Schwerstarbeit am Pflegeberuf

Arbeitskraft "Pflege geht jeden an", lautet das Motto von Minister Röslers neuer Kampagne. Doch wirklich wirksame Vorschläge diskutiert er an seinen runden Tischen nicht

Herumgesprochen hat sich so viel: Die Zahl der Menschen, die aus Alters- und Krankheitsgründen gepflegt werden müssen, steigt stark an. „Pflege geht jeden an“ heißt daher der Titel der Kampagne, die Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) diese Woche gestartet hat. Sie soll für mehr Rücksicht auf pflegende Angehörige werben. Auch eine Gesprächsrunde mit Vertretern von Berufsverbänden am kommenden Montag ist der häuslichen Pflege gewidmet. Rösler weiß, warum das nötig ist: Denn laut einer Prognose des statistischen Bundesamts werden in Deutschland im Jahr 2025 150.000 Pflegekräfte fehlen. Ein solcher Mangel wird jedoch schwerlich von pflegenden Verwandten ausgeglichen werden, selbst wenn diesen nun mehr Aufmerksamkeit zukommt.

Zuletzt erklärte der Minister im Dezember, sich um den Arbeitskräftemangel in den Pflegeberufen kümmern zu wollen: Rösler ist der Meinung, dass „eine höhere Attraktivität bei der Ausbildung ansetzen muss“. So will er die beiden Ausbildungsberufe Gesundheits- und Krankenpfleger und Altenpfleger zusammenfassen und die Bürokratie im Krankenhausalltag, etwa die Dokumentation verschiedener Pflegemaßnahmen, reduzieren. Um Arbeitskräfte anzulocken, soll außerdem ausländischen Fachkräften der Berufseinstieg in Deutschland erleichtert werden. Weiterhin ist eine Lohnerhöhung im Gespräch, und es soll eine Art Supervisor den Pflegern psychisch beistehen, denn „wer im Beruf Leid, Sterben und Tod erlebt, sollte die Möglichkeit haben, diese Erlebnisse zu verarbeiten“, sagte Rösler.


Die Reformen scheinen überfällig. Ein Schlaglicht: Zwei ehemalige Krankenschwestern eines renommierten Universitätsklinikums, die anonym bleiben wollen, schildern besorgniserregende Arbeitsbedingungen. Eine der beiden arbeitete von 2000 an acht Jahre in der Neonatologie (Frühchen-Versorgung), die andere war bis Herbst letzten Jahres in der Neurochirurgie und in der neurologischen Intensivpflege tätig. Beide sind wütend. „Es war nicht mehr menschenwürdig. Was Patienten brauchen, ist Zeit mit dem Pflegepersonal, aber die Arbeitsverhältnisse haben auf die Einstellung des Personals abgefärbt – man stumpft ab.“ Das Wichtigste sei bloß gewesen, „möglichst viel mit den Patienten zu verdienen.“

Das lasse die Patientenversorgung leiden, denn „wenn ich auf der Neugeborenenstation in einer Stunde sechs Kinder wickeln, füttern und waschen sollte, haben die Kinder dann aus purer Zeitnot mehr Nahrung und Flüssigkeit durch Sonden bekommen.“ Stattdessen hätten sie eigentlich das selbstständige trinken üben sollen, um kräftiger zu werden.
Der Personalmangel rühre auch vom mangelnden Nachwuchs her. Inzwischen bekomme „jeder, der sich bewirbt einen Ausbildungsplatz, und wird danach auch auf jeden Fall übernommen.“

Dass für ausländische Fachkräfte der Berufseinstieg erleichtert werden soll, löst bei beiden Krankenschwestern Schulterzucken aus: Es gebe schon eine große Anzahl ausländischer Pflegekräften vor allem aus Osteuropa, die aber schwarz als Altenpflegerin bei den Leuten daheim arbeiteten. „Die Leute sind ja schon da, aber die wollen auch nicht im Krankenhaus arbeiten.“

Absurde, kaum erfüllbare Dienstpläne sorgten für einen enormen Krankenstand, und mehr Lohn ist für die beiden nicht unbedingt Lösung für alles: „Der Beruf selbst ist so familienunfreundlich, dass das Geld den Beruf nicht attraktiver machen wird.“ Sie können sich nicht mehr vorstellen, in einem System zu arbeiten, in dem „menschliche Nähe betriebswirtschaftlich organisiert wird“.

50.000 Stellen abgebaut

Auch Gerd Dielmann, bei der Gewerkschaft ver.di zuständig für den Fachbereich Gesundheit, sieht die Bemühungen des Ministers eher skeptisch. Grundsätzlich seien an dem Personalmangel in der Pflege nicht „das mangelnde Ansehen, das gar nicht schlecht ist, sondern die abschreckenden Arbeitsbedingungen schuld.“ Die weiteren Reformvorschläge beträfen auch eher die Peripherie des eigentlichen Problems: Bei einem Abbau von 50.000 Stellen zwischen 1996 bis 2006 sind das alles bloß Tropfen auf den heißen Stein.“

Dielmanns Vorschlag: Mit einem staatlichen Personalbedarfsermittlungsverfahren würde rechtlich verpflichtend festgelegt, welchen Personalbedarf die jeweiligen Einrichtungen hätten und demnach auch erfüllen müssten. Insgesamt setzt ver.di nicht viel Hoffnung in die aktuellen Rösler-Runden, zu denen bislang auch kein Gewerkschafts-Vertreter eingeladen wurde – laut Dielmann wohl auch, damit der Minister keine konkreten Angebote machen muss.

Eine im August 2008 veröffentlichte Studie von Michael Simon, Professor für Gesundheitspolitik in Hannover, stellt Personalbedarfsermittlungsverfahren und damit verbundene Vorgaben zur Mindestbesetzung als probates Mittel gegen mangelnde Versorgung der Patienten dar. International gibt es schon mehrere Vorbilder: So führte etwa die in Kalifornien 2004 in Kraft getretene Nurse-to-Patient Staffing Regulation zu guten Ergebnissen. Die Betreiber der kalifornischen Krankenhäuser liefen dagegen Sturm, da durch die neuen Personalvorgaben laut dem U.S. Gesundheitsministerium bis 2008 fast eine Milliarde Dollar Mehrkosten für die Unternehmen entstanden.

Aus Kanada stammt ein Programm namens PLAISIR, das computergestützt den für jeden registrierten Patienten erforderlichen Pflegeaufwand erfasst und anhand dieser Informationen den Personalbedarf errechnet. Dieses Konzept wird in Teilen Kanadas und der Schweiz seit den Anfang der Neunziger erfolgreich eingesetzt. Ein entsprechender Test des Systems in etwa 50 Altenpflege-Einrichtungen im schleswig-holsteinischen Kreis Segeberg beeindruckte die Fachleute – blieb ansonsten aber folgenlos in der deutschen Pflegelandschaft.

Ob es Minister Rösler gelingt, solch weitreichende, aber teure Maßnahmen an seinen runden Tischen dieses Jahr zu beschweigen, ist abzuwarten.

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