Container für Unzufriedenheit

Abgrenzung Jetzt werden Maßnahmen gegen „Integrationsverweigerer“ geplant, Integrationsprojekte dagegen dem Sparzwang geopfert

Kürzlich hat beim Spielen in der Kita der Sohn einer Freundin einen Schlag abbekommen. Der Kleine hat stark geblutet, und so hat sie im Krankenhaus mal draufschauen lassen. Wieder zurück bei der Arbeit, meinte ein Kollege von ihr mitfühlend: „War wohl ein Migrantenkind.“

Tatsächlich war es mein Sohn, aber da in unserer Kita etwa 80 Prozent Kinder den berühmten Migrationshintergrund haben, liegt die Vermutung doch nahe, dass da ein „Integrationsverweigerer“ im Miniformat am Werke gewesen sein muss. Mit dem „Integrationsverweigerer“ ist es derweil so wie mit dem „Sarrazin“ – es handelt sich um eine Art Container für Unzufriedenheiten aller Art. Die Debatte fing an mit Familien, die mithilfe von unentwegter Kinderproduktion „unseren“ Sozialsystemen auf der Tasche liegen, setzte sich fort mit perspektivlosen Migrantenkindern, die sich „deutschenfeindlich“ durch die Schulen prügeln, und ist am Ende angekommen bei Leuten, die gerade eingewandert sind und keine Integrationskurse besuchen. Auf eine Anfrage hin hat das Innenministerium kürzlich präzisiert, eine solche Verweigerung ergebe sich „durch die Tendenz zur selbst gewählten Abschottung, die Nichtteilnahme am gesellschaftlichen Leben und den angebotenen Deutschkursen sowie die Ablehnung des deutschen Staates“.

Kennen Sie solche Leute? Ich schon. Allerdings haben sie keinen Migrationshintergrund. Sie wohnen in den gut beleumundeten Vierteln der Stadt. In ihrer Nachbarschaft leben keine Migranten, sie haben keinen täglichen Umgang mit Personen nichtdeutscher Herkunft, und auch in den Schulen ihrer Kinder ist der „Ausländeranteil“ verschwindend gering.

Abstrakte Bedrohung, konkrete Steuerlast

Trotz dieser Abschottung von der Normalität schwadronieren sie gern über die Probleme mit der „Integration“, die sich in der eigenen Lebenswelt vor allem als abstrakte Bedrohung und als konkrete Steuerlast bemerkbar machen. Gegen soviel Angst vor Kontrollverlust und Wünschen nach Abgrenzung kommt man mit Argumenten nicht an. Da hätte der Hinweis gar keinen Sinn, dass man bei all den Phänomenen, die derzeit als „Integrationsverweigerung“ verhandelt werden, immer den Kontext mit bedenken muss: Was macht es denn etwa für Jugendliche, die mit ihren Familien seit zehn Jahren auf Duldung leben und im Grunde jederzeit abgeschoben werden können, für einen Sinn, sich zu „integrieren“? Zweifellos gibt es auch Fanatiker, Gewalttäter und Abzocker, und mit denen lässt sich immer wieder illustrieren, was viele Leute ohnehin schon wissen: „Die wollen sich nicht integrieren.“

Doch man kann in der Debatte über die „Integrationsverweigerer“ auch einen Fortschritt erkennen. Ganz früher standen ja potentiell immer alle „Ausländer“ unter Verdacht, dann nur noch „die Muslime“. Unterdessen sind bloß die „Verweigerer“ übrig. Während die als Popanz aufgebaut werden, fallen gleichzeitig reihenweise Integrationsmaßnahmen dem Sparzwang zum Opfer. Kürzlich etwa hat eine neue Verwaltungsvorschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dafür gesorgt, dass rund 50 Prozent der Personen, die Integrationskurse besuchen wollen, sofort abgeschmettert werden – vor allem solche, die schon länger in Deutschland leben. Zur Zeit ist das Programm „Soziale Stadt“ massiv von Kürzungen bedroht – ein Programm, das die „Problemkieze“ der Republik vor dem Absturz bewahrt. Zur Begründung meinte Patrick Döring, Vize-Fraktionschef der FDP: „Die Zeit der nichtinvestiven Maßnahmen, zum Beispiel zur Errichtung von Bibliotheken für Mädchen mit Migrationshintergrund, ist vorbei.“ Wer ist hier der Integrationsverweigerer?

Mark Terkessidis ist Journalist, Autor und Migrationsforscher in Köln

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