Der Karpaten-Koller

Osteuropa Rumänien hat eine lebendige Literaturszene. Sie wird aber hierzulande noch nicht so recht wahrgenommen. Das kann man ändern

Es wird viel und bemerkenswert gut geschrieben in Rumänien – aber hierzulande kaum gelesen. Ein Beispiel aus vielen: Der junge Radu Pavel Gheo gehörte in der Kulturmetropole Iaşi im Osten Rumäniens zu den Mitbegründern des „Club 8“, der um die Jahrtausendwende den Bukarester Zentralismus erfolgreich mit neuen Schreibweisen, Zeitschriften, Verlagen herausforderte und der rumänischen Gegenwartsliteratur einen mächtigen Schub verschaffte.

Sein großer Roman Noapte bună, copii! (2010; Gute Nacht, Kinder) entwirft als „road movie“ ein mit elegischen Untertönen versehenes Panorama von der Kindheit und Jugend der Wendegeneration und setzt zugleich dem literarischen Iaşi ein Denkmal. Es wurde mit Preisen versehen und in zahlreiche Sprachen übersetzt – fast schon mit einer gewissen Selbstverständlichkeit muss man konstatieren: nicht ins Deutsche.

Außer Mircea Cărtărescu hat es kein lebender Autor aus dem Karpatenland geschafft, eine eigene „Marke“ auf dem Buchmarkt in Deutschland, der Schweiz und Österreich zu werden. Die wortgewaltigen Phantasmen des Bukarester Autors halten jedem Vergleich stand und sind mehrfach für den Nobelpreis vorgeschlagen worden. Aber sonst? Kein/e lebende/r AutorIn (vielleicht noch am ehesten Norman Manea; Nora Iuga oder Ana Blandiana nur sporadisch, immerhin jetzt auch Gabriela Adameşteanu) schafft es in das Programm der Publikumsverlage.

FILIT

Dass auch die Rumänen an diesem unbefriedigenden Zustand etwas ändern wollen, ist nur zu verständlich. Daher hat der umtriebige Autor Dan Lungu, der einst den „Club 8“ führte, Ende Oktober 2013 FILIT, das erste Internationale Literatur- und Übersetzerfestival, in der ostrumänischen Kulturmetropole nahe der Grenze zur Republik Moldova begründet, ein internationales Literaturfestival, wie es die Stadt, ja Rumänien, noch keines gesehen hat. AutorInnen wie Herta Müller, Arios Fioretos, Filip Florian, Jan Koneffke, Varujan Vosganian, zudem Übersetzer wie Ernest Wichner und Jan Cornelius, Eventmanager wie Ulrich Schreiber vom Internationalen Literaturfestival Berlin, der dem Festival eine hohe Professionalität bescheinigte, wurden in die eigensinnige alte Kulturmetropole eingeladen.

Offensichtlich galt FILIT vor allem als Signal in die deutschsprachigen Länder, um zu zeigen, dass es vor und hinter den Karpaten lebendige und bemerkenswerte Literatur zu entdecken gibt. Der Wink der FILIT-Macher ging aber auch an die Bukarester Kulturbürokratie, der nach dem politischen Debakel um die Neuordnung des Rumänischen Kulturzentrums gezeigt wurde, was Eigeninitiative der Schriftsteller leisten kann. Zudem trafen sich Lungus Pläne mit Bemühungen der Stadt Iaşi, sich als Kandidat für das 2019 auslaufende Programm „Kulturhauptstadt Europas“ zu präsentieren.

Wenig direkten Kontakt

Während der junge rumänische Film, dessen Aushängeschild Cristian Mungiu ebenfalls aus Iaşi stammt, und die aktuelle rumänische Gegenwartskunst weltweit Furore machen, ist die deutschsprachige Verbindung zur 25-Millionen-Sprache am Karpatenbogen und der in ihr produzierten Literatur eher spröde. An den Übersetzern (etwa Georg Aescht, Eva Ruth Wemme, Edith Konrad, Anke Pfeifer, Gerhard Csejka) kann es nicht liegen. Ernest Wichners Übertragung von Das Buch des Flüsterns, dem Überraschungserfolg des früheren Wirtschaftsministers Varujan Vosganian über die Geschichte seiner armenischen Familie in Rumänien und den Genozid an den Armeniern, war etwa für den Leipziger Buchpreis nominiert. Allerdings ist der Humus der rumänischen Klassiker – oft in der DDR im Verlag „Volk und Welt“ übersetzt – meist nur noch antiquarisch zu finden.

