Der Rechtsstaat kapituliert

Big Brother Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist eine rote Linie, die die Bundesregierung nach zwei misslungenen Versuchen nun erneut überschreitet
Ausgabe 23/2015

Auf einmal ging alles ganz schnell: Mitte April präsentierten Justizminister Heiko Maas und Innenminister Thomas de Maizière Leitlinien zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Heiko Maas war bis dahin entschiedener Gegner dieser Überwachungsmaßnahme, die in den vergangenen fünf Jahren zwei Mal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist. Aber ein Machtwort von Vizekanzler Sigmar Gabriel reichte aus, damit Maas einknickte. Jetzt hat das Kabinett den Entwurf beschlossen, bis zur Sommerpause soll das Gesetz durch den Bundestag gepeitscht werden. In sechs Wochen vom Entwurf bis zum Beschluss. Alleine die Schnelligkeit sollte zu denken geben. Eine gesellschaftliche Debatte ist unerwünscht.

Die Laufzeit für die Vorratshaltung wurden etwas verringert: Verbindungsdaten dürfen jetzt nur noch zehn Wochen gespeichert werden – also wer mit wem wann telefonierte. Die Standortdaten sollen vier Wochen lang aufbewahrt werden – also wo sich das Smartphone wann befand, als Emails abgerufen oder telefoniert wurde. Sonst finden sich vor allem kosmetische Korrekturen im Neuanlauf. Mit anderen Worten: Der Gesetzentwurf ist alter Wein in neuen Schläuchen.

Und auch sonst steckt der Teufel nicht nur im Detail. Da wird von der Bundesregierung ein Richtervorbehalt versprochen. Nur nach dessen Genehmigung dürfe auf die Daten zugegriffen werden. Klingt super, so richtig nach Rechtsstaat, es stimmt aber leider nicht im Detail: Denn im Rahmen der so genannten Bestandsdatenauskunft dürfen Polizisten auch ohne Richtererlaubnis bei Providern abfragen, welcher Name zu einer IP-Adresse im Internet gehört.

Das Speichern der IP-Adressen wird seit langem als weniger schlimm verharmlost, ist aber keine Kleinigkeit. Denn in den nächsten Jahren wird ein neuer Übertragungsstandard eingeführt, durch den die Anonymität im Netz sogar noch weiter zurückgedrängt wird. Und mit dem Internet der Dinge speichert die Vorratsdatenspeicherung demnächst auch, mit wem unser Kühlschrank kommunizierte oder wo unser Auto um welche Uhrzeit war.

Markus Beckedahl ist Chefredakteur von netzpolitik.org und Veranstalter der re:publica-Konferenzen. Er hat bereits gegen die erste Vorratsdatenspeicherung geklagt und wird das notfalls wieder tun

Toll ist auch die Idee, die Verwertung von Daten so genannter Berufsgeheimnisträger auszuschließen, also Ärzten, Anwälten und Journalisten. Das verlangte auch der Europäische Gerichtshof, der sich leider nicht traute, dazu zu schreiben, dass das technisch nicht möglich ist. Gespeichert werden sollen diese Daten natürlich trotzdem. Man darf auf die richterliche Prüfung gespannt sein, ob etwa Journalisten nicht doch unter den Überwachten sind.

Die Vorratsdatenspeicherung ist außerdem ein wichtiger Baustein im System der Totalüberwachung durch die US-amerikanische NSA. Wie soll verhindert werden, dass kriminell agierende Geheimdienste sich überall Zugang zu Datenbergen verschaffen? Einen Richter werden sie vorher sicher nicht um Erlaubnis fragen.

Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung unserer Kommunikationsdaten ist eine rote Linie, die die Große Koalition nun erneut mit ihrem Gesetzentwurf überschritten hat. Die Unschuldsvermutung wird aufgehoben, wir alle werden künftig verdächtigt. Ist eine solche Überwachungsinfrastruktur erst einmal installiert, werden wir nie wieder über ihre Abschaffung reden, sondern nur noch um die Ausdehnung – und zwar je nach aktueller Sicherheitslage.

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