5000 für „Koblenz bleibt bunt“
Als am 21. Januar die europäischen Rechtspopulisten in Koblenz zu einer Tagung zusammentrafen, versammelten sich Tausende Menschen zum Gegenprotest. Fünf Tausend. Wow. Bürger, Vereine und Politiker versammelten sich, um unter dem Motto „Koblenz bleibt bunt“ zu zeigen, dass sie nicht damit einverstanden sind, wenn sich in Europa wieder Nationalismus breitmacht. Ich würde mir wünschen, dass sich diese Proteste ausweiten und regelmäßig stattfinden. Es gilt zu zeigen, dass die Alternative für Deutschland keine Alternative ist. Denn sie bietet keine Lösungen für die Probleme unserer Zeit, sondern nutzt diese nur auf perverse Art und Weise, um Einfluss zu gewinnen.
„Aber wo war der Protest, als das Fundament für Trumps Erfolg gelegt wurde?“
Proteste von der Größe, wie sie in Koblenz stattfand, sind bisher leider eine Seltenheit gewesen. Woran liegt das?
In seiner neuesten Spiegelkolumne beschreibt Jakob Augstein das Phänomen einer globalen Empörungskultur. Entlang einiger Zitate dieser Kolumne werde ich zeigen, dass unserer Demokratie etwas Entscheidendes fehlt. Etwas, das Trump und die AfD schon vor Jahren hätte verhindern können.
„Auch die Empörung globalisiert sich. Schwule, Frauen, Journalisten, Städter, Professoren aller Länder – vereint gegen Trump! Jetzt machen alle mit beim Blacklivesmatteroccupywomensmarch. […] Beim Women’s March in Washington haben sich Madonna und all die Frauen mit den rosa Mützen ihre Wut aus dem Leib geschrien. Aber als die Früchte der Globalisierung unfair verteilt wurden, als die Arbeiter ihre Jobs verloren und die Familien ihre Häuser, wie laut war da der Protest? Selbstgerechtigkeit ist es, wenn die Ungerechtigkeit erst dann zum Anliegen wird, wenn man sich selbst betroffen wähnt.“ – Jakob Augstein
Man kann ein Gerechtigkeitsempfinden nur dann entwickeln, wenn man über Ungerechtigkeit informiert ist und ihre Bedeutung erkennt. Augstein liegt damit richtig, wenn er diese Protestkultur als selbstgerecht bezeichnet, allerdings ist sie das ja nicht grundlos. Wir könnten, würde man uns ständig darüber informieren, auch gegen Hartz IV Sanktionen, Leiharbeit oder für eine Finanztransaktionssteuer demonstrieren. Tun wir aber nicht.
Cool ist es, gegen Homophobie, Sexismus oder Rassismus demonstrieren. Uncool ist es aber gegen die NATO, wirtschaftliche Ausbeutung, Waffenexporte oder Drohnenmorde zu demonstrieren. Denn es gilt: Bei Zweitem haben wir offenbar gar keinen Grund auf die Straße zu gehen. In Deutschland regnet es keine Bomben und die Meisten müssen auch keine Hartz IV Sanktionen über sich ergehen lassen.
Auch in den Medien, so mein Eindruck, besteht dieses Missverhältnis. Gewisse Themen genießen trotz ihrer großen Bedeutung kaum Aufmerksamkeit.
Über die Medien wird unsere Gesellschaft langsam zu einem völlig einseitigen Gerechtigkeitsempfinden konditioniert. Nur so kann ich mir diese bis heute quasi nicht existente aber plötzlich aufflammende Protestkultur erklären, die man deshalb leicht als bigott betitelt, auch wenn sie das nur oberflächlich ist.
Es sagt viel über unsere Gesellschaft aus, wenn die Rechten und ihre Widersacher zeitgleich auf den Plan treten
Es ist die heutige Gesellschaft, die Trump erst ermöglicht hat. Trump kam nicht aus dem Nichts. Er ist ein Kind des Kapitalismus und wurde sogar mit den Mitteln unserer „Demokratie“ zum Präsidenten. Wer sich die Zeit vor Trump zurückwünscht, täuscht sich, wenn er glaubt, dass diese grundlegend anders gewesen sei. Die Ära vor Trump unterscheidet sich von der Gegenwart im Wesentlichen dadurch, dass es damals eben nur eine Frage der Zeit war, bis Trump auf den Plan tritt. In der Zeit zurückzureisen, würde nicht mehr bringen, als dabei nochmal zusehen zu können.
Es ist Trump, der notwendig wurde, damit Teile der Gesellschaft damit beginnen, so etwas wie zivilen Ungehorsam hervorzubringen. Auch hierzulande scheint erst jetzt, da eine Partei rechter Gesinnung zweistellige Umfragewerte hat, überhaupt ein Problembewusstsein und Verantwortungsgefühl zu entstehen. Oder wie es Zukunftsforscher Matthias Horx ausdrückte: „Manchmal braucht man auch einen Gegner, einen richtigen Idioten, um zu wissen, wo man steht.“
„Er [Trump] ist der Beweis für ein trauriges Gesetz: In seiner Krise gebiert der Kapitalismus den Faschismus, und die Demokratie ist dagegen nicht nur machtlos, sie bereitet den Weg. Dieser Mann hat sich nicht an die Macht geputscht. Er wurde demokratisch gewählt.“ – Jakob Augstein
Der neuen Protestbewegung schließen sich viele bekannte Köpfe aus der Politik an, die zu der Zeit die Regierungsverantwortung hatten, als der Rechtspopulismus zu gedeihen begann. Es sind große Persönlichkeiten aller Parteien, sei es CDU, SPD, Grüne oder FDP, die sich an der Spitze dieses Protestes sehen, so wie Sigmar Gabriel bei der Kundgebung in Koblenz.
Warum aber nehmen wir diese Beteiligung weitestgehend kritiklos hin und lassen beim Protest gegen rechts Politiker sprechen, die dabei versagt haben, das Aufstreben des Rechtspopulismus frühzeitig zu erkennen und seine Wurzeln zu bekämpfen? In einem anderen Artikel gehe ich näher auf dieses Problem ein. Eine Bundesregierung, die ihren eigenen Armutsbericht zensiert und damit weit davon entfernt ist, extreme soziale Ungleichheit als Tatsache überhaupt anzuerkennen, ist umso weiter davon entfernt, diese zu bekämpfen. Ist eine solche Politik glaubwürdig, wenn sie im selben Atemzug den „Kampf gegen rechts“ als oberstes Ziel erklärt?
Die Lächerlichkeit der Empörung
Stellen wir uns einmal vor, es existiere eine Protestbewegung, die schon seit Jahren Menschen in Scharen auf die Straße bringe. Egal wo Menschen Opfer von Ungerechtigkeit und Willkür werden.
Eine solche Protestkultur könnte man ernst nehmen.
Eine solche Protestkultur würde sich nicht völlig lächerlich machen, wenn plötzlich eine gewisse Madonna öffentlich ankündigt, „jedem einen zu blasen, der Clinton wählt“ oder das Weiße Haus in die Luft sprengen zu wollen. Oder wenn Schauspielerin Meryl Streep in einer dramatisch emotionalen Rede auf einer Preisverleihung allen Ernstes feststellt, mit Trump sei Gewalt in die Politik gekommen.
Es ist nicht zu übersehen, dass die aktuelle Empörungswelle mit zweierlei Maß misst. Trump zieht in Betracht, Folter wieder einzuführen und wird mit Kritik überhäuft. Als aber ein CIA Bericht 2014 publik machte, dass Folter für amerikanische Geheimdienste schon seit Jahren das Mittel der Wahl ist, bei dem Versuch Gefangenen ein Geständnis über die Beteiligung an Terrorismus zu entlocken oder besser gesagt zu erzwingen, gab es weder Massenproteste, noch nutzten populäre Persönlichkeiten die Gelegenheit, sich medienwirksam darüber zu empören. Auch die Empörung über die Bombardierung von sieben muslimischen Ländern durch die USA war ungleich geringer als die Ankündigung des Einreiseverbots für Menschen aus eben diesen Ländern.
Optimismus
Ich will mich eigentlich nicht länger an diesen paradoxen Umständen aufreiben und viel lieber dazu kommen, was wir aus dieser Situation machen können.
Nur weil wir nun erkannt haben, dass es ein Problem gibt, gegen das wir alle vorgehen müssen, heißt das noch lange nicht, dass wir wissen, wie das geschehen soll. Die Frage danach führt uns auf die Suche nach den Ursachen der heutigen gesellschaftlichen Verwerfungen. Die Protestkultur muss viel umfassender und systemkritischer werden. Sie darf keine Scheu haben, nicht nur bestehende Verhältnisse anzukreiden, sondern auch ihre Urheber zu benennen. Sie muss unabhängiger werden und sich viel besser, auch über alternative Medien, informieren. Nur so hat sie eine Chance an den Grundfesten dieses Systems zu rütteln und nicht nur konzeptlos an dessen Symptomen herumzudoktern. Das Aufkeimen der aktuellen Protestbewegung ist ein Hoffnungsschimmer, aber es fehlen noch viele große Schritte hinzu einer Gesellschaft, in der die Straße einen ernst zunehmenden Einfluss hat.
Kommentare 48
" ... eine[r] Gesellschaft, in der die Straße einen ernst zunehmenden Einfluss hat ...",
wird man nicht ernsthaft anstreben wollen. Weder von Seiten der "Straße", noch von sonstwoher. "Die Straße" kann nicht viel mehr als Veten einlegen, sonst wär' sie nicht "Die Straße". Und die Zeichen stehen auf "veto" für eine "Elite" die alles löscht, unter den Teppich kehrt, "aussitzt" usw., was ihr nicht passt, und damit den Rechten überläßt, auch wenn es sie die warmen Stühle und Pöstchen kostet: in fast 50 Jahren des Erfolges der "repressiven Toleranz" ist die Fähigkeit, Realien wahrzunehmen sogar dazu noch verkümmert, - zumindest das adäquate Intrumentarium für Abhilfen ist gar nicht mehr da, auch wenn so manchem Schläfer inzwischen der eine oder andere Schatten an der Höhlenwand durchs Lid schimmert.
>>Es sind große Persönlichkeiten aller Parteien, sei es CDU, SPD, Grüne oder FDP,<<
Diese Leute als „gross“ zu bezeichnen widerstrebt mir. Es sind die Leute, die den Privatprofitlobbyisten aus der Hand fressen, wenn die ihnen ein Zuckerl hinhalten. Sie sind eindeutig Teil des Problems. Dass sie fürchten ein paar Pöstchen zu verlieren ändert daran nichts.
Wenn wir an die Ursache des Problems heranwollen dürfen wir uns nicht darauf beschränken, die Palastwache anzuheulen: Wir müssen den Palast stürmen und seine Insassen fortjagen. Im Klartext: Wir müssen den tatsächlichen Problemverursachern ihre ökonomische Macht wegnehmen. Es ist schon klar, dass sie dann nicht nur ein bisschen bellen lassen, sondern auch beissen. Aber da müssen wir durch.
Kann man schon, sollte man auch. Denn wenn "die Straße" zumindest so mächtig wäre, ein Veto einlegen zu können (und mehr kann man auch gar nicht erwarten), hätte ihr Einfluss jede Berechtigung.
Hat mir gefallen, auch der Augstein Artikel ist endlich mal wieder ein guter. Wenn Empörung schon als Wert an sich gilt, ist natürlich nichts gewonnen, zu irgendwelche Protesten kriegt man die Leute immer auf die Straße, aber selbst bei einem Zwischenerfolg, kommen am Ende wieder die an die Macht, die in der Lage sind Strukturen zu errichten und aufrecht zu erhalten. Das ist den chronisch Empörten in der Regel zu anstregend, die bilden dann anderswo lieber eine Lichtekette.
Tja Fini, Dein annähernd gleich alter Kollege kriegt hier eine weitaus überlegtere Position hin. Draufkacken ist halt auf Dauer ein bisschen zu primi.
Wird Dir jeder AfDler unterschreiben. Alles Scheiße, alles das fiese System mit noch fieserer Systempresse. Schwarz und weiß, wie lieb ick dir.
