Kein Platz für Menschen

Tierfilm Bernhard Grzimek war ein Pionier für den Umweltschutz. Doch in dem TV-Saubermann steckte auch ein Karrierist mit NS-Vergangenheit. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Seinen Tod kann sich keiner aussuchen. Auch Bernhard Grzimek konnte das nicht. Der Tierfilmer und TV-Professor, der den großen Auftritt schätzte, starb als Zuschauer. 13. März 1987, Zirkus Althoff in Frankfurt: Grzimek wird zur Loge geführt, er setzt sich, wenige Augenblicke später sackt sein Körper zusammen.

22 Jahre nach seinem Tod ist der Zoologe, Naturfilmer und Umweltschützer aus der Öffentlichkeit verschwunden. Vieles von dem, für das er zu seinen Lebzeiten eintrat, wird nicht mehr mit seinem Namen verbunden. Zurück bleibt das Bild eines Mannes, der die Tiere liebte. Manchmal mehr als die Menschen.

Grzimek war ein Meister des Selbstmarketings. Die öffentliche Inszenierung seiner Person war frei von Privatem und sollte doch privat wirken. In seiner populärsten Rolle als Moderator der Fernsehsendung Ein Platz für Tiere, die von 1956 bis weit in die 80er Jahre hinein insgesamt 175-mal ausgestrahlt wurde, gab er den gemütlichen Tieronkel und leicht trotteligen Professor. Aber jedes Detail war genau geplant: Die leicht geneigte Kopfhaltung, der nasale, pastorale Ton, der holprige Duktus seiner Ansagen. Selbst das oft unvorhersehbare Verhalten der Geparde, Schimpansen, Wüstenfüchse oder Faultiere, die er ins Studio mitbrachte, waren Teil der Berechnung. Die Zuschauer liebten diesen Anflug von Anarchie im unbeweglichen Nachkriegsdeutschland. Das dahinter ein ausgebuffter Medienprofi steckte, ahnten sie nicht.

Was bei Grzimek Karrierismus war, was Mission, ist nicht zu trennen. Als er nach dem Krieg Direktor des Frankfurter Zoos wurde, arbeitete er mit fieberhaftem Eifer am Wiederaufbau des völlig zerstörten Geländes – für ihn auch eine Frage des persönlichen Renommees. Er holte sich Kirmesbuden und Zirkusse in den Park, um die Attraktivität zu erhöhen. Sehr zum Missfallen anderer Direktorenkollegen, denen die Vermischung von Wissenschaft und Unterhaltung bitter aufstieß. Für Grzimek war das nichts weiter als ein probates Mittel zum Zweck. Wie sein Trick bei der Verfütterung frischer Lebensmittel an die Tiere, die der hungernden Bevölkerung schwer zu vermitteln war: Grzimek ließ Brot und Fleisch mit Methylen-Blau besprühen, um ihnen ein verschimmeltes Aussehen zu geben. Und da das Zoogeschäft immer auch ein Wettbewerb um seltene Tiere ist, unternahm er seine ersten Afrika-Reisen nicht nur zu Forschungszwecken, sondern kehrte auch regelmäßig mit ausgewählten Exoten im Gepäck zurück. Erst später erkannte er den Zoologischen Garten als Arche Noah für bedrohte Tierspezies und baute seinen eigenen artgerecht um. Das immerhin als einer der ersten.

Eine sehr komplexe Person

„Bernhard Grzimek war kein Lamm“, sagt Claudia Sewig. Die Journalistin und studierte Biologin hat gerade die erste offizielle Grzimek-Biografie veröffentlicht. Fünf Jahre lang recherchierte sie in Europa und Afrika und sprach mit über 100 Zeitzeugen. Nach und nach schälten sich die Konturen einer „sehr komplexen Person“ heraus, wie sie es nennt. Als Privatmann war Grzimek nicht selten eine Zumutung. Er spannte die ganze Familie bei seinen Verhaltensstudien im heimischen Privat-Zoo ein und trieb seine erste Frau Hildegard mit seinen zahlreichen Affären buchstäblich an den Rand des Wahnsinns. Zwei Kinder stammen aus der Ehe mit ihr, zwei aus einer Liaison mit einer Schauspielerin. Der charismatische Kämpfer für die Rechte der Tiere nahm es mit denen seiner Mitmenschen oft nicht allzu genau. Manchmal auch mit der Wahrheit nicht, wenn sie ihm im Weg stand.

