Jetzt schaut Sebastian Deisler wieder auf den Tüllinger Berg, seinem Hausberg in Lörrach. Von dort brach er vor vierzehn Jahren auf, um berühmt zu werden. Dorthin kehrte er vor einiger Zeit zurück, um es nicht mehr zu sein. Nach seinem Abschied vom Profifußball im Januar 2007 war er abgetaucht. Wer ihn suchte und in Berlin fand, bekam es mit seinem Anwalt zu tun. Er mauerte sich ein und lugte durchs Schlüsselloch, draußen nur Feinde. Dass er auch reiste, weiß man jetzt. Er war in Thailand und in Nepal, mal allein, mal in Begleitung. Und er schrieb zusammen mit dem befreundeten Sportjournalisten Michael Rosentritt ein Buch. Er nennt es seinen „Abschlussbericht“. So als hätte er eine Untersuchung zu einem Ergebnis gebracht. Er hat sie selbst in Auftrag gegeben, nicht die verhasste Öffentlichkeit. Die hatte irgendwann aufgehört, nach ihm zu suchen.
Deisler war der begnadetste deutsche Fußballer seiner Generation. Keiner schlug so präzise Flanken auf den Kopf oder Fuß der Stürmer, keiner zirkelte die Freistöße so virtuos an der Mauer vorbei in den Torwinkel. Er tanzte mit dem Ball wie seinerzeit nur Zinedine Zidane, sein großes Vorbild. Als er im März 1999 beim Spiel zwischen Borussia Mönchengladbach und 1860 München zu einem Sololauf über das halbe Feld ansetzte, mehrere gegnerische Spieler aussteigen ließ und aus vollem Lauf ins Tor traf, war fortan vom „Jahrhunderttalent“ die Rede.
Vielleicht erschien seine große Begabung auch nur als so übergroß, weil die der anderen so klein war. Es war die Zeit der Hamanns, Ramelows und Janckers. Der deutsche Fußball war in der Krise. Er sei mit der Rolle des alleinigen Heilsbringers überfordert gewesen, lautet eine der zentralen Argumentationslinien im Buch. Doch schon damals galt Deisler als fragiler Künstler, extrem verletzungsanfällig, psychisch labil. Wenn es darauf ankam, bei den Weltmeisterschaften 2002 oder 2006 etwa, musste man ohne ihn planen. Der vermeintliche Retter war schon bald mehr mit seiner eigenen Rettung beschäftigt.
Der Verlag behandelte Deislers Biografie Zurück ins Leben bis zu ihrer Veröffentlichung vergangenen Donnerstag wie eine Geheimakte. Rezensionsexemplare wurden frühestens zwei Tage vor Erscheinen verschickt, Interviewanfragen abgelehnt. Es sei eine Bedingung Deislers gewesen, hieß es, lediglich zwei Interviews zu geben – der Wochenzeitung Die Zeit und Stern-TV. Gezielt wurde im Vorfeld die einzige Episode lanciert, die zum Aufreger taugt: Deislers umstrittener Transfer von Hertha BSC Berlin zu Bayern München. Im Oktober 2001 war herausgekommen, dass Bayern dem damals 21-Jährigen ein Handgeld von 20 Millionen Mark überwiesen hatte. BILD war durch die Indiskretion eines Bankangestellten an das Überweisungsformular gekommen und hatte es auf die Titelseite gepackt. Deisler stand als fahnenflüchtiger Söldner da, aus dem „Basti Fantasti“ wurde in Fanforen der „Spasti Scheißler“.
Das Psychogramm eines sensiblen jungen Mannes
Die Hertha war schon im Sommer über den Wechsel ihres Stars informiert und hatte mit ihm Stillschweigen bis zur Winterpause vereinbart. Als die Bombe platzte, fühlte sich Deisler vom Verein im Stich gelassen. Man habe tatenlos zugesehen, wie er aus der Stadt „rausgeprügelt“ worden sei, lautet der Vorwurf im Buch und in den Interviews, und habe auch noch eine öffentliche Entschuldigung von ihm verlangt. Das Demento vom damaligen Manager Dieter Hoeneß folgte auf den Fuß: Alles Quatsch, man habe versucht, ihn zu schützen. Dass davon abgesehen 20 Millionen Mark eine unanständig hohe Summe waren, ist keinem der Beteiligten eine Erwähnung wert.
Möglicherweise hatte der Verlag auf ein Enthüllungsbuch gehofft oder auf eine gnadenlose Abrechnung. Es ist nichts von beidem geworden, mehr das Psychogramm eines sensiblen jungen Mannes, der als öffentliche Figur gescheitert ist. Und am männerbündlerischen Hau-den-Lukas innerhalb des Fußballer-Kollektivs zerbrach. Im Gespräch mit der Zeit fand Deisler dafür ein eindrückliches Bild: „Es war ein bisschen so, als sei ich auf eine ewige Klassenfahrt geraten. Da gibt es doch auch immer die Lauten, die Bestimmer – und die, die lieber um neun im Bett wären, aber bei der Kraftmeierei mitspielen, um nicht ausgelacht zu werden.“ Er hat vieler solcher Bilder parat. Sie wiederholen sich bisweilen in den Interviews und im Buch, wie jenes von der Glühbirne, die nackt und einsam von der Decke hängt. Deisler hat sich mit einem Coach minutiös auf seine kurze Rückkehr in die Öffentlichkeit vorbereitet – es scheint, bis in die Metaphorik. Zu seiner aktiven Zeit hatte er die Kontrolle über sich und über den Zugriff auf seine Person verloren. Das soll ihm nicht noch einmal passieren.
Ein therapeutischer Kokon, der unangreifbar macht
So liest sich auch seine Biografie. Sie trägt einen therapeutischen Kokon, der ihn unangreifbar macht. „In seiner Kindheit liegen viele Schmerzen begraben“, heißt es zu Anfang. Vom zu kurz geratenen Hänfling, der sich die Anerkennung seines Umfelds durch Fußballstricks erkämpfen muss, bis zur ausgebeuteten Medienikone, die doch eigentlich nur Fußball spielen will und in der Klinik landet, ist eine Spur des zwangsläufigen Scheiterns gelegt – psychoanalytisch verbrieft. Diese eng geführte Offenheit setzt ihn in die Position zu sagen: So ist es gewesen, so will ich in die Geschichte eingehen, bevor ich mich endgültig aus ihr verabschiede. Wer wollte sich anmaßen, ihm zu widersprechen?
Er habe dieses Buch in erster Linie für sich selbst geschrieben, sagte er in den Interviews. Nur so könne er wieder ganz gesund werden. Dafür fordert er von der Öffentlichkeit etwas, das er seiner Ansicht nach bislang nie von ihr bekommen hat: Ein Bild von sich, das seinem eigenen entspricht.
Sebastian Deisler: Zurück ins Leben - die Geschichte eines FußballspielersMichael Rosentritt Edel Verlag 2009, 256 Seiten, 22,95 EUR
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