Die primitiven Rechten sind einfach ein Spiegelbild der primitiven Linken, mit nahezu identischen Inhalten. Querfront genannt, wo ich linker und rechter Populismus die Klinke in die Hand geben. Ob nun die Hochfinan noch einen antisemitischen Einsclag bekommt oder nur so böse böse ist da schon Nebensache.
Ich stimme Dir aber zu, dass die Stimmung nicht auf den Bäumen gewachsen ist. Was meinst Du, wo das herkommt?
"Das würden allenfalls ein paar AfD-Wähler unterschreiben, die das AfD-Programm nicht kennen, denn das steht für noch mehr Sozialabbau."
Die meisten Wähler kennen Parteiprogramme nicht, auch nicht jene, der Parteien, die sie wählen.
"Wir sehen gerade bei Schulz, was ein paar vage Versprechen von sozialer Gerechtigkeit an Stimmen bringt. Auch welche von ehem. AfD-Wählern..."
Ja, mein Reden.
"Das kann man nicht leugnen, Sozialabbau ist ein wesentlicher Faktor. Von der Warte der Gewinner aus betrachtet ist das natürlich schwer zu schlucken, denn mann müsste ja vielleicht etwas abgeben..."
Wer ist denn heute Gewinner? Selbst den Mittelstand plagen seit längerem Abstiegsängste.
Was ich sagen will: Gegen das System zu sein, bringt in meinen Augen wenig, damit handelt man sich im Zweifel Wahlergebnisse wie in Amerika ein. Warten wir mal ab wie es den "kleinen Leuten" so in 2 Jahren geht.
Warum braucht denn jeder seinen Vorturner? Weil man alleine gar nichts ausrichten kann? Das ist doch Quatsch, heute kann man mehr ausrichten denn je, eine größere Chance wahrgenommen zu werden als im I.net-Zeitalter hatte man nie.
Da geht es nicht immer rational zu, aber das ist ein anderes Thema. Und dennoch kann man selber denken, wie Kant es paradigmatisch forderte. Das eine schließt das andere nicht aus, also warum sich ständig erzählen lassen, wie ohnmächtig man doch ist.
Die Koalition derer, die uns das einreden wollen, ist erschreckend breit und geht über die Politik hinaus. Der Einzelne spielt mit, weil er sich entlastet fühlt und es sich um Status der Ohnmacht und Unmündigkeit bei uns verteufelt gut leben lässt.
Kann gut sein, sagen wir es ist ein Problem der Primitivität allgemein: links, rechts, mitte.
Dann wäre die Frage, was diese Primitivität kennzeichnet und was man dagegen tun kann.
>>Der besoffene Neonazi wird zweifelsfrei als Volksverhetzer gesehen, selbst in der SPD. Warum dann nicht Clement?<<
Der Clement wird zur "Elite" gezählt, der Naz nicht.
Wenn die Nazen an die Macht kämen würde sich das ändern: Dann wäre der Naz "Elite" und über jede Kritik erhaben. Und der Clement nicht mehr und dürfte "Volksverhetzer" genannt werden.
Zur hier schon wieder dominant gewordenen "A"FD:
Die "A"FD wurde als Mittelstandspartei gegründet, eine Art FDP ohne Euro.
Natürlich war ihnen klar, dass damit alleine nicht unbedingt über 5 % Wählerstimmen kommen. Also brauchten sie Stimmvieh. Und was liegt für eine Mittelstandspartei näher las das mit vulgärkonservativen bis reaktionären Parolen zu rekrutieren? Und sie haben richtig kalkuliert: 10 + x % im nächsten Bundestag dürften ihnen sicher sein. Jetzt müssen sie halt noch Höcke & Co. etwas zurechtstutzen, und einer Regierungskoalition steht nichts mehr im Wege...
"Auf die Rhetorik achten zum Beispiel. Kostenlose Bildung bis zur Uni ist ja auch gut."
Ja.
"Die meisten in der Mitte interessiert nur, dass der Kühlschrank voll ist und der Wagen vollgetankt."
Nicht nur. Wenn das der Fall ist, interessieren sie sich auch für andere.
"Wenn das primitiv ist, sollte man es nicht sagen, das verschreckt die Wähler wieder."
Das ist auch nicht primitiv, man will einfach die eigenen Bedürfnisse gesichert sehen, dann ist man bereit sich zu engagieren.
"Wenn wir diese Frage beantworten könnten, was man da tun kann, würde man uns für den Friedensnobelpreis vorschlagen."
Die Antwort findest Du, mindestesn zum Teil, bei Kahnemann (Schnelles Denken, langsmes Denken) und der hat schon einen Nobelpreis gekriegt. ;-)
"Gebt ihnen einfach ihr Auskommen, dann sind sie still."
Nee, nee. Der Wutbürger ist mutiert von einer staatstragenden Position zum Systemkritiker und das sind oft alte Kacker, deren Bezintänke so voll sind, wie ihre Weinkeller.
"Gefährlich ist nur, wenn sie nach Alternativen suchen, weil sie nicht bekommen, was sie brauchen."
Richtig Not leidet hier kaum jemand. Ich bin da bei Heinsohn: "Um Brot wird gebettelt, um Posten geschosssen", gemeint sind soziale Rollen. Es ist das Gefühl der Ungerechtigkeit, das viele Gesichter hat und da reagieren zurecht viele allergisch.
Ich sehe weder den RP noch die zu tausenden jährlich erfolgenden Taten & Gewalttätigkeiten von Rechts vom Asyl-Brennen bis zum Mord usw. als "berechtigten" Einfluss, wohl aber als Veto/Veten gegen eine unfassliche "Elite" und deren Politik, die sich alles Problematische mit einem auf Kant u. ä. sich berufenden "Punktum!" vom Leibe hält.
Kriegst einen Job bei der AFD, für 10 Mille p.M. - schon hab ich Dich, oder etwa nicht?
Her mit der Kohle. :-)) Hinterher kann ich ja noch sagen, ich hätte schlimmeres verhütet.
Mich erinnert dieses "schon hab ich Dich", aber eher diese berühmte Szene aus Kir Royal (nicht Deine Altersklasse), wo der Mario Adorf immer sagt: Ich scheiß Dich zu mit meinem Geld.
https://www.youtube.com/embed/LdQyQLs2THM
Fini, Du hast eine einschlägige Fantasie. Vielleicht bist Du ja ein ausgestoßenes Millionärskind.
"Ich denke schon, dass man als Mensch in unserer Gesellschaft mehr verdient, als den unsäglichen Hartz-Regelsatz. Den halte ich für viel zu gering. Und da fehlt es der breiten Masse deutlich am Gefühl der Ungerechtigkeit."
Das weiß ich nicht. Ich denke, das wird kommen, schon um millionenfacher Altersarmut etwas entgegen zu setzen. Es gibt auch nicht konservative Gründe gegen ein Bürgergeld, aber sowas in der At wird sich vermutlich etablieren.
"Besonders, wenn man für diese Existenz mit Mangelernährung und Entbehrung noch vom Staat systematisch gestalkt wird."
Ja, ich weiß, was Du meinst.
"Die Wutbürger sind mir egal. Wenn die Masse zufrieden ist, werden die keinen fruchtbaren Boden finden."
Ich denke auch, dass die Zufriedenheit breitester Teile der Gesellschaft ein anzustrebende Ziel sein sollte. Zumal Politiker ja unsere Diener sein sollen.
"Meiner bescheidenen Ansicht nach ist Heinsohn Schlicht ein Nazi, der eine reine, performante Rasse züchten möchte und den Rest am liebsten deportierte... Was dieser Typ absondert ist Volksverhetzung."
Sehe ih anders. Er benennt viel von dem, was er als Schwachstelle sieht und nennt seine Gründe dafür. Als Nazi habe ich ihn nie gelesen, zumal er gerade mit der Ideologieunanhängigkeit der Gewalt betont. Aber niemand ist gezeungen, ihn zu mögen und sein Sarkasmus, wie Sloterdijk ihn nennt, ist schon hart.
"Was Heinsohn bei seinen kruden Thesen nicht beachtet ist, dass das System, das die Unterschicht definiert, sie zu dem macht, was sie ist, kein natürliches, kein gegebenes ist, dem man sich als Mensch unterzuordnen hat."
Mir ist jetzt nicht bewusst, dass er von einer Unterschicht redet. Ich würde den Begriff auch infrage stellen, weil unklar bleibt, was damit gemeint ist. Geht es um Geld, Bildung, Anstand? Alles nur monetär zu fassen halte ich für blödsinnig und mir würde ncht einfallen einen bettelarmen Dozenten der Geisteswissenschaften der Unterschicht zuzuschreiben, auch wenn das aus monetärer Perspektive locker drin wäre.
"Es ist ein künstliches, dauerkrisenbehaftetes System, das wenige bevorzugt, viele ausgrenzt und die Mitte wendet sich uninteressiert ab."
Ich meine eher, dass es wenige ausgegrenzt hat, aber es stimmt: die Sicherheit, dass man mit Talent und Fleiß wenigstens gesichert über die Runden kommt, die gibt es heute nicht mehr, da slebst ein Großkonzern Morgen Pleite sein kann.
"Ein anderes System würde möglicherweise eine völlig andere Unterschicht hervorbringen. Ein ideales System sollte gar keine krassen Schichtenunterschiede haben. Ich bin durchaus für Inklusion, nicht für Exklusion und schon gar nicht, wie Heinsohn es andeutet, Ausrottung."
Ausrottung? Von wem oder was?
"Was sollte dann auch folgen? Ist die Unterschicht, die nicht verwertbar ist, erst weg, dann gibt es eine neue Unterschicht, die sich zuvor in der Mitte befand. Dasselbe Problem hat ja auch der Euro. Es wird immer einen schwächsten Staat geben."
Ich finde die Idee gut, dass man sich gesellschaftlich an der Ärmsten orientiert und deren Situation verbessert. Wenn jeder auf einem akzeptatblem Niveau leben kann, was neben satt und warm auch die Teilnahme am kulturellen Leben ermöglicht, falls erwünscht, ist das was die Rolle des Staaates angeht bestens erfüllt. Dass er weiterhin Unterschiede gibt, wäre für mich dann kein Problem.
scusi, soll heißen: "... geschäftsführenden Ausschusses..."
Hat er es wirklich so gesagt? Aber er wird vermutlich etwas geschrieben haben, was man so interpretieren kann und Heinsohn spielt mitunter mit entwertenden Formulierungen. Ein Problem besteht darin, dass er in aller Regel statistisch argumentiert und auch wenn Statistik natürlich immer eine gewissse Aussagekraft hat, sagt sie nie etwas Abschließendes über den Einzelfall aus. Dennoch ist es eine Binse dass Hartz4-Kinder statistisch schlechter dastehen, vermutlich in vielen Rubriken.
Die Frage ist nun, nimmt man diesen Befund um Hartz4-ler abzuwerten oder für was? Es könnten Analysen folgen, warum es ihnen schlechter geht und da findet man viele Faktoren, mache sind wie erwartet, andere kontraintuitiv.
Da hängt sehr viel zusammen, weil ein Problem das andere bedingt, Menschen in Notlagen noch zu entwerten ist die schlechteste Lösung.
"Und er schlug vor, Hartz4 auf eine Zeit von 5 Jahren zu begrenzen, da er der Meinung sei, dass Sozialhilfe solche Familien dazu animiere, viele Kinder in die Welt zu setzen, was er als Gefahr für Deutschland sehe."
Ich vermute, dass dieser Punkt nicht ganz falsch ist. Wenn Kindergeld eine Einkommensquelle ist, wird man sie nutzen. Das kann in der Konsequenz aber m.E. nicht heißen, bedürftigen Menschen die Kohle zu kürzen, sondern sie gezielter zu fördern.
Es gibt Studien, die nicht immer ein gutes Licht auf alle Menschen werfen, dennoch bringt Ausgrenzung nun nichts, aber ein Verleugnen eben auch nichts.
Danke, für den Artikel, ja, das ist typischer Heinsohn Stil, das Beispiel mit Clinton hat er auch schon in "Söhne und Weltmacht" angeführt.
Ich habe nicht den Eindruck, dass Heinsohn hier die Absicht hat Menschen umzubringen oder auszurotten, wie die Nazis es taten, sonder er polemisiert gegen Hartz4 als Lebensform. Dass diese Lebensform wünschenswert sei, findet m.E. nicht mal jeder Hartz4 Bezieher.
