Hinhören statt Weghören

#metoo Trotz leichten Aufbäumens bei den Grammy Awards: der Betrieb ist von Bigotterie durchgezogen. Denn hier wird Musik ausgezeichnet, die zutiefst sexistisch ist

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Sexism sells.
Sexism sells.

Foto: Don Emmert/AFP/Getty Images

Gefeiert von einigen wenigen für das politische Statement, als zu zahnlos empfunden von vielen anderen: vor einigen Wochen wurden die Grammy Awards 2018 verliehen, der größte Preis der westlichen Musikindustrie. Dort werden jährlich Künstler_innen ebenso wie Produzent_innen, Komponist_innen oder Tontechniker_innen ausgezeichnet, derzeit sind es 84 Kategorien, in denen der Preis vergeben wird. Großer Gewinner der diesjährigen Veranstaltung war der US-amerikanische R&R-Sänger Bruno Mars, am Ende des Abends sollte er sechs der Trophäen in den Händen halten.

Ausgezeichnet wurde er vor allem für das 2016 erschienenen 24K Magic, das in den wichtigsten Kategorien „Album des Jahres“ und „Aufnahme des Jahres“ gewann, die Verkaufszahlen des Tonträger bewegen sich bei 231000 sogenannter Album-equivalent units, Tendenz weiter steigend. Bruno Mars' drittes Studioalbum, das ist unbeschwerter Funkpop, die mehrfache Auszeichnung des Musikers passend zu der auch ansonsten wenig politischen Veranstaltung. Die Verleihung, die sich im Januar zum 60. Mal jährte, bemühte sich etwa zwei Stunden lang, einen Bogen um dasjenige Thema zu machen, was momentan die Unterhaltungsindustrie und ihren Diskurs bestimmt: die Gewalt gegenüber Frauen. Gehemmt waren dann die Versuche, angesichts des branchenübergreifenden Sexismus doch noch ein Zeichen zu setzten, so auch Janelle Monaés Ankündigung von Keshas Song „Praying“, der der nachhallendsten Auftritts des Abends werden sollte: „Die Zeit ist um für ungerechte Bezahlung, für Belästigung und den Missbrauch von Macht“ – „Time's up“.

Doch so recht wollte all das nicht überzeugen, zu zaghaft, zu angepasst wirkte die Veranstaltung insgesamt. Außerdem seien zu wenige Frauen ausgezeichnet worden, das geht dann doch nicht so gut zusammen mit #metoo. Und dieser Politikverdruss, diese Konfrontationsangst zeugt keineswegs nur von Hilflosigkeit im Umgang mit der Debatte. Der verhaltene Ton ist vielmehr Verlegenheitsgestus einer Branche, die sich in ihrem eigenen Zuckerguss-Pop das letzte Refugium der Unbeschwertheit aufrechterhält.

Es ist eine Industrie, die sich seit den 90er Jahren im Abschwung befindet, neben schwindenden Absatzzahlen brachten CD-Verleihe, Brenner und Digitalisierung Sand ins Musikgetriebe. Rettung, zumindest aus finanzieller Perspektive, versprachen dann noch die Retortenkünstler wie Britney Spears oder Castingbands wie N-Sync um den noch immer aktiven und mittlerweile teils kontrovers diskutierten Justin Timberlake (sowie die Frage nach der Relevanz seines nunmehr zwölfjährigen Beitrags zum Musikgeschehen). Diese Kunstformen dominierten das Bild der Poplandschaft bis weit in die frühen 2000er hinein, intermedial gewissermaßen wurde dort im Mickey Mouse Club oder auf MTV der Nachwuchs vor den Kameras zurechtgecastet. Actionfiguren, Fernsehserien und sonstiger Merchandise verplastikten die Branche und ihre Stars. Vermarktung war und ist das halbe Geschäft.

Das alles ist bekannt, die Kulturindustrie funktioniert nicht erst seit 20 Jahre nach diesem Prinzip. Doch muss der Betrieb reagieren auf die historischen und kulturellen Wandel einer Gesellschaft und der Menschen, die darin leben, und er muss sich sensibel zeigen für politische Themen, aus Gründen der Marketingstrategie wie der Verantwortlichkeit. Die Fassade des Glitzer und Glamour scheint dieser Tagen zwar leicht zu bröckeln; dennoch wird, und davon legen die Grammy Awards Zeugnis ab, die Fassade von innen heraus stabilisiert. Denn schaut man genauer hinter den Firnis, auf das, worauf es eigentlich ankommt, den Grund der Preisverleihung, auf die Musik – dann zeigt sich ein viel tiefsitzenderes Problem als das von unterrepräsentierter Weiblichkeit bei einer Preisverleihung: die Objektivierung der Frau innerhalb der Kunstform selbst.

