Lady Di läßt posthum grüßen. In Frankreich, Schauplatz der fatalen Sünde der Klatschpresse gegen den heiligen Geist und Ausgangsort von dessen Gegenkampagne, entwickelt sich gerade ein Folgekrieg. In den letzten Monaten startete eine Reihe von Prozessen gegen Schriftsteller. So hat Jean-Marie Le Pen den Autor Mathieu Lindon wegen Diffamierung verklagt, wobei der seiner Verwunderung Ausdruck gibt, dass er in seinem 1998 erschienenen Roman Le Procis de Jean-Marie Le Pen, in dem ein fiktiver junger Anwalt die politischen Praktiken des französischen Rechtspopulisten anklagt, nicht schreiben darf, was in allen Zeitungen und sogar von der Front National selbst publik gemacht wird.
Ein anderer Prozess dreht sich um die literarische Verarbeitung einer Familientragödie, in der ein gehörnter Gatte wegen des Mordes an seinem Sohn für zwanzig Jahre verurteilt wurde, wenn auch die Leiche niemals gefunden wurde. Die Aufarbeitung der neun Jahre alten Geschehnisse wird nun vom Vater verklagt (Marc Weitzmann, Mariage mixte). Und das Buch Ali le Magnifique von Paul Smail wird vorerst nicht veröffentlicht, da es sich zum Teil an dem Fall eines des Mordes angeklagten Mannes orientiert, der sich in Untersuchungshaft das Leben nahm. Seine Angehörigen drohen mit einer Klage wegen Angriffs auf Familienwürde und Unschuldsvoraussetzung.
"Flaubert würde heute verurteilt", so schreibt Frankreichs bedeutendste Wochenzeitschrift Le Nouvel Observateur. Dessen Geschichte der Madame Bovary nämlich ging auf einen authentischen zeitgenössischen Vorfall zurück. Allerdings galt der Aufruhr damals der gefährdeten öffentlichen Moral, während heute der Privatbesitz im Zentrum der Gerichtsprozesse steht. Die Kläger beanspruchen ihr Besitz- und Vermarktungsrecht an ihrem Eigentum, ihrer Familie und sogar an ihren Verbrechen. Die Schriftstellerin Françoise Chandernagor, selbst betroffen von einem Veröffentlichungsverbot, warnt mit dem Beispiel Flaubert vor der Tendenz der Ausweitung des juristischen Begriffs des "Privatlebens" auf den weiteren, ungenaueren des "Familienlebens". Denn damit sind der Verklagungswut keine Grenzen mehr gesetzt, und ein Urenkel könnte jede fiktive Beschreibung oder Biographie seines berühmten Vorfahren angreifen, da er seinen geliebten Urgroßvater anders sieht. Welche Frist muss verstreichen und wie eng muss die Familienbande sein, um seine Ehre einklagen zu dürfen?
Jüngstes Opfer unter den Literaten ist Fréderic Beigbeder, einer der schillerndsten Vertreter der neuen französischen Lifestyle-Literatur. In seinem gerade erschienenen Buch 99 Francs (Editions Grasset, es kostet auch 99 Francs!) beschreibt er die Welt der Werbeagenturen, in deren international größter er angestellt war, bis sein Chef auf noch unbekanntem Wege sein Manuskript in die Hände bekommen hat. Beigbeders Buch wirkt wie eine Parodie, das Werbetexteruniversum lockt mit Glanz und Erfolg, inwendig aber ist es moralisch verrottet und ausgehölt von Verachtung auf allen Ebenen - jeder verachtet jeden und in vollem Bewußtsein des eigenen Zynismus sich selbst dazu. Der fiktive Held des Romans endet im Wahnsinn, Beigbeder hingegen geht es gut. Ansonsten aber basiert das Buch auf authentischen Gegebenheiten und den Notizen, die der Autor sich an seinem Arbeitsplatz gemacht hat. Nur die Namen der Agentur und der Kunden wurden sicherheitshalber geändert.
Angestiftet zu seinem Coup hat ihn Michel Houellebecq, indem er darauf verwies, dass er statt wie gewohnt über die Partys der mondänen Schickeria doch lieber darüber schreiben solle, was heute das Zentrum der Macht darstelle: die Werbung. Beigbeder ist von seiner fristlosen Entlassung eher positiv überrascht, er hat dem Zynismus des Gewerbes zugetraut, auch die Nestbeschmutzung wieder marktstrategisch umzuwandeln. Doch lässt sich auch das als Rücksicht auf die Kunden erklären. Allerdings nimmt er es seinem ehemaligen Geldgeber übel, ihn unter einem falschen Vorwand hinauszuwerfen, so dass er nun einen Prozess gegen das Unternehmen führt.
Houellebecq wurde selbst von den Betreibern des Campingplatzes, der eine wichtige Rolle in seinem Buch Elementarteilchen spielt, angeklagt, und zwar wegen Verunglimpfung eines eingetragenen Warenzeichens. Jetzt springt er seinem Freund Beigbeder bei und droht all jenen mit Krieg, die mit ihrer natürlich wirtschaftlich motivierten Tendenz der allgemeinen Privatisierung die schriftstellerische Freiheit bekämpfen. Er betrachte nunmehr all diese Leute als Feinde, verkündet er, und er werde sich "ein Vergnügen daraus machen, sie zukünftig zu beschimpfen, zu diffamieren, zu verleumnden, ihren Ruf öffentlich zu verunglimpfen, ihnen nach seinen Möglichkeiten irreparable materielle oder moralische Schäden zuzufügen." Der Ausgang dieses Kampfes sei offen, gesteht Houellecq ein, vor allem die Verleger seien der Schwachpunkt der Autoren, da sie selbst durch die Rechtslage gebunden seien, die Zeitungen seien ohnehin durch ihre Anzeigenkunden geknebelt. Aber es gäbe ja noch das Internet ...
Ob jedoch die Schriftsteller wirklich bereit sind, für diese Sache ihren Ruf und ihren Verdienst aufs Spiel zu setzen, scheint fraglich. In diesem französischen Bücherherbst zumindest ist die Tendenz zu historischen Themen auffällig. Ebenso bemerkenswert ist, dass gerade die Schriftsteller, die sich mit ihren Büchern am stärksten am Publikum und dessen Sensationsgier orientieren, das lauteste Kriegsgeschrei erheben. Auch wenn Beigbeder das Buch zum letzten werbefreien und damit industrieunabhängigen Ort erklärt, so übernimmt sein Roman doch Bret Easton Ellis' Masche der präzisen Aufzählung aller Markennamen in seiner Yuppiewelt. Das alles hört sich eher danach an, als sei die Literatur bereits vom Markt und der dazugehörigen Selbstvermarktung verschlungen worden.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.