Bei ihren Recherchen im Bundesarchiv stieß Sewig auf ein prekäres Dokument: Grzimek war ab 1937 Mitglied der NSDAP. Das waren viele, doch der Zoologe hatte eine Mitgliedschaft bis zuletzt immer heftig dementiert. 1947, als er wegen der Vorwürfe um seinen Direktorenposten fürchten musste, legte er einen Meineid ab und blieb im Amt. Die Biografin trieb zudem noch einen Fragebogen der Universität Berlin aus dem Jahr 1936 auf, in dem Grzimek handschriftlich angab, Mitglied der „SA, Motorsturm 2/M28“ zu sein. Nachweislich eine glatte Erfindung, die seine Karriere anschieben sollte. Grzimek war kein überzeugter Nazi, sondern ein klassischer Mitläufer und Opportunist. Mit Erfolg: Von 1938 bis Kriegsende war er Regierungsrat im Reichsernährungsministerium.

Grzimek blieb dieser pragmatischen Linie bis zuletzt treu. Wenn es um seine Naturschutz-Ziele ging, war ihm jedes Mittel recht. Spätestens seit seinem Oscar-Triumph 1960 mit Serengeti darf nicht sterben war er eine Person mit Einfluss, den er zu nutzen verstand. Er verhandelte mit afrikanischen Diktaktoren wie dem ugandischen Präsidenten Idi Amin über Tierreservate und war in der Regierung Willy Brandt drei Jahre lang Beauftragter für Naturschutz. Seine Verdienste sind unbestritten: Er sammelte Spendengelder für bedrohte Tierarten, war maßgeblich an der Einrichtung von Schutzzonen in Afrika beteiligt, erwirkte Kuratorien bei der Robbenjagd und gehörte zu den Mitbegründern des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Flug ins Schimpasenland

Doch Grzimeks ökologischer Ansatz hatte immer eine sozialdarwinistische Imprägnierung. Im Vorwort zu seinem Buch Flug ins Schimpansenland schrieb er 1952: „Die Menschen vermehren sich grausam rasch, seit die moderne Medizin und Hygiene die Kindersterblichkeit und die großen Seuchen überwunden hat.“ Diese evolutionsbiologische Haltung verband ihn mit dem Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz, der Ende der 80er Jahre hinsichtlich der Überbevölkerung davon sprach, „eine gewisse Sympathie für Aids“ zu bekommen. Auch Lorenz bestritt lebenslang seine Mitgliedschaft in der NSDAP, mit dem lapidaren Hinweis, er habe nie einen Mitgliedsausweis besessen. 1972 gründeten die beiden zusammen mit anderen Naturforschern und Umweltaktivisten die Gruppe Ökologie. Zentraler Satz des Gründungsmanifestes: „Wer die Überbevölkerung weiterhin fördert, bringt uns dem gemeinsamen Selbstmord näher.“

Grzimeks Leben endete mit 77 Jahren im Zirkus auf den Zuschauerrängen. Seinen letzten großen Auftritt hatte er trotzdem noch. Am 26. Mai 1987 wurde seine Urne unter Salutschüssen in der Serengeti am Ngorongoro-Krater beigesetzt – neben seinem Sohn Michael, der bei den Dreharbeiten zu Serengeti darf nicht sterben bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Er war wahrscheinlich der einzige Mensch, den er wirklich geliebt hatte.



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