Katharina Raabe, im Suhrkamp Verlag zuständig für die osteuropäische Literatur, hat nicht wenige der aktuellen ukrainischen Autoren in ihrer ästhetischen Bedeutung erkannt – Rumänien hingegen präsentiert sich auf andere Weise. „Die rumänische Literaturszene erscheint nicht so deutlich, ihre Traditionswahlen und ihre ästhetischen Entscheidungen sind nur schwer in ein europäisches Bild zu integrieren“, erklärt die engagierte Lektorin.

Als neue junge Stimme verlegte sie Filip Florians Kleine Finger, ein Buch, das sehr gute Kritiken erhielt, sich wohl aber weniger gut verkaufte. Gerne hätte sie auch Florians dritten Roman publiziert, aber die ökonomischen Hürden waren zu hoch. Raabe hebt aus ihrem Programm den Zwischenkriegsautor M. Blecher hervor, den „Kafka der rumänischen Literatur“, der in der Bibliothek Suhrkamp mit Herta Müllers Nachwort seinen Platz fand. Solche Anknüpfungen an die Weltliteratur der Avantgarde fehlten vielfach bei den jüngeren rumänischen AutorInnen.

Den direkten Kontakt in die rumänische Literaturszene haben wenige Verlagsleute – Traian Pop hingegen zeigte auf der Leipziger Buchmesse erneut ein Programm, das vor allem auch rumänische Schriftsteller umfasst. Der studierte Ingenieur und Autor Pop kam 1990 nach Deutschland und gründete in Ludwigsburg seinen Verlag. Neben Autoren aus dem Kreis der Temeswarer deutschsprachigen Szene der 1970/80er Jahre um die „Aktionsgruppe Banat“ wie Johann Lippet und Horst Samson, veröffentlichte Pop in Dieter Schlesaks Übertragung eine der wenigen deutschen Ausgaben aus dem Werk des legendären Lyrikers Nichita Stănescu: Der von der Jugend abgöttisch verehrte Dichter wurde als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt und starb 1983 früh an seiner Alkoholsucht.

Pop bedauert die Schwierigkeiten bei der Suche nach einem größeren Publikum für die Produkte der rumänischen Literatur. „Stünde mehr Geld zur Verfügung, könnten auch mehr und bekanntere Namen ihre Übersetzer finden“, sagt der selbst als Autor um den Kreis Cărtărescus hervorgetretene Rumäne. Unter seinen Autoren befindet sich auch Lucian Dan Teodorovici, einer der Iaşier FILIT-Macher und Lektor bei Polirom, dem größten literarischen Verlag Rumäniens: Sein Erzählungsband enthält eine reflektierte Erinnerung an die Kindheit in der „Epoca de Aur“, der „goldenen Zeit des Kommunismus“, die Teodorovici in der Bukowina, nahe der ukrainischen Grenze verbrachte, was auch sprachlich auf das Kind abfärbte. Grenzgeschichten aus Europa, die hierzulande zu wenige LeserInnen finden.

Von Markus Bauer erschien zuletzt In Rumänien. Auf den Spuren einer europäischen Verwandtschaft (Transit Verlag, 2009)

Zusammen mit dem Literaturhaus Berlin stellt das Rumänische Kulturinstitut Berlin im Laufe dieses Jahres sechs rumänische Schriftsteller vor. Die nächste Lesung in der Reihe findet am Mittwoch, 14. Mai, 20.00 Uhr im Literaturhaus Berlin mit Filip Florian und Georg Aescht statt

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