Die Identifikation mit dieser Lebenweise kann man ablegen, im Gegensatz zu Eigenschaften wie Frau, farbig oder homosexuell sein und ich glaube, dass das nicht zu viel verlangt ist.
Es könnte noch andere Formen der Einlösung geben, z.B. die Alimentierung drastisch zu erhöhen, aber die Frage ist dann z.B. was wir machen, wenn aufgrund dieser Maßnahme deutlich mehr Migranten kämen, weil es hier z.B. 1000 Euro für jeden gibt. Würde man Einwandern das vorenthalten, wäre der Gleichheitsgrundsatz verletzt und es müsste geregelt sein, wie man damit umgeht.
Es gibt ernsthafte Argumente, die sagen, dass um das zu finanzieren die Mehrwertsetuer exzessiv erhöht werden müsste, zudem fielen alle Sozialleistungen weg und die schönen 1000 Euro sind ratzfatz für Miete etc, weg und bei 80% Mehrwertsteuer steht man schlechter da als zuvor. Also 1500 auf die Kralle oder 2000? Und das hätte keinen migrationspolitischen Sogeffekt? Glaub ich nicht.
Ich finde eine kontrollierte Einwanderung richtig und die Wortakrobaten die jeden Täter erst als solchen sehen wollen, wenn er rechtkräftig verurteilt ist, haben kein Problem damit erstmal pauschal jeden als Flüchtling durchzuwinken, bevor formaljuristisch geklärt ist, ob es denn tatsächlich einer, mit Recht auf Asyl ist.
Das will ich jetzt nicht ausweiten und vor allem will ich nicht so tun, als würde ich nicht verstehen, warum einem bei Heinsohns Sätzen auch schlecht werden kann. Was mich nur ärgert und wundert sind die doppelten Standards, die man auf der einen Seite sieht, während man sich auf der anderen gerne mal beide Augen zuhält. Als ungerecht empfinden Menschen auch die Situation, wenn sie Morgens knechten gehen, wähend andere Geld einfach so bekommen, das ist schwer vermittelbar. Und so geht das hin und her.
"Sie möchten aber dafür nichts missen, nicht wahr?"
Warum immer diese dämlichen Unterstellungen? Sie habe doch keinerlei Ahnung wie ich lebe. Was sie wollen ist Zwangsbeglückung nach Ihren Spielregeln, wenn alle so großartig wären wie Sie, dann wäre die Welt zu retten, leider sind aber die meisten solche Lutscher und Pfeifen wie ich.
>>Es hat Gründe, warum Menschen Hartz4 beziehen. Viele sind zum Beispiel physisch oder körperlich krank. Andere sind einfach nur schlecht qualifiziert, wenig intelligent, und ein paar sind vielleicht wirklich faul.<<
Alles das gibt es zweifellos. Die Mehrheit der Arbeitslosen wurde aber aus „betrieblichem Grund“ gekündigt. Und wen es jenseits des 50. Lebensjahres erwischt, der/die wird kaum noch irgendwo fest eingestellt. Allerdings in Bereitschaft zur Leiharbeit gehalten. Die „industrielle Reservearmee“. Und dort ist die Qualifikation durchaus gefragt, nur wird sie nicht bezahlt. Und dass sie nicht bezahlt wird, liegt eben daran, dass die Arbeitslosen unqualifiziert sind. Wie uns das Privatrenditeregime lehrt.
>>Auch nicht vergessen sollte man, dass für alle Menschen schlicht nicht ausreichend Arbeit vorhanden ist.<<
Die Arbeit ist sehr schlecht verteilt: Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, dass die Einen sich krankstressen während Andere auf Schmalkost gesetzt werden und ihre Berufserfahrung brachliegt nur weil sie als „zu alt“ abgemeiert werden.
>>Die künstlich im Niedriglohnsektor geschaffenen Arbeitsplätze mögen für konservative Deutsche eine feine Sache sein.<<
Ja klar, solange sie sicher sind niemals selber davon betroffen zu sein ist das ganz wunderbar.
>>Was uns helfen würde, wäre eine Wiederherstellung des Sozialstaates und der Grundrechte auch für Hartzer, die bereits jetzt drastisch beschnitten sind…<<
Und wie machen wir das? Vielleicht die Verursacher der Misere entmachten, die hinter den Regierungslobbyisten stehen? Aber nein, die sind natürlich über jede Kritik erhaben, sozusagen Götter, die über den Wolken wohnen. Dann bleibt halt nur, den heiligen Martin von Würselen zu bejubeln. Das ändert zwar nullkommanichts an den Machtverhältnissen, aber ein bisserl Schwärmerei lenkt doch wenigstens mal ab.
"Mich stört zum Beispiel die Grundannahme, dass er einer Bevölkerungsgruppe das Recht auf Fortpflanzung abspricht, während er bei arbeitenden Frauen beklagt, dass sie nicht mehr als ein Kind bekommen."
Er spricht ihnen ja nicht das Recht auf Fortpflanzung ab, sondern führt aus, dass es bei der gegenwärtigen Bevölkerungsentwicklung ziemlich dramatisch ist, wenn statistisch chancenarme Bevölkerungsanteile sich noch überproportional stark vermehren, die chancenreicheren hingegen zu wenig. Das klingt immer Scheiße, ist aber m.E. wahr. Auch im Hinblick auf das Thema Rente ist das durchaus nachvollziehbar. Schon 2003 forderte Heinsohn, dass dann wenigstens als Ausgleich 500.000 Einwanderer her müssten, die Marke hat man aber bis auf zwei Jahre verfehlt und bei der aktuellen Stimmung ist die Botschaft, dass wir mehr Einwanderung brauchen politischer Selbstmord.
"Um die erfolgreiche, starke Frau wird ein Mutterkult gesponnen, während er die Fortpflanzung anderer Frauen unterbinden möchte."
Einen Mutterkult kann ich da nicht erkennen.
"Die NSDAP hat früher auch ihre Rassenhygiene mit Zwangssterilisationen von Menschen begonnen, die sie als nicht lebenswert einstufte."
Ja, nur zwischen Anreize entziehen und Zwangssterilisation, sehe ich dann doch noch ein paar Graustufen. Man könnte ja auch so argumentieren, dass die gegenwärtige Situation eine Zwangssterilisation für die Mitglieder der Mittelschicht darstellt. Von denen wird verlangt flexibel zu sein, auch Frauen müssen arbeiten, damit man durchkommt, die Karrierejahre der Frau sind die, in die die Kinder fallen, plus Rentenabgaben für immer mehr Alte, plus eigene Rentenvorsorge, gerne mehrgleisig, voll supie bei Nullzins ... in einem Wort, die Situation heute ist ein Ausrottungsprogramm für die Mittelschicht. Die Zahlen würden der Lesart recht geben.
„Es hat Gründe, warum Menschen Hartz4 beziehen. Viele sind zum Beispiel physisch oder körperlich krank. Andere sind einfach nur schlecht qualifiziert, wenig intelligent, und ein paar sind vielleicht wirklich faul. Es ist mit jedwedem Freiheitsbegriff unvereinbar, Menschen als nicht lebenswert einzustufen.“
Das hat der schon auf dem Schirm. Ich glaube auch nicht, dass es seine Absicht ist, Menschen die Freiheit abzusprechen, sondern ich sehe ihn als einen Mahner.Wenn die leisen Töne nicht ziehen, spitzt man eben zu, das Problem ist aber seit Jahrzehnten(!) bekannt, nur packt keine Partei es an, da dies ebenfalls politischer Selbstmord ist.
Aber jetzt noch mal auf die Situation des einzelnen Kindes bezogen. Ich fände es wünschenswert, dass Kinder in Familien reingeboren werden, in denen sie eine möglichst größere Chance auf ein gelingendes Leben haben. Das sehe ich in vielen Konstellationen der Unterschicht – von der Kohle mal abgesehen – als sehr schwierig an, weil sich hier zig Problembereiche überlagern. Zu dieser Ansicht gelangt auch der Kriminologe Christian Pfeiffer, der glaube ich nicht im Verdacht steht, rechtslastig zu sein, etwa hier: http://kfn.de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/FB_109.pdf
Wenn wir uns mal neutral darauf einigen können, dass wir die Situation der Gesellschaft und auch der sog. Unterschicht verbessern wollen – noch mal deutlich: Ausgrenzung ist die aller schlechteste Lösung, die Situation als vom Schicksal gegeben hinzunehmen die zweitschlechteste – was tun?
Und es gibt ein weiteres Problem bei der Diskussion. Die statistische Betrachtung ist immer herzlos und es kann sein, dass der Einzelfall immer ganz anders ist, aber wenn man Einzelfälle als Konstrast zum Zahlenfetisch betrachtet, muss man eben auch die ganze Breite betrachten: Die Flodders als lustig liebenswerte Proll-Familie, mit dem Herz auf dem rechten Fleck oder das Kind einer armen Familie, das heute Professor für XY ist oder eben Bundeskanzler wurde, ja, das gibt es. Das wird auch immer gerne gesehen. Aber solange der Blick nicht auch auf die Mischung von Bildungsferne, häuslicher Gewalt, hohem Medienkonsum, Bewegungsarmut, Weltsicht und Problemlösungsstrategien usw. gerichtet wird und die Folgen, die diese Kombination beim Kind auslöst, ist es einseitig, nur die Sahneteilchen herzuzeigen.
Wenn unser Ziel sein soll annähernd gleich gute Startbedingungen für den Einzelnen zu schaffen, dann darf man die Realität vieler Unterschichtbiographien nicht ausblenden und die ist nicht immer rosig.
„Ein Plakat dieser Zeit zeigte zum Beispiel einen Rollstuhlfahrer. Es stand dabei der Text:"60000 RM kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit. Volksgenosse, es ist auch dein Geld."
Wie gesagt, ich lese Heinsohn so nicht und kann diese Sicht für mich ausschließen. Richard Dawkins argumentiert so, er sagt knallhart, Kinder mit Down-Syndrom solle man abtreiben und es noch mal versuchen, natürlich ganz „lieb“ gemeint, weil Dawkins zu wissen glaubt, dass Kinder mit Down-Syndrom schwer leiden und nicht glücklich werden könnten.
Meine Position ist, dass man maximal in die Förderung des Einzelnen investieren sollte, aber zur Verbesserung der allgemeinen Startbedingungen gehört für mich ein realistischer Blick, keine Schönfärberei. Mein Ziel ist dabei nicht die optimierte Arbeitskraft, sondern der glückliche Mensch und es ist eine Grunderfahrung des Lebens, dass das was gerne mal als von der Norm abweichender Nachteil daherkommt, sich in vielen Fällen in sein Gegenteil verkehrt und zum Vorteil wird.
Persönlich habe ich es nicht so mit der Normalität, ich finde die Perspektiven und Angebote des Mainstream eher öde und mein Herz schlägt generell für schrullige Außenseiter, schräge Biographien und „Verrückte“ aller Art. Dennoch ist ein funktionierender Mainstream nicht nur aus monetärer Sicht eine Grundbedingung auch für anders geartete Biographien, das immer spannungsreiche Verhältnisse von Konventionalität und einzelner Biographie oder einem Paar, was eigene Regeln kreiert, darf man nicht ausblenden. Beide brauchen einander.
„Nun kann man auch nicht einerseits sich gegen jede Unterstützung stellen, die einen Hartzer eventuell in den Arbeitsmarkt integrieren könnte, und gleichzeitig seine vermeintliche Faulheit beklagen.“
Ja.
„So sind beispielsweise die psychiatrischen Diagnosen mit der Agenda 2010 sprunghaft angestiegen. Das ist ein Zeichen dafür, dass weniger Menschen mit den veränderten Bedingungen zurecht kommen.“
Nein, aus einer Korrelation kann man nicht einfach eine Kausalität stricken, man müsste nachweisen, dass das tatsächlich ursächlich zusammenhängt. Es gibt da ohnehin eine breite Uneinigkeit der Studien, auch der Metastudien, was eine Zunahme psychischer Erkrankungen angeht, man muss zudem unterscheiden, dass etwas, was häufiger diagnostiziert wird, auch vorher schon in ähnlicher Zahl vorhanden gewesen sein kann.