Mit 24K Magic wurde Musik ausgezeichnet, die zutiefst frauenverachtend ist. Das beginnt wenig subtil im gleichnamigen Opener des Albums, der die ökonomische wie biologische Potenz des Sänger-Ichs ausstellen soll: das Zucken der Hose, das ist Animation, Belebung durch weibliche Reize („Ooh shit, I'm a dangerous man with some money in my pocket | [Keep up] | So many pretty girls around me and they waking up the rocket“). Thematisch anschlussfähig wird dieses Bildrepertoire auch im zweiten Song übernommen, der mit „Chunky“ einen spezifischen Körpertyp von Frauen besingt und den das Ich in Daisy Dukes sehen will, knappe Jeansshorts, die ihren Namen dem gleichnamigen, leichtbekleideten Sidekick der 80er Fernsehserie Dukes of Hazard verdanken. Und tanzen sollen die Damien bitte („Chunky | Looking for them girls with the big old hoops | That drop it down in daisy dukes“). Stilistischer Gipfel des Langspielers: die vollkommen unverblümte Käuflichkeit des begehrten Objekts, die als Prämisse des Songs „That's What I Like“ ausgegeben wird und gleichsam Triebfeder des Dargestellten ist. Ebenso reiht sich der Titel – ausgezeichnet als „Song des Jahres“ und „Bester R&B Song“ – bildsprachlich ins Register des Albums ein, wenn auch hier simpel wie eindrücklich Geld und Sex miteinander metaphorisch verzahnt werden („Jump in the Cadillac, girl, let's put some miles on it | Anything you want, just to put a smile on it | You deserve it baby, you deserve it all | And I'm gonna give it to you“). Unwiderstehlich. Insgesamt werden auf allen neun Nummern des Albums weibliche Körperteile, Kleidungsstücke oder Attitüden besungen, die rhetorische Manövrierfähigkeit ist zumeist eingeschränkt bis plump; Raketen, Autos und Geld stellen da schon die kreativen Höhepunkte der Mars'schen Lyrik dar, mithilfe derer zwar zweidimensionale, aber leider doch griffige Geschlechterbilder produziert werden.

Es scheint beinahe bizarr, dass sich angesichts dieses Befunds darüber beklagt wurde, mit Alisia Cara die einzige Gewinnerin des Abends gekürt zu haben. Doch es ist nicht damit getan, die Abwesenheit von Frauen in der Riege der Ausgezeichneten zu betrauern. Es erfordert ein Umdenken in der ästhetischen Repräsentationsweise von Weiblichkeit. Wofür mit den sechs Auszeichnungen des Künstlers geworben wird, ist ein antiquiertes Frauenbild; und was produziert wird, ist ein toxisches Verständnis von Männlichkeit.

So auch im Hit-Song „Finesse“, rhythmisch und stilistisch eine Hommage an die frühen 90er, der bereits mehrfach geremixt wurde, Spitzenplätze in Musikcharts weltweit erreicht hat und den Mars als einer der unterhalterischen Höhepunkte des Abends in New York auf die Bühne bringt. Die hier besungene Frau, kurvenreiches Accessoire des Sänger-Ichs, vermag es, ganze Szenerien zu bezirzen, mit ihrem Auftreten den Raum zu verzaubern, unmissverständlich: aufgrund ihres Aussehens („When I'm walkin' with you | I watch the whole room change | Baby, that's what you do | No my baby don't play“). Die Objektivierung der Partnerin obliegt aber nicht nur dem Ich allein, nein, sie stiftet gewissermaßen zur Mimese an, es darf mitgeschunkelt und angegeben werden, denn auch die Kumpels sollen zeigen, was sie hat – wenn es denn zeigenswert ist, versteht sich („Fellas, grab your ladies if your lady fine | Tell her she the one, she the one for life [woo]“) Die knartische Aufführung des Hits bespielt dann auch das alte Narrativ der Frauenhatz, der hüftenschwingende Mars ergattert schließlich seine Gesangspartnerin Cardi B.

Ohnehin ist die Gesamterscheinung des Künstlers auf ein spezifisches Männlichkeitsbild hin angelegt, ausgestattet mit burgunderfarbener Pajettenjacket, Afro und Fliegerbrille nimmt er die sechs Preise an diesem Abend entgegen – es sind dies Reminiszenzen an ein Geschlechterbild nicht allzu ferner, aber doch vergangener Zeiten, in denen ein bisschen geschäkert, ein bisschen gepfiffen und manchmal ein bisschen gegrapscht wurde, alles nicht so schlimm, die #metoo-Bewegung, ein bröckelndes Patriarchat, fluide gender – das alles noch in weiter Ferne.

Die Industrie trägt nicht minder Schuld an der Verbreitung solcher beunruhigenden Geschlechterkonzepte, ist sie es doch, die der Flucht in Retro aufsitzt und veraltete Frauenbilder legitimiert. Durch ihr aktives Augenschließen entzieht sie sich der Verantwortlichkeit, zu einem Diskussionsklima der Offenheit beizutragen, in dem die multiplen Repräsentationsweisen von Geschlecht auf den Prüfstand gelangen. Bleiben die Preise bei den Männern, ihrer Musik und ihrem Verständnis vom ‚anderen Geschlecht‘, dann nützt auch kein Aufschrei. Hinhören statt Weghören – dann kann sich etwas ändern.

Marius Reisener, 32, Humboldt-Universität zu Berlin / Cornell University. Ich mag Soziales, Mediales, Alltägliches.

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