Dick auftragen, ein bisschen am Weltenrad drehen, um dem Regime zu Hause in Aserbaidschan Angst einzujagen, gehört zum Geschäft. Der Wandel marschiert auf das Land zu, hat Emin Milli der Machtclique in der Öl- und Gasrepublik am Kaspischen Meer verkündet. „Der Wandel kommt von innen und von außen, von links und rechts, vom Himmel und von der Hölle“, stand in dem Manifest, das er damals vor einem Jahr, vor Studenten in London verlas. Jetzt sitzt er im Gefängnis in Baku, zusammen mit Adnan Hajizadeh, seinem Freund und alter ego. Und das Pathos ist keineswegs verraucht. „Unsere Vision siegt über ihre Furcht, unsere Leidenschaft siegt über ihre Macht“, heißt es in der ersten Botschaft an die Freunde nach der Verurteilung.
Verhaftet wegen „Hooliganismus“
Noch aber fürchtet sich das Regime des aserbaidschanischen Staatschefs Ilham Alijew vor den zwei jungen Bürgerrechtlern und ihrem Treiben im Internet, das es weder versteht noch kontrolliert. Es geht um Blogs, Videos und Twitter-Botschaften der kritisch denkenden Gefolgschaft von Milli und Hajizadeh hinter Laptop-Monitoren im In- und Ausland. Deshalb hat die Regierung ihre Macht spüren lassen. Zwei Schläger wurden im vergangenen Juli in ein libanesisches Restaurant in der Fußgängerzone von Baku geschickt. Milli, Hajizadeh und ein paar Freunde saßen dort an einem Tisch. Der flog bald um, die beiden wurden übel zugerichtet. Als sie auf einer Polizeiwache Anzeige erstatten wollten – der eine mit gebrochener Nase, der andere mit Glasscherben im Bein – wurden sie festgenommen. Wegen „Hooliganismus“. Das Schmierenstück nahm seinen Lauf.
Zwei Monate lang untersuchte die Justiz den Fall und behielt Milli und Hajizadeh vorsorglich in Untersuchungshaft, zwei weitere Monate dauerte die Gerichtsverhandlung. Richter und Staatsanwalt hatten Mühe mit ihren Kronzeugen, den beiden Schlägern, zwei durchtrainierten Ringern, die nun als Opfer auftreten mussten. Sie verhaspelten sich, schwiegen, kriegten ihre auswendig gelernten Aussagen nicht mehr zusammen. „Du bist ein Held dieses Systems, sprich laut!“, rief Emin Milli aus seinem Metallkäfig, in dem er die Verhandlung verfolgte, einem der beiden jungen Männern zu, die ihn verprügelt hatten.
Zwei Milieus standen sich gegenüber, die typisch für diese frühere Sowjetrepublik sind: Emin Milli, der in der Haft 30 wurde, und der vier Jahre jüngere Adnan Hajizadeh, Aktivisten ohne Parteibuch, die in Deutschland und den USA studierten und sich mit kleinen Jobs bei Botschaften, internationalen Organisationen und Firmen aus dem Westen über Wasser hielten – und Babek Huseynow und Vusal Mammadow, zwei Männer, die als Kinder mit ihren Eltern aus dem Krieg um Berg-Karabach Anfang der neunziger-Jahre flohen, in Lagern groß wurden und später ohne regelmäßige Arbeit ihren Tag in Fitness-Salons verbrachten.
Mitte November das Urteil: Milli erhält zweieinhalb Jahre Gefängnis, Hajizadeh zwei Jahre. Eine Zäsur in der Geschichte der schleichenden Repression, 20 Jahre nach der Wende im Osten. Erstmals versucht der Staat Internetaktivisten mundtot zu machen.
Inzwischen läuft das Berufungsverfahren. Es wird die enorme Niederlage wohl nicht ausmerzen, die der Westen im Fall Milli/Hajizadeh hinnehmen musste. Vielleicht gibt es ja eine Begnadigung durch den Präsidenten, meint Aserbaidschans Ombudsfrau Elmira Akhundova, aber erst, wenn die Rechtsmittel ausgeschöpft seien. Alle Interventionen waren zuletzt verpufft. US-Diplomaten sprachen in Baku vor, auch Schwedens Außenminister Carl Bildt, zu diesem Zeitpunkt EU-Ratsvorsitzender, kam nach Aserbaidschan und sprach Alijew auf den Fall der verhafteten Blogger an. Die OSZE schrieb Briefe, höflich oder protestierend; die ganze Anklage sei fabriziert, meinte Miklos Haraszti, OSZE-Beauftragter für Medienfreiheit. Und dann war da auch noch Günter Nooke, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, den Außenminister Westerwelle nun loswerden will. Nooke war im Juli in Baku, kam aber gar nicht erst in den Gerichtssaal, wo Milli und Hajizadeh dem Haftrichter vorgeführt wurden. Irgendeine Anklage würden die Behörden da „zusammenfummeln“, sagte der Menschenrechtsbeauftragte voraus, auch seine Protestschreiben gingen ins Leere.