„Auf dieser Basis wird es für die Menschen schwerer, vielleicht unmöglich, eine Arbeit auszuführen.“
Ja, oft aus Unkenntnis.
„Auch nicht vergessen sollte man, dass für alle Menschen schlicht nicht ausreichend Arbeit vorhanden ist. Die künstlich im Niedriglohnsektor geschaffenen Arbeitsplätze mögen für konservative Deutsche eine feine Sache sein. Für Europa sind sie eine Katastrophe, denn sie fehlen in anderen Ländern. Und in naher Zukunft wird es immer weniger Arbeitsplätze geben. Nach Heinsohns rassistischer Logik werden also viele Menschen in Zukunft zu unwertem Leben erklärt werden.“
Es gibt auch andere als rassistische Gründe, warum man meinen kann, dass es ein Vorteil sei, Menschen in Arbeit zu bringen. So schrieb Freud:
„Keine andere Technik der Lebensführung bindet den Einzelnen so fest an die Realität als die Betonung der Arbeit, die ihn wenigstens in ein Stück der Realität, in die menschliche Gemeinschaft sicher einfügt. Die Möglichkeit ein starkes Ausmaß libidinöser Komponenten, narzisstische, aggressive und selbst erotische, auf die Berufsarbeit und auf die mit ihr verknüpften menschlichen Beziehungen zu verschieben, leiht ihr einen Wert, der hinter ihrer Unerlässlichkeit zur Behauptung und Rechtfertigung der Existenz in der Gesellschaft nicht zurücksteht. Besondere Befriedigung vermittelt die Berufstätigkeit, wenn sie eine frei gewählte ist, also bestehende Neigungen, fortgeführte oder konstitutionell verstärkt Triebregungen durch Sublimierung nutzbar zu machen gestattet. Und dennoch wird die Arbeit als Weg zum Glück von den Menschen wenig geschätzt. Man drängt sich nicht zu ihr wie zu anderen Möglichkeiten der Befriedigung. Die große Mehrzahl der Menschen arbeitet nur notgedrungen, und aus dieser natürlichen Arbeitsscheu der Menschen leiten sich die schwierigsten sozialen Probleme ab.“
(Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Fischer-Studienausgabe Bd. IX, S. 212)
„Man kann das noch lange weiter spinnen. Das ändert nichts an dieser menschenverachtenden Rassenhygiene, die ihn in meinen Augen zum Nazi macht. Die Kostenfrage, die Frage nach dem Wert eines Menschen, ist menschenverachtend und führt in den Abgrund.“
Das stimmt, wenn man ein Menschenleben einzig und allein aus der Perspektive, der „Nutzens“ für die Gemeinschaft – und in der Engfassung dann auch noch des verdienten Geldes oder noch enger, des oft ebenso unverschuldeten Besitzes oder Eigentums – betrachtet. Darum ist meine Lesart weniger kollektivistisch, sondern sehr stark individualistisch, aber da müssen noch dicke Bretter gebohrt werden, da die Lesart des Mainstream und unsere Geschichten, Narrative, wie man heute sagt, tendenziell schräg ist. Gerade auf der Seite linker Ideologien. Man verbeißt und entwertet, was das Individuum stärkt und schützt und sägt damit an dem Ast auf dem man sitzt.
„Er unterstellt dieser Menschengruppe pauschal einen Hang zur Kriminalität. Die Statistik, die er bemüht, sagt lediglich aus, dass es mehr Straftaten gibt, als bei wohlbetuchten Menschen.“
Ja, aber das würde ich ungern schön reden. Kriminalität ist ein gesellschaftliches Problem und wo es mehr Kriminalität gibt, ist das Problem größer. Natürlich muss man die Art der Kriminalität betrachten. Es ist mir nicht unbekannt, dass es in Bevölkerungsschichten, auch in reichen Ländern, Gruppen gibt, die im Elend leben, einer Steigerung von Armut. Deren einzige Erwerbsquelle ist oft Drogen- und Bandenkriminalität, mit all den Folgeerscheinungen, aus denen man in einer Biographie dann irgendwann auch kaum noch rauskommt. Das ist in den Staaten viel verbreiteter als bei uns, aber das kann niemand wollen.
„Durch das völlige Streichen jeder Sozialleistung wird sich allenfalls noch mehr Kriminalität entwickeln. Er produziert genau das, was er so fürchtet.“
Was machst Du mit Leuten, die Sozialleistungen beziehen, alle nur denkbaren und trotzdem Kleinkriminell sind, weil das viel schneller und lukrativer ist, als sowas Anstrengendes wie eine Lehre? Wo ist die Motivation zur Arbeit, wenn man die 4. Generation Sozialhilfeempfänger ist und in seinem Umfeld keinerlei Vorbilder hat, die arbeiten? Das Problem ist ja immer der soziale Übergang. Wer aus einer Familie streng gläubiger Christen stammt und Atheist wird, dem bricht mal eben sein ganzes Umfeld weg und das gilt für den Ausweg aus der Unterschicht oft genau so, die natürlich auch ihre Codes, ihre Praktiken und ihren Stolz hat. Wenn dann aber die Normalität entwertet wird, als die Spinner, die arbeiten, wo es doch viel cooler ist, sich durchzuwurschteln, Stütze zu beziehen und hier und da etwas „Handel“ zu betreiben, ist man natürlich nicht der Held, wenn man zur Lehre oder gar Uni geht, sondern eventuell ein Aussätziger, aus Sicht des eigenen Umfeldes, das oft misserfolgsorientiert ist. Die Mittelschichtmutti ist zutiefst überzeugt davon, dass ihr Alexander-Maximilian ein kleines Genie ist und wenn es mal nicht läuft, dann hat er gerade mal nen Durchhänger oder der Lehrer ist ein unachtsamer Stiesel, der Maxis Talent einfach schlecht fördert. Die Unterschichtenmutti resigniert bei der ersten 5 und meint, das sei dann eben nichts und hat auch kaum was anderes erwartet.
„Was uns helfen würde, wäre eine Wiederherstellung des Sozialstaates und der Grundrechte auch für Hartzer, die bereits jetzt drastisch beschnitten sind“
Ich weiß nicht, ob die Grundrechte beschnitten sind, das würde ich eher bezweifeln, aber m.E. ist das größte Problem die soziale Ausgrenzung und die zu schnellen und hohen Abzüge, wenn man dann wirklich arbeitet und für Eigeninitiative bestraft wird. Das bürokratische Wirrwarr und die „freundlichen“ Ämter kommen noch dazu, plus die oft vollkommen widersprüchlichen Auskünfte.
Es gibt eine psychologische Untersuchung, die die Frage zu klären versuchte, was Menschen dazu motiviert, Arbeit der staatlichen Alimentierung vorzuziehen und die Antwort war, dass die Menschen – wiederum statistisch – dann arbeiten gehen, wenn sie bei ihrer Arbeit das 1,5 fache dessen verdienen, was sie für die ansonsten vom Staat erhalten. Das darf und sollte man politisch berücksichtigen. Ansonsten bin ich klar dafür, dass man Menschen, die aus körperlichen oder psychischen Gründen nicht arbeiten können hilft, so gut und effektiv es eben geht. Dieses Schlagwort vom Fordern und Fördern ist schon gut, nur hat man leider das Fördern zu sehr vergessen. Dass sehr viele Hartzer gutwillig sind und unverschuldet in die Situation geraten sind, weiß ich und will ich nicht in Abrede stellen. Sie zu frustrieren und zu stigmatisieren, bringt überhaupt nichts.
„Er sagt bereits im ersten Satz, dass es dem Sozialstaat nicht gelungen ist zu verhindern, dass die Unterschicht wächst. Das ist eine zunächst neutrale Betrachtung. Und er schlägt als Lösung vor, durch Streichen von Sozialleistungen diese Unterschicht an der Fortpflanzung zu hindern. Das ist ein Vorschlag nach der Denke der Nationalsozialisten. Statt für Chancengleichheit zu plädieren, geht er den bequemen Weg der Verhinderung der Fortpflanzung. Na wenn das nicht als rassistisch erkannt wird, dann zeigt mir das, dass braunes Gedankengut bereits weit in die Mitte vorgedrungen ist und nicht einmal bemerkt wird.“
Rassistisch ist das im engen Sinne schon deshalb nicht, weil die Unterschicht ja keine eigene Rasse ist, aber darum geht es ja hier nicht. Jemanden für etwas oder ein Verhalten nicht zu belohnen, ist ja etwas anderes als jemanden oder ein Verhalten zu bestrafen. Gesamtgesellschaftlich kann ich keinen Sinn und/oder Gewinn darin sehen, die Unterschicht auszuweiten. Das will ja selbst die Unterschicht nicht. Wenn man der Unterschicht hilft, wie man es auch nennen kann, dann natürlich immer mit der Perspektive, dass jemand da raus kommt, also nicht in der Unterschicht bleibt. Also wäre eine Alimentierung auf 70% Normaleinkommen genauso eine „Vernichtung“ der Unterschicht.
Wir müssen, glaube ich, zwei Dinge trennen. Es ist diskriminierend, der Unterschicht pauschal zu unterstellen, dass sie dumm und faul sei. Gesetzt, sie ist es nicht oder nur zum Teil, dann finde ich es richtig Anreize zu setzen, damit jemand, der nicht dumm und faul ist, wieder in Arbeit kommt. Was ist daran falsch?
Wer wirklich nicht kann, weil er körperlich oder psychisch krank ist, dem soll geholfen werden, dafür haben wir einen Sozialstaat, den ich als großartige Errungenschaft ansehe. Wer faul ist, sollte motiviert werden, kein Geld mehr zu bekommen, ist ein Motiv zu arbeiten. Wer dumm ist und dumm ist ja nun auch relativ, der kann in den meisten Fällen noch einer Tätigkeit nachgehen und schwere Intelligenzminderung fällt irgendwann wieder mit Pathologie zusammen, also Menschen, denen man helfen muss, weil sie sich nicht selbst helfen können.
„Diese Denke ist nicht nur mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar, sie ist hoch gefährlich und inzwischen zum Mainstream geworden.“
Den Eindruck habe ich nicht. Nicht mal Sarrazins populistische Schmalspurvariante ist Allgemeingut.
„Nicht Arbeit ist förderlich, sondern die Kombination aus Beschäftigung und Einkommen. Das muss nicht zwangsläufig Erwerbsarbeit sein. Wenn ein Superreicher mit seiner Yacht übers Mittelmeer schippert, dann ist er beschäftigt und hat ein Einkommen, für das er nicht einmal arbeiten muss.“
Dann hast Du Freud an der Stelle nicht richtig verstanden. Der meint nämlich, dass es tatsächlich neben der Kohle und Beschäftigung, vor allem auf Lob und Anerkennung, Selbstachtung und die sedierende Gewissheit dazu zu gehören ankommt, die man dort bekommt. Bis heute und zurecht, zielt Therapie darauf die Liebes- und Arbeitsfähigkeit der Menschen (wieder) herzustellen. Das ist zwar etwas kränkend, aber man muss anerkennen, dass es wirkt. (Der Fokus liegt zwar heute mehr – und zurecht – auf Beziehungen, aber Beziehungskonflikte findet man dann in beiden Bereichen, in Partnerschaft und Beruf.)
„Depressiv wird er deshalb wohl nicht werden.“
Es gibt sogar einen Selbsthilfeclub für depressive Milliardäre.
„Und das Problem der fehlenden Arbeitsplätze bleibt weiter übersehen.“
Das ist glaube ich ein geringes Problem, der Roboterquatsch wird überschätzt, da geht es höchstens um 10% der Stellen in Bereichen, die sowieso keine Sau machen will. Zudem ploppen ja neue Möglichkeiten auf, über das Internet usw.
„Vollbeschäftigung ist ohnehin unmöglich. Spätestens wenn das Recht auf freie Berufswahl ins Spiel kommt, muss man einsehen, dass es nicht für jede Arbeit den passenden Arbeitnehmer gibt.“
Das sind aber Randprobleme, die würde ich nicht überhöhen.
„Dieses Problem will man ja mit Sanktionen lösen, die man ausspricht, wenn eine Arbeit abgelehnt wird. Hier wird zum Beispiel ein Grundrecht beschnitten.“
Stimmt, ich würde auch nicht jeden Unsinn machen, der mir vorgeschlagen wird. Einmal in der Mühle drin ist das übel, zumal die Mitarbeiter der BA nicht immer top sind.
