„Das Judentum gehört zu Deutschland“

Antisemitismus In der WELT verurteilt Ulf Poschardt Antisemitismus – und den Islam gleich mit

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Das Judentum gehört zu Deutschland – der Islam nicht?
Das Judentum gehört zu Deutschland – der Islam nicht?

Foto: cea +/Flickr (CC 2.0)

Man hätte es beinahe ahnen können: Kurz nach den gewalttätigen und schändlichen Übergriffen vom 16.04.018 im Berliner Prenzlauer Berg auf einen Israeli wird der Vorfall in den verschiedenen öffentlichen Lagern stark diskutiert, nicht selten instrumentalisiert. So auch von Ulf Poschardt, der in bester Welt-Manier zynisch gegen den Islam Stimmung macht.

Dass es sich hierbei um einen „Ekel erregenden antisemitischen Vorfall“ handelt, steht vollkommen außer Frage. Auch der Beobachtung, dass es in jüngster Vergangenheit zu einem erhöhten Diskussions- und Aufklärungsbedarf um judenfeindliche Äußerungen und Handlungen gekommen ist, der mehr als nachdenklich stimmen sollte, ist beizupflichten. Um die Notwendigkeit solcher Auseinandersetzungen, deren Motoren und Ursprünge muss es künftig gehen, und es jenseits von Tragik, dass in der sogenannten deutschen Gesellschaft ein jähes Aufblühen antisemitischer Tendenzen zu verzeichnen ist. Das kann und darf nicht hingenommen werden, Ulf Poschardt hat meine vollste Zustimmung.

Aber darum geht es Poschardt nicht.

Denn der Chefredakteur der Welt spielt eine Religionsgruppe gegen die andere aus. „Das Judentum gehört zu Deutschland.“ Poschardt hat vollkommen Recht. Doch diese Formel ist in ihrem syntagmatischen Struktur in letzter Zeit zu fragwürdiger Berühmtheit gelangt. Denn die Aussage der Bundeskanzlerin, in der vom Heimatminister Horst Seehofer unnötig angestoßenen Debatte, „Der Islam gehört zu Deutschland“, hallt in Poschardts Kommentar unüberhörbar wider – und verschweigt diese doch. Was Poschardt in der Leerstelle sagt, ist: „Das Judentum gehört zu Deutschland – der Islam nicht.“

Mehr noch: damit provoziert er ein politisches und zwischenmenschliches Klima, in dem Bezüglichkeiten hergestellt werden sollen, Poschardt inszeniert eine Arena des Bekenntniszwangs: entweder gegen Antisemitismus oder gegen Islamophobie, beides zusammen geht nicht.

Denn dieser „heute morgen im affekt“ [sic] geschriebene Kommentar ist von rhetorischer Perfidie. Der Hinweis auf den den Schreibanlass begleitenden „affekt“ – hier performativ durch die Orthographie untermauert – ist nur ein Vorgeschmack auf das, was die Leserschaft bei dieser wutbürgerlichen Glosse erwartet. Einfachste Wiederholungen („Es reicht. Es reicht. Es reicht.“), Generalisierungen und Stereotypen dienen dem Autor dazu, Grenzziehungen vorzunehmen und ein Szenario zu kreieren, das sich durch eine schlichte Wir-die-Logik auszeichnet.

Auch fehlt dem Kommentar eine ausgewogene und differenzierte Perspektive. Denn die ist vor allem dann vonnöten, wenn der Autor die Verbindungslinien von der Tat eines Einzelnen auf eine gesamte Glaubens- und Wertegemeinschaft rückschließt. Deren Erfahrungen werden umgekehrt marginalisiert; jüngste Gewaltakte, die sich gegen Menschen muslimischen Glauben richten, werden banalisiert, denn „sie heulen in der Regel laut über die eigene Opfersituation“.

Das ist simpel wie effektiv. Die Stigmatisierung eines gemeinsamen Feindbildes stiftet Gemeinschaft, das wusste schon Rene Girard über die Figur des Sündenbocks zu sagen. In Zeiten unsicher gewordener Zuschreibungen werden Grenzziehungsprozesse zum politischen Instrument von Einschluss und Ausschluss, um die symbolische Repräsentation der eigenen Interessengruppe nach innen zu gewährleisten.

Es ist daher beinahe zynisch, dass Poschardt ‚den‘ arabischen Jugendlichen „Größenwahn“ und ein „tief komplexbeladenes Selbstbild“ attestiert, „in dem Fremd- und Selbstwahrnehmung so weit auseinanderklaffen, dass mit der Erniedrigung anderer die eigenen bescheidenen Bildungs- und Karriereleistungen kompensiert werden sollen.“ – treffender hätte er seinen eigenen Beitrag kaum beschreiben können.

Es muss eine Aufgabe der Bundesrepublik sein, in den kommenden Jahren zwischen unterschiedlichen Positionen zu vermitteln, und – wie es scheint – erneut eindeutige Grenzziehungen zu dem vorzunehmen, was keinesfalls geduldet werden darf. Gewalttätige Übergriffe dürfen nicht toleriert werden, und wenn sie religionsfeindlich motiviert waren, muss dem entgegengewirkt werden. Zugleich müssen Kultur, Bildung und Öffentlichkeit gemeinschaftlich ergründen, woher antisemitische und islamophobe Tendenzen herrühren, um so zum Abbau von Intoleranz beizutragen.

Dieses Projekt muss stattfinden, aber es muss differenziert stattfinden, ohne Teile der deutschen Bevölkerung unter Generalverdacht zu stellen. Denn das Judentum gehört genau wie der Islam zu Deutschland.

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