Im Eselskostüm
Aserbaidschan kann nämlich nein sagen. Wer mit knapp 30 Prozent Wirtschaftswachstum auftrumpft, auf gerade erst erschlossenen Erdgas- und Erdölreserven sitzt und den künftigen Pipelinekorridor von Zentralasien nach Westeuropa kontrolliert, muss sich nicht um Abkommen mit der EU und Konventionen des Europarats scheren. Eine Episode im EU-Parlament Anfang Dezember hat das zuletzt deutlich gemacht. Dorthin kam eine Delegation aus Baku mit Ministern und Abgeordneten zum jährlichen Treffen mit EU-Parlamentariern; die Übung ist Teil der Partnerschaftsabkommen der Union mit Ländern an ihrer Außengrenze. Eine gemeinsame Erklärung des EU-Aserbaidschan-Komitees zu Sinn und Zukunft der beiderseitigen Beziehungen scheiterte am Widerstand der Gäste aus Baku. Die wollten nichts über die „Anerkennung der wichtigen Rolle der Medien“ lesen oder über offene Fragen „beim Schutz und bei der Förderung der Menschenrechte, demokratischer Prinzipien und des Rechtsstaats“.
Auf EU-Seite sei jedem klar gewesen, dass der Fall der zwei inhaftierten Internetblogger in der einen oder anderen Weise erwähnt werden musste, meinte Ulrike Lunacek, Abgeordnete der österreichischen Grünen im EU-Parlament und Mitglied dieses Komitees. „Wir würden blöd aussehen, wenn wir es nicht täten.“ Dann trug sie den Fall ins Plenum von Straßburg. Eine Resolution kam zustande, die erste offizielle Stellungnahme der Europäer – sie verlangten, die beiden Männer freizulassen und mit einem neuen, fairen Prozess zu bedenken.
Kurz vor Weihnachten, als die erste Berufungsverhandlung beginnt, kann eine Reporterin von Radio Free Europe erstmals ein paar Sätze mit den Verurteilten wechseln. Milli und Hajizadeh tigern auf und ab in ihrem Käfig, während sie antworten. Am Europäischen Menschengerichtshof würden sie sich beschweren, kündigt Milli an, der eigentlich Abdullayew heißt. Sein Kunstname stehe für National oder Volk, um an das Erbe der „Demokratischen Republik Aserbaidschan“ von 1918 bis 1920 anzuknüpfen, der ersten Demokratie in einem überwiegend islamischen Land. Wahrscheinlich war das Maß für die Behörden in Baku voll, als Milli Anfang 2009 vor dem UN-Sitz in New York gegen ein Referendum in seinem Heimatland protestierte, das Staatspräsident Alijew einräumt, sich wiederwählen zu lassen, sooft er das für geboten hält.
Hajizadeh wiederum reizte die Staatsmacht, als er sich ein Eselskostüm überzog und begann, in dieser Kostümierung Pressekonferenzen zu geben. Sein Esel „Heinz“ sollte eine Allegorie für die grassierende Korruption im Land sein, eine Anspielung auf den von der Regierung nie wirklich erklärten Import von Eseln aus Deutschland für angeblich 41.000 Dollar. Milli und Hajizadeh, das Aktivistenduo, brachten alles ins Internet – auf YouTube, Facebook, Millis Internetfernsehen ANTV.
Unter Aserbaidschans Studenten in London oder New York sind die beiden enorm populär geworden. Die Dissidenten-Republik, der aserbaidschanische Nebenstaat existiert, wenn auch nur virtuell. Ewgeni Morosow, Internetforscher an der Georgetown-Universität in den USA, warnt gleichwohl vor zu hohen Erwartungen an die Blogger-Dissidenten. Die Erfahrung zeige, dass die Mehrheit der jungen Leuten in den früheren Sowjetrepubliken und in Russland selbst das Internet nutze, um die deprimierende politische Realität zu vergessen; nur eine Minderheit engagiere sich tatsächlich für politischen Wandel.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.