„In Schulen ist unter den Lehrern eine ablehnende Haltung zur Inklusion weit verbreitet.“
Auch das ist ein Thema, was man nicht mit einem Satz abhandeln kann. Und Schule … Schwamm drüber.
„Das Bevorzugen chancenreicheren Nachwuchses widerspricht meiner Meinung nach auch völlig dem Gleichheitsgrundsatz.“
Inwiefern? Chancenreich zu sein, ist das anzustreben, Chancengleichheit auf einem Niveau dass niemand eine Chance hat, kann doch erkennbar kein Ziel sein, zumal dann auch niemand mehr da ist, der die Kohle verdient, die die Sozialhilfeempfänger brauchen.
„Was ich auch nicht verstehe ist, dass Heinsohn unterstellt, dass ohne Sozialleistungen weniger Kinder geboren würden.“
Das steht in seinem Text. Er unterstellt es, weil es in Amerika so war.
„Dort, wo es wenig oder keine Absicherung gibt, ist es doch eher Tradition, viel Nachwuchs zu haben, der einen später versorgen kann.“
Ja, aber in anderen Kulturen. 20 Kinder sind irgendwo auf der Welt auch sicher heute noch ein Vorteil, bei uns aktuell aber nicht. Da hat tatsächlich eher die Unterschicht einen Vorteil und wo sie den hat und darauf spekuliert, haben die Kinder Nachteile, weil man niemanden zwingen kann, die Kohle, die er kriegt auch für seine Kinder auszugeben. Gutscheine gelten als diskriminierend, wie man‘s macht, macht man‘s verkehrt.
„Man kann den Text stundenlang zerpflücken, da kommt nichts Sinnvolles heraus.“
Wir müssen uns ja auch hier nicht einigen. Die Mehrzahl hier ist von Heinsohn nicht begeistert, ich finde vieles was er sagt bedenkenswert.
Die erfolgreiche Implementierung rassistischer Logik sozialer Selektion offenbart sich aktuell da, wo Leute nicht über die Verteilung vom produzierten Reichtum (oder über die dieser Reichtums-Produktion grundlegend und notwendig vorausgesetzten funktionellen Armut, also Eigentumslosigkeit der meisten Leute) streiten, sondern über die gerechte Verteilung von Lebens-Chancen in einer marktwirtschaftlichen Nation.
Deine Zustimmung freut mich. Aber als jemand, der ausgrechnet das Ideal Chancengleichheit für das glatte Gegenteil biologistisch begründeter Auslese im Kapitalismus hält und die Zwecke seines Sozialwesens auf den Kopf stellt, ist das nicht schlüssig.
Naja, der Begriff Chancengleichheit im korrekten Kontext und Zusammenhang steht fürdas bildungspolitische Konkurrenzideal kapitalistischer Auslese.
Nun kann sich selbstverständlich ein jeder, auch ohne analytischen Bezug zur Wirklichkeit, über diesen Begriff seine eigenen Vorstellungen machen, bloß dann wirds langweilig und insbesondere willkürlich, denn vorstellen kann man sich bekantlich ja so gut wie alles.
Das Problem hat aber ein jeder, der sich irgendwie in die Gesellschaft einordnet.
Welches Problem? Das Problem, sich einordnen und konkurrieren zu müssen? Ist in der Tat ein Problem.
Selbst in der Linkspartei oder in Parteien, die noch weiter links stehen, geht es um Konkurrenz. Und auch weit links existiert da ein Chauvinismus, der die benachteiligt, die sie sich nicht leisten können oder die dazu nicht in der Lage sind.
Wenn dem so ist, in die Elbe mit ihnen.
Auch linke Positionen muss man sich erkaufen.
Ich hätte gern ein halbes Pfund linker Positionen. Darf es ein bisschen mehr sein? Ja gern.
Ist mir noch nie in den Sinn gekommen.
Wenn ich dann Chancengleichheit so sehe, dass die Bedürfnisse des Einzelnen so weit erfüllt sind, dass er in der Lage ist, sich weiterzubilden oder auch faul und unbehelligt rumzusitzen, dann kann ich von Freiheit sprechen. Und erst dann sehe ich den Sozialstaat verwirklicht.
Kann man so sehen, ist mir sympathisch und hätte auch gar nichts dagegen, nur müßten die betreffenden Menschen, wollten sie diese Ansichten praktisch machen, gegen die interessierten Zwecke und gesetzten Aufgaben eines Sozialstaates im Demokratischen Krisenkapitalismus des 21.Jahrhunderts handeln.
Falls die Leuts in Doofland tatsächlich so frech werden sollten, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen kann, das bis dahin privatisierte Strafvollzugswesen unserer schönen Nation, würde auf jeden Fall einer Periode wirtschaftlichen Aufschwungs entgegen schreiten dürfen.
>>Ein längerer Klinikaufenthalt, längere Arbeitslosigkeit wegen des Alters, der wenig gepflegten Erscheinung, wegen anderer vermeintlicher Defizite, all das führt in Verbindung mit dem Stigma Hartz4 dazu, dass man dort nicht wieder raus kommt.<<
Also noch mal: Alle aufgezählten Handikaps gibt es. Aber die Mainstreamauffassung, dass ausschliesslich gehandikapte Leute im Hartz4-System landen ist falsch. Die Mehrheit ist das, was Karl Marx industrielle Reservearmee bezeichnete: In Bereitschaft für Leiharbeitseinsätze gehalten, in den durchaus berufliche Qualifikationen gefragt sind. Ich habe es selbst erlebt: Alle „Vermittlungsvorschläge“ der Agentur für Armut bezogen sich auf Laborstellen, in denen mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung als Laborant/in oder CTA vorausgesetzt wurde, und selbstverständlich volle Arbeitsfähigkeit ohne Handikaps. In dieser Praxis war die zuvor behauptete Unvermittelbarkeit wegen Lebensalter 50+ auch kein Handikap mehr: Als qualifizierte Leiharbeiterin war ich durchaus noch gut genug. Aber eben nur das. Dies allerdings ausschliesslich bei Leiharbeitsfirmen. Die Einstufung als „unqualifiziert“ ergab sich daraus, dass am Arbeutsamt niemand in der Lage war, den Inhalt meiner vorgelegten Zeugnisse zu verstehen. Das wurde ganz offen eingestanden: Es wurde zwar nach Berufsabschluss „vermittelt“, aber ohne von irgendwelche Kenntnissen über Inhalte eines Berufes.
Im Übrigen generiert das Hartz4-System eine weitere Reserve: Rüstige Rentner, die mit der geminderten Rente nicht auskommen und nach Zuverdienst suchen.
Und damit sind wir am Boden des Hartzsystems angekommen: Wer ein gewisses Alter überschritten soll durchaus arbeiten und seine/ihre Qualifikationen zur Verfügung stellen. Aber halt nicht so unverschämt sein, dafür eine angemessene Bezahlung zu verlangen.
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>>Denn die breite Masse hat sich viele Jahre lang von unseren Politikern angehört, dass diese Faulheit nicht auch noch belohnt gehört und es ohnehin niemand bezahlen kann. Und die breite Masse glaubt diese Hetze, obwohl Deutschland heute reicher ist als jemals zuvor.<<
Diejenigen in der „breiten Masse“, die noch nicht erwischt hat glauben den Schmarrn gerne, ja. Auch das habe ich erlebt: Als der Insolvenzverwalter der EMTEC Magnetics GmbH die Firma liquidierte fielen viele Kollegen aus allen Wolken: Plötzlich gehörten sie auch zu dem faulen Pack, dem sie sich immer so überlegen gefühlt hatten. Eine Kollegin, die ich später mal in der Stadt traf, sagte: „Ich konnte mir ja gar nicht vorstellen, dass Leiharbeitsfirmen so schlecht bezahlen!“.
Aber ein geplatztes Weltbild kann natürlich Depressionen erzeugen, sodass in einigen Fällen nachträglich Anpassung den propagierten Zustand der „Harzer“ möglich ist.
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>>Das Volk wurde verhetzt, in den letzten Jahrzehnten, womit wir wieder bei der eigentlichen Frage und ihrer Antwort angekommen sind, nämlich woher der Rechtspopulismus kommt. Nun, daher kommt er...<<
Ja. Zumindest teilweise. Die „rechte“ Auffassung, dass man im Prinzip „teile und herrsche“ der bessere Teil sei, ist immanenter Bestandteil des Kleinbürgerbewusstseins und muss nur leicht angetippt werden, wenn man eine Massenpsychose erzeugen will.
Ich halte dagegen, dass „Informationen“ die man aufgedrängt bekommt, keine Informationen sind. Informativ sind die Erkenntnisse, um die man sich selber bemüht.
>>Ich hätte gern ein halbes Pfund linker Positionen. Darf es ein bisschen mehr sein? Ja gern.
Ist mir noch nie in den Sinn gekommen.<<
Mir auch nicht. Eher könnte man sagen: Linke Positionen können erarbeitet werden. Durch Einsatz des Verstandes plus Immunisierung gegen Propagandamumpitz.
Ein Hochschulstudium ist dabei bestenfalls nicht hinderlich, im schlimmsten Falle kann es blockierend wirken, zum ein Studium der kaputtalistischen Betrübswirtschaft.
„Rassistisch ist es deshalb, weil es hier um die Gesundheit (Marktkonformität) der eigenen Rasse geht.“
Wer sagt denn, dass Gesundheit = Marktkonformität ist und spricht er überhaupt von Gesundheit? Kern ist doch, ob Hartz4 als Lebensform eine wünschenswerte ist und ob der Staat ein Recht hat, etwas an der Lebensform Hartz4 zu ändern.
„Nicht, weil er eine andere Rasse bekämpfen will. Der Sozialstaat ist nicht dazu gedacht, Menschen für ein Verhalten zu belohnen. Er soll Chancengleichheit und Sicherheit und damit Freiheit ermöglichen. Die Unterschicht ist nun eine, die besonderer Unterstützung bedarf, die Heinsohn schlicht zu teuer ist.“
Ja, so würde ich ihn auch verstehen. Natürlich kann man fragen, ob nun ausgerechnet die Unterschicht das Problem ist oder ob nicht an anderer Stelle auch Geld verschleudert wird. Dennoch, wenn man meint, auch anderswo wäre Kohle zu holen und dass die Unterschicht zu bashen nun kein feiner Zug sei – dem stimme ich zu – ist es legitim zu fragen, ob man Hartz4 eindämmen kann, ob es wünschenswert ist so zu leben und zu differenzieren zwischen denen, die nicht wollen und denen, die nicht können.
„Genau, die Unterschicht braucht mehr Unterstützung, nicht weniger. Es ist ja der Bundesregierung nicht einmal bekannt, was mit den Menschen passiert ist, die nach einer Vollsanktion vom Jobcenter dort nie mehr aufgetaucht sind.“
Doch, ich glaube schon. Hier darf man unterstellen, dass es sie nicht interessiert.
„Diese Menschen sind ja nicht verschwunden, sie werden sich Alternativen gesucht haben. Beispielsweise als Kriminelle. Wie das mit der Kriminalität in den USA aussieht, weiß Heinsohn hoffentlich auch. Aber er scheint dieses Problem nicht zu sehen. In den Staaten mit Todesstrafe wird man mit diesem Mechanismus die Unteeschicht wohl am besten los. Zunächst drängt man sie in die Kriminalität, dann entledigt man sich des Problems mit der Todesspritze.“
Dem Zwang dieser Kausalität möchte ich aber nicht folgen. Weil ich kein Geld bekomme, musste ich kriminell werden, bis zum bitteren Ende der Todesstrafe. Heinsohn favorisiert das kanadische Modell, wobei ich gehört habe, dass Kanada sich davon schon wieder verabschiedet hat, liberal ist und zudem einen ausgeblendeten Schatten hat (war das nicht sogar mal ein Bericht im Freitag?).
Ich bin auch nicht 100% auf Heinsohn Linie, ich halte unseren Sozialstaat für eine große Errungenschaft unsere Einwanderungspolitik allerdings für ein einziges Fiasko. In der Zeit online war vor Jahren mal ein Artikel über eine nach Deutschland zurückgekehrte Harvard Absolventin, mit tollen Noten, der man dann sagte, das mit Harvard und so, solle sie mal besser nicht an die große Glocke hängen, das sei zu elitär.
