So tun, als ob

Alltagskommentar In England überlegt die zweitgrößte Supermarktkette, großflächig virtuelle Mitarbeiter in Gestalt von Hologrammen einzusetzen: Sind wir bald alle Holo?

Wenn man zu Siri, dem Sprach­erkennungsprogramm von Apple, sagt: "Ich liebe dich", entgegnet es so etwas wie: "Dafür wurde ich nicht gebaut." Das ist eine rührend ehrliche Antwort. Die Software, die suggeriert, im technischen Apparat sitze ein persönlicher Assistent, ein ebenbürtiger Gesprächspartner, gibt zu: Ich kann nur Konserve, für Gefühle wurde ich nicht programmiert. So viel Demut ist heutzutage selten, meistens soll es die totale Illusion sein.

In England überlegt Asda, die zweitgrößte Supermarktkette des Landes, großflächig virtuelle Mitarbeiter in Gestalt von Hologrammen einzusetzen. Die lebensgroßen 3D-Projektionen wurden in einer Filiale in der Grafschaft Buckinghamshire getestet. Offenbar mit großem Erfolg, wie die Konzernleitung vermeldete. Der Kundschaft gefiel die weibliche Laserpuppe, die sie begrüßte und mit Informationen über Niedrigpreis-Angebote versorgte. Die Technik stammt von der Firma Tensator, die auf Leitsysteme für Warteschlangen spezialisiert ist. Auf etlichen Flughäfen, auch in Frankfurt, tummeln sich schon ihre Holo-Hostessen. Fragt sich nur: Warum brauchen wir nach der 3D-Invasion im Kino auch noch den Alltags-Avatar?

Danke für die schlechte Laune

Die Argumente der Anhänger drehen sich ums Geschäft. Virtuelle Mitarbeiter sind sieben Tage die Woche verfügbar, immer freundlich, immer kompetent und kosten den Arbeitgeber weder Löhne noch Sozialabgaben. Ein intelligent programmierter Sommelier in der Weinabteilung eines Supermarktes, so ein Tensator-Entwickler, könne den Käufern den passenden Wein zu einem Essen empfehlen. Eine App oder ein simpler Infobildschirm tun es offenbar nicht mehr, es muss das Als-ob einer real existierenden Person sein. Sind wir jetzt bald alle Holo, oder was?

Sofort fallen einem unzählige Möglichkeiten für die Holografisierung der Welt ein. Paare mit unerfülltem Kinderwunsch schieben ihren Holo-Nachwuchs durch den Park. Der plärrt auf Kommando und braucht nie frische Windeln. Einsame Witwen lassen sich ihren verstorbenen Mann zurück aufs Sofa lasern. Und sexuell frustrierte Ehemänner gehen fortan zur Holo-Hure – die betrogenen Gattinnen haben dann die Möglichkeit, als Hologramme unerwartet vor Ort aufzukreuzen, wenn es am schönsten ist. Schwere Zeiten auch für Schwarzfahrer: In jedem Waggon lauert bald ein virtueller Kontrolleur.

An der Supermarktkasse reißt einen die griesgrämige Kassiererin aus den Zukunftsvisionen. "Das macht 12,50." Während man ihr Wechselgeld nachzählt, ist man doch dankbar für ihre schlechte Laune. Die Frau ist wenigstens echt.

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