativentwürfe!
"Dabei ist Männlichkeit vielmehr als Projekt zu verstehen, das – genau wie Weiblichkeit – über diskursive Praktiken konstruiert wird. Wie wir darüber sprechen und schreiben macht Geschlecht – und bringt in Relation anderes hervor."
Naja. Das aber ist samt der "hybriden Männlichkeit" aber eine reine Glaubenslehre des radikalen Konstruktivismus und wäre als solche auszuweisen. Es soll da ja noch ein paar biologische Tatsachen geben, die nicht ganz so flexibel durch Sprache wegzuinterpretieren sind.
Alles in allem zeigt m.E. das Opferheul sowohl bei Feministen als auch bei Maskulinisten, dass im Geschlechterverhältnis einiges im Argen leigt, arabisch oder teutonisch.
Wer das aber aufrichtig analysieren will, darf nicht schon zu Beginn die Differenz leugnen und und - hier als männlicher Autor - die allseitige Biegbarkeit von Männern vorschützen, um wohlgelitten zu sein bei Feministen. Ich glaube Ihnen nicht, ganz einfach. Noch weniger, dass das die Lösung ist. Aber es ist natürlich sehr trendy, darüber zu schreiben ...
Größtenteils nicht mal andeutungsweise verstanden, um was es Kritikern an feministischer Ideologie überhaupt geht.
Haben Sie vielen Dank für den Kommentar, und ich pflichte Ihnen insofern bei, dass es sicherlich materielle Wahrheiten gibt, die nicht zu leugnen sind. Entscheidend ist daran – und auch hier haben Sie sicherlich nicht ganz unrecht, dass das aus unterschiedlichen Richtungen unterschiedlich gewertet wird –, dass je nach Beobachterinnenposition, diese Wahrheiten sich allein durch die Beobachtung selbst einstellen. Damit meine ich etwa soziale oder ökonomische Konsequenzen, die Bezeichnungslogiken und -systeme zeitigen. Nicht etwa möchte ich damit Körper wegdiskutieren (das hat beispielsweise auch Judith Butler nie machen wollen, wie Ihr gelegentlich vorgeworfen wurde) – danke sehr, ich werde versuchen, solche Passagen zu vermeiden, von denen aus auf radikalen Konstruktivismus geschlossen werden könnte.
Nicht ganz sicher bin ich mir allerdings darüber, was Sie damit sagen wollen, dass Sie mir nicht glauben. Wenn es darum geht, dass Sie mir widersprechen bzw. hinter dem Text eine Glaubenslehre vermuten, der Sie widersprechen, dann würde ich mich freuen, wenn Sie da vielleicht noch etwas genauer werden können (schließlich könnte man schlicht beide Perspektiven als dogmatisch begreifen; Ihren Standpunkt damit untermauern zu wollen, dass Sie mir nicht glauben, hätte sich das Argument selbst ausgehöhlt). Wenn Sie allerdings meine Glaubwürdigkeit aufgrund meiner Positionalität infrage stellen, würde ich auch dort gerne wissen, woher Sie Ihre Annahmen beziehen. Über meine sexuelle Orientierung, mein Geschlecht, meinen kulturellen oder sozialen Hintergrund wissen Sie genauso wenig wie über meine Expertise oder meine Motivation, so einen Text zu schreiben. Vielleicht könnten Sie da ja nochmal genauer werden – ich freue mich, von Ihnen zu hören!
Haben Sie vielen Dank für die Rückmeldung, die Auszüge sowie den Artikel, ich wusste garnicht, dass der online zur Verfügung steht. Die Soziologin Sylka Scholz hatte in der Soziologischen Revue 36 (2013) etwas über den Krisendiskurs über Jungen, Männer und Männlichkeit geschrieben, darüber habe ich erstmals etwas über diese intrinsische Strategie erfahren. Vielleicht ist ja auch der von Interesse für Sie – aktuell ist er allemal.
Vielen Dank, ich stimme Ihnen größtenteils zu, würde jedoch davon absehen, zwischen "guter" und "schlechter" Krise zu unterscheiden (das ist natürlich ANsichtssache). Denn mein Punkt war vielmehr zu zeigen, wie die Krise als solches als ein Intrument von Männern gebraucht wird, um darüber Debatten anzuzetteln, sodass darüber ein Erneuerungsprozess gestartet werden kann (wenn Sie so wollen, eine Art Selbstheilung), die dann zur Folge hat, dass das Patriarchat doch wieder am Drücker bleibt. Aber da kann man sich natürlich gern drüber streiten.Mit vielen Grüßen
Was ich Ihnen nicht "glaube", habe ich in Anführungszeichen genannt. Mit Ihrer Person mag das zu tun haben, aber um die geht es mir nicht - und es mich auch nichts an. Ich nehme die Aussagen Ihres Textes (Zitat und hybride Männlichkeit) und kritisiere DIESE, nicht SIE.^^
Es erweckt den Anschein, dass Sie feministische Kritik als fraglos immer berechtigt und den Widerstand dagegen als "mangelnde Flexibilität" ausschließlich auf Seiten der Männer sehen. Das greift zu kurz, und dieses von mir so aufgefasste Statement habe ich (an)gegriffen.
Anstatt hier diese oder jene Partei zu ergreifen, würde es weiter führen, mal in der Tiefe und ohne Tabus (!) nachzufragen, was genau den zwischen den Geschlechtern uneins und nicht in Ordnung sei.
Als tabubrechende Anregung sei hier gegeben, dass die vorgehabte Trennung von Begehren und Aggression nicht funktionieren kann, weil sie aneinander gekoppelt sind. Reden wir also statt über Butler über Lacan, über die "Nichtexistenz eines Geschlechterverhältnisses" und die "Frau als Symptom des Mannes" und fragen uns, was da dran sein könnte, ohne ideologische Scheuklappen, und bevor "wir" empört von uns weisen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Polemisch und intellektuell geerdet als provozierende These:
Ein Mann, der nichts gegen eine Frau hat, wird sie auch nicht begehren (können).