Da hat man den Köttel in der Hose, weil einer mehr als Dreisatz kann, da fällt mir dann auch nichts mehr zu ein. Man muss ja nicht arrogant sein, aber der beschissene Antielitarismus hat dazu geführt, dass man den gar nicht so dummen Wunsch, dass ein Staat sich neben dem uneingeschränkten Recht auf Asyl auch mal die Rosinen rauszzupicken versuchen darf, schon als unfein empfindet. Ich finde es ja gut, also wirklich gut, wenn man breit fördert und (fast) niemanden durch die Maschen fallen lässt, aber Deutschland als wahnsinnig elitär anzusehen, also ich weiß nicht. Jetzt hat man eine Koalition von doofen Nazis und doofen Ganzlinken, denen nur einfällt, dass Eliten irgendwie viel Geld haben, Politiker und Journalisten sind. Egal, man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen und das die Amis oder Angloländer, wie er es nennt, alle übers Wasser laufen können, glaubt vermutlich nicht mal mehr Heinsohn.
„Hier in Deutschland reicht ja Hartz4 für die, die dauerhaft damit leben müssen, wofür es ja nicht gedacht ist, nicht aus. Es werden viele in die Schwarzarbeit getrieben, und dann dafür empfindlich bestraft. Statt diese Menschen so kurz zu halten, hätten sie mit einer sanktionsfreien und kulturtauglichen Mindestsicherung in Verbindung mit entsprechenden Anreizen die Möglichkeit, sich zum Beispiel fortzubilden.“
Kann ich genau so unterschreiben!
„Der Regelsatz reicht aktuell gerade dafür aus, sich möglichst energiesparend zu Hause in Isolation aufzuhalten. Es fehlt an Geld für Fahrkarten, für vernünftige Garderobe, für ausgewogene Ernährung, ... Von Dingen wie Kino, Theater oder einem Kaffee im Bistro kann man nicht einmal träumen. Man verlottert ja geradezu. Schon bei einem Vorstellungsgespräch kann man so keinen ausreichend guten Eindruck hinterlassen. Bildung ist nicht gestattet, denn wer sich bildet, ist nicht mehr vermittelbar und erhält also gar keine Leistungen mehr. Wie soll man denn dort wieder raus kommen?“
Ich finde auch, dass das mitunter eine Frechheit ist. Aber gerade darum ist ja Hartz4 keine Lebensform, die man ausweiten sollte und also stärker teilen, in jene, die nicht wollen und jene, die nicht können. Jene, die nicht können, würde ich stärker fördern wollen und nicht noch demütigen, jene, die nicht wollen sollte man stärker motivieren und es wird immer einige geben, die ihre Schlupflöcher finden. Mit diesem Rest muss man leben, man sollte nur nicht Hartz4 als Lebensform fördern und da treten dann die praktischen Probleme auf, die ich schilderte. Wenn das was uns unverschämt bis entwürdigend erscheint für andere, immer noch ein annähernd paradiesischer Zustand ist, dann ist das so ein praktisches Problem, was nur dadurch zu lösen wäre, dass der weltweite Lebensstandard angehoben wird, was ja nun ein typisch linkes Projekt ist, was man nur unterstützen kann, allerdings wird der Hartz4 Bezieher da heute und morgen nichts von haben.
„Die Wirtschaft erwartet heutzutage Lebensläufe, die mit einem Menschenleben fast schon unvereinbar sind.“
Das ändert sich gerade, die stellen fest, dass mit lebensunerfahrenen „Lernmaschinen“, die mit 19 ihren Bachelor haben in aller Regel nicht viel anzufangen ist und wie schon verlinkt, sind heute auch wieder gebrochene Biographien attraktiv, ebenso die berühmte Seite 3 im Lebenslauf (auf der man dann auch als Mensch erscheint). Klinikaufenthalt ist immer scheiße, weil die meisten kein Wissen darüber haben, das bestimmte Erkrankungen, auch psychische, ausheilen können (was idiotischerweise liebend gerne bestritten wird) leicht ironisch möchte ich anfügen, dass ich nicht einsehe, wieso Psychopathen heute Politiker, Anwälte, Journalisten und Konzernchefs werden dürfen, aber keine Lehre absolvieren oder nicht im Labor arbeiten können. Sehr viele Menschen, die wir heute hoch verehren, haben salopp formuliert, mehr oder weniger kräftig einen an der Waffel gehabt (oft kräftig) aber das ist ein Langlaufthema und die Angst vor psychsicher Erkrankung steckt vielen sicher noch in den Knochen weil „die Verrückten“ bei den Nazis vergast worden – die sich natürlich für vollkommen normal hielten. Ein ebenso bescheuerter Trend ist heute festzustellen, dass es angeblich Leute gibt, die zwar Serienmorde begehen, aber psychisch gesund sind. Ich weiß ja nicht, was die Leute die sowas schreiben geraucht haben, aber einen milden Einspruch würde ich da erheben wollen und mir mal die Kriterien erklären lassen anhand derer man das festgestellt haben will.
„Die breite Masse gönnt es schlicht der Unterschicht nicht, dass sie sich kulturtauglich ernähren, kleiden, in der Freizeit beschäftigen kann. Denn die breite Masse hat sich viele Jahre lang von unseren Politikern angehört, dass diese Faulheit nicht auch noch belohnt gehört und es ohnehin niemand bezahlen kann.“
Nein, „die breite Masse“ braucht jemanden, von dem sie denken kann, dass diese anderen etwas falsch gemacht haben. Das betäubt die Angst, dass es einen aus Zufall morgen treffen kann.
„Und die breite Masse glaubt diese Hetze, obwohl Deutschland heute reicher ist als jemals zuvor. Das Volk wurde verhetzt, in den letzten Jahrzehnten, womit wir wieder bei der eigentlichen Frage und ihrer Antwort angekommen sind, nämlich woher der Rechtspopulismus kommt. Nun, daher kommt er...“
Ich bin in dieser Frage anderer Auffassung.
„Erstrebenswert ist diese 'Lebensform' nicht. Und ich bin sogar sehr dafür, dass der Staat daran etwas ändert. Doch diese Leute haben sich diese Lebensform nicht selbst ausgesucht, sie ist systembedingt."
Ja.
„Ich bin allerdings entschieden dagegen, dieser Menschengruppe in die Fortpflanzung hineinzureden. Das ist rassistisch.“
Ja, mit der Einschränkung, dass ich nicht glaube, dass Heinsohn den Einzelnen meint. Aus dieser Sicht ist die Entscheidung für oder gegen Kinder immer Privatsache und muss es auch bleiben.
„Wenn Heinsohn Hartz4 eindämmen will, wäre es angebracht, Perspektiven zu schaffen, zum Beispiel in Form von geeigneten Arbeitsplätzen.“
Was sind geeignete Arbeitsplätze? Es gibt auch gesellschaftliche Bedürfnisse, nach denen richten sich dann u.a. die Arbeitsplätze. Was ist dagegen zu sagen, dass sich ein Hartz Bezieher für vohandene Arbeitsplätze fit macht? Die Chance muss man ihm natürlich geben und nach Möglichkeit fördern.
„Gelse bemerkte ja schon ganz richtig, dass die Einen sich kaputtstressen, während die Anderen mit ihren Fähigkeiten brach liegen. Wenn Heinsohn schon mehr Kindern von erfolgreichen Frauen für Deutschland möchte, wäre es nur folgerichtig, Arbeit umzuverteilen. Aber das wird den Konservativen zu teuer sein.“
Gerade Konservative sind ja durchaus der Meinung, dass ein klassisches Familienbild gelebt werden solle, dagegen gibt es natürlich auch Einwände und das kann man vom 100. ins 1000. treiben, was ja auch getan wird. Wir haben uns entschieden, dass andere Lebensformen protegiert werden und ich würde man selbstkritisch in die Ecke fragen, ob da nicht auch einige Ursachen liegen.
Zudem hört man ja, dass Facharbeiter gesucht werden nicht nur in den MINT Fächern. Ich glaube, dass in dem Fall die Konservativen der falsche Baum ist, den an anbellt.
„Und selbst Menschen, die nicht arbeiten wollen, sollten ein Recht auf vernünftige Ernährung, Unterkunft, kulturelle Teilhabe haben.“
Ja, das hatten wir ja schon. Von mir aus kann man ein Bürgergeld einführen.
„Ich halte es für reichlich frech, wenn sich jemand anmaßt, einem Mitglied unserer Kultur eine andere, zweckmäßigere, angepasste (an den Markt) Kultur aufzuzwingen. Das hat nichts mit Freiheit zu tun, allenfalls mit der Freiheit Einzelner, die sie anderen aufzwingen.“
Da kann ich dann nur meine nervtötende Dauerfrage stellen: Warum ist das auf einmal so attraktiv geworden. Warum „optimieren“ sich die Menschen selbst und schuften bis zum Burnout? Was ist da schief gelaufen? Warum ist Karriere eine bessere Option als Familie? Als Wohlergehen? Als Spaß am Leben? Weil der Kapitalismus die Menschen versaut hat? Das macht er doch schon seit 200 Jahren. Warum ist „gut“ das neue „scheiße“ warum muss alles perfekt sein
„Jeder von uns hat übrigens einen an der Waffel oder ist körperlich krank. Wenn man nur sucht, bekommt jeder seine Diagnosen.“
Ja, ein gesunder Mensch ist einer, der nicht ausreichend untersucht wurde. :-)
„Darum denke ich, dass man Menschen individuell beurteilen und auch fördern muss, das kann niemals pauschal funktionieren.“
Ja, absolut. Aber die Menschen sollten sich dann auch mal klar machen, dass sie Individuen sind. Ich kann mich doch nicht sehenden Auges an irgend einen Unsinn verkaufen und dann nachher jammern, wenn ich auf das was man schon vorher wissen konnte, geschissen habe. Genau an dieser Stelle würde ich ansetzen und sagen, dass man sich mal wieder klar machen sollte, dass man ein Individuum ist. Statt dessen lassen wir uns betäuben von Ideologen, die uns sagen, dass wir allein völlig machtlos sind und die meine Zeilen als naives Gesäusel abtun.
Man hat eben öfter als man meint, doch die Wahl, ob man sich mit Haut und Haaren an ein System (was auch immer für eines) verkauft oder, ob man ein System für seine Zwecke nutzt und das muss keinesfalls nur im Sinne der Ausbeutung geschehen.
Ich beginne mal mit einem Witz, den im vergangenen Jahr bei LORA München gehört habe:
An einem Tisch sitzen ein Kapitalist, ein deutscher Arbeiter und ein Asylbewerber. Auf dem Tisch steht ein Teller mit 21 Keksen. Der Kapitalist nimmt 20 von den 21 Keksen an sich und sagt zum Arbeiter: „Pass auf, der Asi nimmt dir deinen Keks weg!“
Es funzt auch, wenn man „Asylbewerber“ durch „Hartzer“ ersetzt. Gerhard Schröder & Co. waren sehr nahe an dem Witz, nur eben in aggressivem Hetzton vorgetragen. Sogenannte „Experten“ kommen natürlich mit dem Nimbus des Grossen Durchblickers daher. Inhaltlich macht es keinen Unterschied, denn über den der die 20 Kekse geklaut hat spricht man grundsätzlich nicht.
Und daraus folgt: Wir müssen den Keksklauer los werden. Wenn wir dann „seine“ Produktionsmittel demokratisch betreiben, werden wir erstaunt feststellen, dass wir alles Andere als arm sind. Und dass das Prinzip: „Jeder nach seinen Möglichkeiten/Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ leicht machbar ist. Und, um noch mal auf den Asylbewerber zurückzukommen: Mit den Betroffenen zusammen die Fluchtursachen abzustellen ist dann auch möglich. Aber eben nur dann. Sonst bleibt es beim ewigen: „Es müsste doch, es sollte doch, es dürfte nicht, es könnte ja…“
>>Und besonders dogmatische Linke legen Wert auf einen akademischen, also kostenintensiven Austausch. Oft vergessen sie dabei den Bezug zur Realität, der auch sie selbst unterliegen.<<
Na ja, ich würde jetzt nicht jeden egozentrischen Angeber als „links“ bezeichnen.
