Das kommt nicht in die Tüte!

Alltagskommentar Die Grünen fordern eine 22-Cent-Abgabe auf jede Plastiktüte. Mit dem Ende des Plastikbeutels gingen auch Alltagsrituale verloren. Aber das ist es wert, meint unser Autor

Davon können wir später unseren Enkeln erzählen: Dass der Hohlraum unter der Spüle einmal einzig und allein dem Zweck diente, mit Plastiktüten vollgestopft zu werden, eine in die andere verknüllt. Man warf sie beim nächsten Umzug weg. Oder dass es in der Gemüseabteilung im Supermarkt einen Abroller für Plastiktüten gab und jedes Gemüse einen eigenen Beutel bekam. Und dass die Kassierin die Augenbrauen hochzog, wenn wir das Gemüse blank, also ohne Tüte, aufs Band legten. "Das waren selige Zeiten", werden wir zu unseren Enkeln sagen, geordnete Zeiten, in denen es für alles ein Plastikbeutelchen gab. Doch dann erwischte die Polyethylentüte das gleiche Schicksal wie die Glühbirne: Sie landete im Sondermüll der Geschichte. Gut so!

Auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende forderten die Grünen eine Abgabe von 22 Cent auf jede Plastiktüte. Diese "Umweltabgabe" könnte aber bald schon ein Anachronismus sein. Die EU wird die Plastiktüten über kurz oder lang sowieso aus dem Verkehr ziehen. In Ländern wie Frankreich, Italien, Großbritannien, Australien, China und einigen US-Bundesstaaten ist das schon ganz oder teilweise passiert. Oder es wird ebenfalls eine Abgabe geplant. In Irland sank der "Tütenverbrauch pro Kopf" von 328 auf 21 Stück, seitdem ein Aufschlag von 15 Cent fällig ist. Worüber diskutieren wir eigentlich noch?

Wie immer, wenn ein lieb gewonnenes Alltagsprodukt in Gefahr ist, wird die Diskussion hierzulande schnell irrational. Vielleicht hätte die Forderung besser nicht von den Grünen kommen sollen, denen seit jeher das Image der Spaßbremse anhaftet. Was wird jetzt, fragen sich manche, aus meinem türkischen Lebensmittelhändler um die Ecke? Ist ein Einkauf bei ihm ohne den exzessiven Einsatz von Polyethylen überhaupt noch authentisch? Wie transportieren niedrige Einkommensschichten ihre Einkäufe nach Hause, wenn die Abgabe kommt? Sind die Bio-Plastiktüten als Ersatz nicht eine große Ökolüge, so wie der Biosprit? Und: Muss ich in Zukunft mit nassem Hintern radeln, weil keine Plastiktüte meinen Sattel mehr vor Regen schützt?

Unser Alltag wird sich verändern, ein bisschen. Dafür wissen die Fische im Ozean irgendwann wieder, wie Plankton ohne Plastikfetzen schmeckt. Und vielleicht sollten die Grünen das nächste Mal etwas wirklich Mutiges fordern: eine Sonderabgabe auf Katzen etwa – wegen des Fleischkonsums, des Streus und des Verpackungsmülls von Katzenprodukten sind sie schließlich die schlimmsten Klimasünder unter den Haustieren.

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