Sonst hätte Ernst Jandl ja doch recht gehabt:
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum
Natürlich ist Information nicht umsonst zu haben, im Kapitalismus ist nichts umsonst, nicht mal der Tod. Die „Schöpfer“ des Systems wussten schon sehr genau, warum Fernsehen unter Hartz kostenfrei gestellt wird, die Gebühr für den Provider aber nicht in den Regelsatz eingerechnet wurde. Ich hab es meiner Hartz4-Zeit trotzdem geschafft. Zum Teil durch Nahrungsmittel von der Tafel und, um Vitamin-C-Mangel zu vermeiden, im Sommer Sammeln von Beeren und Kräutern. Im Winter durch, hm, sagen wir: Geldlose Beschaffung.
>>Jeder von uns hat übrigens einen an der Waffel oder ist körperlich krank.<<
Dann reden wir doch noch mal von Experten: Ein Psychiater hat mal geschrieben, dass die Anforderungen auf Managerstellen dem Krankheitsbild einer schweren psychischen Störung entsprechen. Das gilt sinngemäss auch für Politiker, zumindest in den Lobbyblockparteien. Anders gesagt: Wer „erfolgreich“ sein muss den richtigen Hau haben. Wer eher gesund ist kann sich über Wasser halten, zum Beispiel als Facharbeiter/in. Aber eine Karriere geht so nicht.
"Dann reden wir doch noch mal von Experten: Ein Psychiater hat mal geschrieben, dass die Anforderungen auf Managerstellen dem Krankheitsbild einer schweren psychischen Störung entsprechen. Das gilt sinngemäss auch für Politiker, zumindest in den Lobbyblockparteien. Anders gesagt: Wer „erfolgreich“ sein muss den richtigen Hau haben. Wer eher gesund ist kann sich über Wasser halten, zum Beispiel als Facharbeiter/in. Aber eine Karriere geht so nicht."
Ja, so ungefähr.
Otto Kernberg in einem Interview:
"Kommt die Globalisierung solchen Charakteren entgegen?
Globalisierung bedeutet zunächst, dass Unternehmen mit unterschiedlichen Kulturen, Märkten und politischen Bedingungen konfrontiert werden. Das kompliziert die Arbeit an der Spitze und setzt eine aussergewöhnliche Intelligenz voraus, um dermassen komplex verschachtelte Unternehmen zu leiten. Talente mit diesen Fähigkeiten sind sehr selten; die grössten Konzerne sind am meisten in Gefahr, von mittelmässigen Leuten geführt zu werden.
Die therapeutische Erfahrung mit narzisstisch gestörten Managern zeigt, dass diesen oft die Krankheitseinsicht fehlt.
Natürlich, weil sie zu wenig Einsicht in ihre Persönlichkeit haben. Schwer gestörte narzisstische Persönlichkeiten sind unfähig, anderen zuzuhören. Kritik erleben sie als Angriff statt als Chance für eine objektivere Perspektive. Fehler schieben sie immer anderen zu. Im Extremfall können sich narzisstische mit paranoiden Zügen verbinden. Diese Kombination ist hochgefährlich in leitenden Funktionen; man trifft sie in der Politik häufiger an als in Unternehmen."
(Quelle)
„Ein Rollstuhlfahrer braucht zum Beispiel einen barrierefreien Zugang zum Arbeitsplatz. Bei psychischen, vermeintlichen Defiziten ist es natürlich komplizierter.“
Ja, klar.
„Und da muss ich die Kernbergs dieser Welt einmal kritisieren. Es gibt nicht den Borderliner, den Psychotiker, den Narzissten.“
Ja, und Du kannst sicher sein, dass Kernberg der erste wäre, der das anerkennt. Es gibt beliebige Mischungen, was es aber gibt, sind klare Kriterien über die Ebenen einer Pathologie: von psychotisch zu (schweer und leichter Form) einer schweren Persönlichkeitsstörung, zur neurotischen oder normalen Struktur.
„Das Problem ist das Denken in Kategorien. Jeder ist etwas Borderliner, etwas Narzisst, etwas depressiv...“
Nein. Es ist eher ein schlampiger Gebrauch diagnostischer Kriterien, die diesen Eindruck erweckt, ohne das hier vertiefen zu wollen.
„Und man kann jeden Menschen in eine Psychose treiben. Wir sollten diese Persönlichkeitsmerkmale als Spektrum begreifen, nicht als Kategorie.“
Das ist im Grunde Kernbergs Ansatz. (Genauer versucht er eine Synthese zwischen dimensionalen und kategorialen Ansätzen, d.h. er sieht Krankheitsbilder schon als voneinander abgegrenzt an, aber zugleich als fließenden Übergang, bzw. eskalierenden Schweregrad.)
„Krankheitswert bekommen diese Merkmale, wenn sie mit der Kultur kollidieren.“
Nein, nicht zwingend.
„Es gab hier im Freitag einmal einen interessanten Artikel zum Thema:
https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/der-neoliberale-charakter“
Kann ich zum Teil unterschreiben, aber nicht alles. Die „Werte“ von denen geredet wird, sind ja gerade keine. Sie sind oberflächlich und selbstbezogen, man kan natürlich alles irgendwie als Wert bezeichnen, aber klassischerweise ist Konkurrenz um jeden Preis oder das Streben nach Lust oder gar psychopathischen Idealen kein Wert. Das Problem ist, dass wir keine anderen mehr haben und keinen Schutz vor beliebigen und reichlich widersprüchlichen Einflüsterungen haben. Und dass ein ungezügelter Relativismus ein guter Nährboden für Narzissmus ist, ist bekannt und Psychopathie ist nur die Eskalationsform des Narzissmus. Zugleich wird aber geleugnet dass Narzissmus ein tatsächliches Problem ist und es wird schon wieder gelangweilt abgewunken, als Hype ist das Thema bereits nicht mehr interessant und die linke Lesart ist eben, dass das alles vom Neoliberalismus kommt. (Wie kam eigentlich vor dem Neoliberalismus Narzissmus zustande?)
„SAP oder Auticon zum Beispiel haben die Fähigkeiten von Autisten für sich entdeckt, aber auch deren spezielle Bedürfnisse.“
Ich habe darüber mal eine Doku gehört und das ist eher ein Fake. Es kommt halt gut, wenn man sich sozial engagiert, obendrein ist Autismus gerade eine der Modediagnosen, ich kenne sogar einige, die direkt sauer werden, wenn man ihnen abspricht Autist zu sein.
„So gibt es zum Beispiel spezielle Ruheräume oder Assistenten, die vermittelnd die Kommunikation übernehmen. Es wurde z.B. Auch gerichtlich erstritten, dass Autisten sich gegenüber Behörden grundsätzlich schriftlich äußern dürden. Solche Maßnahmen ermöglichen es, dass der Arbeitsplatz geeignet ist.“
Also grundsätzlich finde ich die Idee gut, auch wenn sich daraus in einigen Fällen ethische Fragen ergeben, etwa ob man eine Zwangsgestörten als besonders gründlichen Mitarbeiten, der er (in leichtere Fällen) sicher ist, einstellen oder therapieren soll. Aber generell, ja, wenn man weiß, wen man wo gut gebrauchen kann, profitieren alle.
„Unsere aktuelle Wirtschaft bevorzugt bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und vernachlässigt andere. Da würde ich ansetzen.“
Auch da kann ich nur zustimmen. Wie und wo kann man da Deiner Meinung nach ansetzten? Ich stehe da auf dem Schlauch, da ich erlebe, dass an den Stellen an denen man beginnen könnte die Projektionen wieder einsetzen und man doch alles dem Kapitalismus/Neoliberalismus in die Schuhe schiebt, gegen den man dummerweise nichts machen kann, weil der so mächtig ist. Schon sitzt man wieder wie das Kaninchen vor der Schlange und Lösungen werden nicht mal „angedacht“ wie es heißt. Da kann man eben nichts machen und schon lässt man sich mit Plan B, C oder X abspeisen und ist froh wenigstens Almosen zu bekommen. Sich selbst und nachhaltig zum Häschen in der Grube zu machen, ist so tief verwurzelt, dass man sich nur wundern kann und man erntet Wut und Hass, wenn man nur vorsichtig andeutet, dass es hier und da ein Lösung geben könnte.
Um an Informationen zu gelangen, muss man auf irgendeine Weise in die Tasche greifen.
Mir fällt spontan Lesestoff für die nächsten 5 Jahrzehnte ein. Wissenswert, Kostenlos und sofort verfügbar.
Und wer nach Sarrazin immer noch nicht begriffen hat, wie und warum sich Rassisten wie Heinsohn und demokratische Bildungspolitiker ausschließlich formal unterscheiden, wenn sie das nationale Menschenmaterial höchst verantwortlich und zweckmäßig in brauchbare Volksgenossen und unnützes Gesocks durchsortieren, der könnte das mit einer kritischen Rezeption von Heinsohns Elaboraten nachholen, keine Frage.
Das ist wohl leider so.
Und die in diesem Zusammenhang erwähnte Hinderlichkeit beschränkt sich ja beileibe nicht auf die BWL.
>>Dort liest man Sätze wie:"Die Linken und ihre ewige Leier von der wachsenden Armut."<<
Mit dem Nachplappern solcher Sätze, mit dezentem Abscheu, aber gelassen vorgetragen, zeigt man sich als "Leistungsträger" und wird von anderen "Leistungsträgern" erkannt. Dann kann man ein bisserl ablästern über soziale Hängematten und die schier unerträgliche Steuerlast.
>>Fragt sich, warum nicht das Medium Fernsehen auch von linker Seite genutzt wird, um Informationen zu verbreiten.<<
Es ist eine finanzielle Frage. Der Rundfunksender LORA München wird im Wesentlichen vom LORA-Förderverein getragen, mit 60 € Jahresbeitrag. Das kann ich mir als Rentnerin auch leisten, nur als Beispiel. Fernsehen ist aufwändiger, ein Interessenverein für ein werbeunabhängiges Fernsehen müsste sehr viel mehr aufwenden. Und man muss eine Sendefrequenz bekommen. Ist wahrscheinlich für Fernsehen auch nicht so einfach...
Ich kann all Deinen Ausführungen wieder nur zustimmen.
Ich meinte mit meiner Frage aber eher, wie man ein Bewusstsein dafür schaffen kann, dass Innen- und Außenwelt ein dynamisches Wechselspiel darstellen, das keine Einbahnstaße ist, sondern ein Spiel auf Wechselseitigkeit.
"Bei Bildung sehe ich das weit verbreitete Problem, dass sie oft völlig unkritisch aufgesogen wird."
Das glaube ich nur bedingt. Zu Anfang ist Lernen wie Gänse stopfen, d.h. man nimmt tatsächlich - schon mangels Vergleichswerten - alles mehr oder minder unkritisch auf.
Doch schnell kommt man mit anderen Modellen und Ansätzen in Kontakt und muss sich so schon mal mindestens entscheiden.
Irgendwann fragt sich der eine oder andere hoffentlich, warum er eigentlich glaubt, was er glaubt, das wäre die Stufe der Reflexion.
Auf Heinsohn bezogen und über ihn hinaus ganz grundsätzlich: Ich wundere mich oft, dass, wenn man jemanden zitiert oder ihm zustimmt, die Meinung vorherrscht, man sei nun zu 100% dessen Meinung. Noch mehr besorgt mich der m.E. falsche Ansatz, zu glauben, sich vollkommen für oder gegen einen Autor/Ansatz entscheiden zu müssen. Es kann ja sein, dass ein Ansatz vom Grundsatz her verfehlt ist, aber dennoch richtige oder brauchbare Elemente enthält oder anders herum grundätzlich gut ist, aber sich in Details verzettelt und verrennt.
Ich kenne eigentlich niemanden, den ich unhinterfragt durchwinken würde, aber ich sehe auch nicht ein mich selbst zu blockieren, weil ich jemanden oder eine Position grundsätzlich nicht leiden kann.
Bein Heinsohn habe ich erstmalig die Bedeutung des Faktors Demographie erfasst, der m.E. zugunsten ideologischer Positionen vernachlässigt wird.
"Mir ist nicht ganz klar, was du meinst. Meinst du, wie man die Bereitschaft zu einer Gegenleistung weckt? Fördern und Fordern?"
Nein, ich meine einfach ein Bewusstsein dafür zu fördern, dass man sich nicht ohnmächtig fühlt, in dem versteheden Bewusstsein, dass man es nicht ist.
"Bei der Bildung habe ich andere Erfahrungen gemacht."
Ich bin da vom Anfang des Lebens ausgegangen, da läuft das so, wenn es gut läuft, wird man immer autonomer.
Dass man blind schluckt, was einem vorgesetzt wird, ist leider oft die Regel, aber auch hier bedarf es des Fingerspitzengefühls,. es gibt auch Leute, die sich unheimlich originell findent, weil sie jeden Begriff definiert haben wollen. In einem Philosophie-Seminar mag das berechtigt sein, sonst oft nicht. Bei Fachbegriffen, die eingeführt und nicht definiert werden, ist das natürlich etwas anderes.
"Heinsohn meide ich in der Tat, weil ich keine Texte von Rassisten lesen möchte. Ich neige dazu, mich dann permanent aufzuregen. Das möchte ich vermeiden."
;-)
"Leider ist es oft so, dass man sich ohnmächtig fühlt, weil man es tatsächlich ist. Wenn ein ganzes System gegen die Bedürfnisse eines Individuums aufgestellt ist, wird es schwer, sich dagegen zu stellen."
Da würde ich ja schon Einspruch erheben. Ein System, das nur gegen die Bedürfnisse einzelner Individuen ersonnen wurde? Da ist dann wirklich die Frage, war da ein Sadist am Werk oder läuft eine Idee in einigen Fällen (oder immer) schief, aus diesen oder jenen Gründen?
"Beim Beispiel der Unterschicht finde ich die Urteile der Sozialgerichte immer sehr interessant."
Da bin ich nicht im Bilde, was genau (welche Tendenz) meinst Du da?
"Beim Beispiel der Bildung sehe ich zum Beispiel das Problem nicht beim Einzelnen, sondern auch im Sparwahn des Systems."
Beim Beispiel Bildung fallen mir sehr sehr viele Details ein, da ich unser Bildungssystem für verkorkst halte, ein Endlosthema. Da reg' ich mich dann nur auf. ;-)
"Die Materialien sind fehlerhaft und der Leser hat auch nicht die Zeit, intensiv zu lesen."
Sicher, ich will das auch nicht bagatellisieren, nur Schwachstellen gibt es eben reichlich und wenn man ein gewisses Alter hat, bleibt es kaum aus, dass man Bekannte hat oder Leute trifft, die auf in diesen Bereichen arbeiten und Du kannst mir glauben, dass die andere Seite des Tischs oft auch nicht glücklich ist, um es zurückhaltend zu formulieren.
"Darum bin ich auch überzeugt, dass der Traum von der KI mit diesem Sparwahn, den ich auch für Rechtspopulismus halte, nicht funktionieren kann."
Die KI kann sicher hier und da helfen, letztlich liegt die Lösung im Bereich Motiviation, a) der Leute die in Bildung, auch Erwachsenenbildung arbeite und b) bei den Menschen, die dort hin kommen (sollen).
Ich kenne eine Frau, die im Bereich "Erwachsensbildung", so auf dem Übergang von arbeitslos zu wieder ins Leben finden, arbeitete, sie nannte das was sie dort tut nur "Bespaßen". Sinnvolles in irgendeiner Form, völlig unmöglich, Umgang mit Computern u.a. deshalb, weil während dieser Zeit am Computer, sich die meisten Pornos ansahen.
Ich hatte selbst mal das zweifelhafte Glück in einer so genannten Jungarbeiterklasse zu sein (als Insasse: dort wird man zusammengepfercht, wenn man noch keine 18 ist, nicht mehr in einer Schule, aber auch in keiner Lehre), sowas wie Unterricht war unmöglich, weil die Lehrer Angst vor körperlicher Gewalt hatten (und das war noch in der Zeit, als der Ausländeranteil überschaubar war) und die Themen dort waren - also die Lehrer sagten nichts, die hatten gelernt, dass es besser war sich ruhig zu verhalten - wie viel man gesoffen und wie oft man "ne Alte gefingert" hat. Im Urlaub traf ich mal einen Lehrer einer Jungarbeiterklasse aus der Region Rheinland, der Ähnliches berichtete, er konnte sich als ehemaliger Leistungssportler bei den netten Jungs dadurch Respekt verschaffen, dass er besser als sie Klimmzüge konnte.
Ich kenne auch ne Frau aus dem Arbeitsamt, bei der Überstunden Dauerzustand waren, ohne Chance, dass sich die Aktenberge auf ihrem Schreibtisch auf nur im Entferntesten abtragen ließen.
Letztlich würde ich es so machen wie Du vorgeschlagen hast, streng nach Neigung gehen, auf beiden Seiten, aber davon sind wir entfernt. Ich wäre auch nicht grenzenlos geduldig bei der schieren Anwesenheit, aber man kann sich da in 1000 Details verheddern und alles zu Tode diskutieren, mit einer Mischung aus gutem Willen und gesundem Menschenverstand kommt man glaube ich weiter, aber über den Verfügen hier eher Schreiber wie Janto Ban, der bei allem Idealismus auch die realen Zustände im echten Leben kennt und da neben vielen kleinen beglückenden Erfolgen, so einfache Tipps gibt, wie den, sich mal einen Morgen auf den Schulhof einer Hautpschule zu stellen und dann noch mal über theoretische völlig problemfreie Integration nachzudenken.
Der Beitrag wollte sagen, dass es auch die andere Seite nicht wirklich leicht hat und vermutlich nicht ausschließlich aus Sadisten in einem System besteht, was nur dafür errichtet wurde um andere zu diskriminieren.
"die oft lächerlichen Urteile, die sich im Kleinklein verlieren"
Naja, das ist ja oft die Aufgabe von Gerichten, juristische Prinzipien anzuwenden, wenn man in die Mühle kommt, ist das natürlich nie schön. Aber da ist der Krieg am Gartenzaun oder in der Ehe auch nicht spannender.
Und klar Sinnlosformulare, bei denen man ausstehende Beträge von 1 Cent überweisen soll oder dergl. sind ntürlich irgendwie gaga.
"Wenn nun ein System einseitig das selbständige Streben nach Autonomie belohnt, während es Menschen benachteiligt oder sogar bestraft (sanktioniert), die das nur mit mehr Unterstützung erreichen können, schadet es zum Einen sich selbst und diskriminiert im Grunde die Menschen, bei denen die Ängste überwiegen, indem es ihre Bedürfnisse unerfüllt lässt und sogar noch mehr Angst erzeugt."
Wenn hier alles so kalt, hart und unmenschlich wäre, hätte sich das vermutlich herumgesprochen und niemand würde hier merh einreisen wollen. Die Zahl derer die nach Russland wollen scheint aber irgendwie doch geringer zu sein.
Viele, nicht nur die relativ Armen, haben das Gefühl, dass gegenwärtige Regelungen gegen ihr Verständnis von Gerechtigkeit verstößt. Das hat man lange Zeit nicht ernst genommen, jetzt tut man es, soweit ich das sehe unter dem Druck, dass viele sozial Enttäuschte, Abgewandte und Nichtwähler ihre vermeintlich letzte Chance darin sehen, rechts zu wählen. Schön ist das nicht, aber man kann es verstehen.
Die Konkurrenz am unteren Rand der Gesellschaft ist m.E. nur in Teilen politisch gewollt.
Die pauschale Unterstellung, Migranten würden in unser Sozialsystem einwandern wollen...
... (Adolf Hitler, Mein Kampf)
... Das Verweisen auf Sozialstandards in anderen Ländern, um soziale Einschnitte zu rechtfertigen, ist ein häufiges und plumpes Argument.
Vielen Dank, für das Gespräch.
>>Eine Gesellschaft, die zu 50 % aus Gewinnern und 50 % aus Verlierern besteht, wird unter Umständen ganz aussteigen.<<
Oder eher: 10 % Gewinner, 40 % die sich noch für Gewinner halten dürfen, und 50 % Verlierer?
Keine revolutionäre Situation, vor allem auch weil die 50 % immer noch glauben, dass sie Versager sind. Und nicht glauben, dass sie entweder Profitgeber oder Profitgeberreserve sind. Oder Fallbeispiele dafür, dass alle Versager sind. Wobei diejenigen, die als "repräsentativ" für die "bildungsfernen Schichten" herhalten müssen ja die am heftigsten Gebeutelten sind.
>>Erst, wenn es sie erwischt hat, werden sie dann keine Partei mehr wählen, die Sozialabbau propagiert.<<
Es ist heute schon so, dass nicht mal 40 % der möglichen Wählerstimmen genügen, um eine Regierung zu bilden. Ich kann mir vorstellen, dass die Zahl noch weiter sinken wird. Und dazu sage ich in Diskussionen: „Ich gehe natürlich nicht davon
aus, dass durch Wahlen eine Revolution herbeigeführt werden kann. Wenn ich mir aber zum Beispiel Parteispenden anschaue, dann sehe ich, dass ich eine Antikorruptionsstimme abgeben kann. Das heisst nicht, dass Einzelne in der Linken nicht doch korrupt sind. Sondern dass gegen die schon lange sichtbare Korruption gestimmt wird.
Und wenn ich mir programmatische Ziele anschaue, dann suche ich nicht 100% Übereinstimmung, sondern wo ich mehr Übereinstimmung finde als bei anderen. Sogar wenn die mehr als 50 % Zustimmung bekämen würden sie mir mein Milliardenvermögen nicht wegnehmen, da bin ich völlig unbesorgt.
Solange wählen nichts kostet, habe ich also keinen Grund nicht zu wählen. Man darf halt nur die praktische Auswirkung einer Parlamentswahl nicht überschätzen. Im Übrigen zeigt ja der „Brexit“, dass eine Mehrheitmehr bewegen kann als gar nichts(wie immer man dazu stehen mag). Hierzulande müssen dafür aber erst mal Abstimmungen auf Bundesebene ermöglicht werden. Auch dafür kann ich eine Wählerstimme abgeben.“ Facit: Per Parlamentswahl ist keine grundlegende Machtänderung möglich, aber Meinungsäusserung geht. Dass ist immer noch besser als permanent die Klappe zu halten. Das sage ich wo sich die Gelegenheit ergibt.
Das ist mir beim Einkopieren verloren gegangen:
>>Da unten ist deutlich weniger zu holen als da oben…<<
Das ist schon so. Aber Kapitalismus funktioniert nun mal so, dass von unten nach oben geholt wird und nicht umgekehrt. Solange eine grosse Mehrheit gegen die Herrschaft einer kleinen besitz- und machtgeilen Minderheit nichts einzuwenden hat bleibt das so.
>>Zumal es keine antikapitalistische Partei in Deutschland mehr gibt.<<
Wenn sich mal unter Besitzlosen die Erkenntnis verbreitet: Wir können nur uns selber vertreten, denn ausser uns tut es niemand“ dann besteht die Chance, die Fremdbestimmung durch ein paar Raffkes zu überwinden. Zurzeit ist die Resignation zu gross um eine nennenswerte Bewegung „von unten“ zu formieren. Der einseitige Klassenkampf von „oben“ nach „unten“ wird weiter gehen bis die Resignation überwunden wird. Meine Einschätzung (ohne statistschen Beleg: Bei den heute unter 20-jährigen ist unklar, wieviel sie sich gefallen lassen werden. Bei den 20 – 50 jährigen ist eine Minderheit nicht mehr bereit. Aber die sind sich bewusst, dass in der Minderheit sind. Bei den über 50-jährigen sind Einzelne nicht komplett untertänig.
Die Logik einer jeden rassistischen Ideologie unterstellt immer die angebliche Notwendigkeit gegenseitiger Benutzung von Menschen.
Diese Logik folgt dem Zweck, interessierte Herrschaftsverhältnisse ins Recht zu setzen und zu rechtfertigen: die Nutzung von Menschen geht aber nur da, wo sich das Machtverhältnis zwischen Menschen schon konsolidiert hat, also die Position, worin sich der Nutzer die Benutzten aneignet: "Herrschaft und Benutzung ist ein Begriff" (MEW 1, S. 339).
Scheint im Freitag mit einem Tabu belegt zu sein.
Kopfschüttel.