Ein Jagdhund in Chiracs Garten

Frankreich Nicolas Sarkozy gilt als der nächste Staatschef - sein Credo erinnert an Pétain: Respekt, Arbeit, Vaterland

Wenn man in der Politik etwas in Reichweite hat, dann muss man es nehmen und auf keinen Fall darauf warten, dass die anderen es einem geben. In Neuilly habe ich mir vielleicht ein paar Feinde gemacht, aber hätte ich nicht so gehandelt, dann besäße ich heute nichts." So mundgerecht spricht Nicolas Sarkozy, der "Golden Boy" aus dem Pariser Großbürgervorort Neuilly, obwohl er in Wahrheit Stunden damit verbringt, an seinen Reden und Fernsehauftritten zu feilen und zu schleifen, um sie möglichst spontan und gerade heraus erscheinen zu lassen - und so denkt er auch. Die Politik als Hundezwinger, und der Politiker als beißstarker Köter am Futternapf.

Seinen Posten als "Nummer Zwei" der französischen Regierung - Staatsminister für Wirtschaft, Finanzen und Budget - hat Sarkozy gewissermaßen eingetauscht gegen einen Zwinger mit noch größeren Tieren und Näpfen. Seinem Lehrmeister, dem Staatschef, will er an die Kehle und den Elysée-Palast an sich reißen, den wichtigsten Futterplatz, den sich ein Politiker in Frankreich vorstellen kann. Nicht nur morgens beim Rasieren denke er an das Präsidentenamt, sagt er ungeniert in einem Fernsehinterview.

Sarkozys Fußtritte gegen den alternden Jacques Chirac und die Vernichtungsphantasien desselben waren das große Politdrama des Jahres 2004 in Paris. "Stellt euch vor, das ist Sarkozy", sagt Chirac vor Tischgästen und tut so, als nähme er ein Gewehr in die Hand und legt an - "peng, peng, peng!", kolportiert Béatrice Gurrey, eine Journalistin von Le Monde in ihrem Buch Le rebelle et le roi. Jetzt, da Sarkozy die Präsidentenpartei UMP (Union für eine Volksbewegung) im Handstreich übernommen hat, kann dieser Machtkampf nur noch ausarten. "Die Leute wollen wissen, wer man ist", meinte der Mann, der Blut gerochen hat, neulich locker bei Michel Druckers Vivement dimanche, einer sonntäglichen Fernsehgala fürs breite Volk. Und dieser Mann weiß: Das ist einfach.

Nicolas Sarkozy, der Ende dieses Monats 50 Jahre alt wird, ist der mutmaßlich talentierteste französische Politiker seiner Generation und gilt als möglicher Sieger der im Mai 2007 anstehenden Präsidentenwahlen. Jacques Chirac, der dann 74 wäre, könnte sich theoretisch um eine dritte Amtszeit bewerben, laut Umfragen aber wollen 73 Prozent der konservativen Wähler auf dem Stimmzettel Sarkozys Namen sehen. Und ihr klarer Favorit kennt das Rezept für den Sieg: "Frankreich gibt sich dem hin, der am meisten Lust darauf hat." Aber wer will sich wirklich von einem machtgeilen Hund besteigen lassen?

"Sarkozy, bist das du?", fragte Jacques Chirac 1975 im Vorbeigehen einen jungen Parteifunktionär bei einer Veranstaltung der damaligen gaullistischen Regierungspartei UDR (Union der Demokraten für die Republik). "Du hast fünf Minuten für deine Rede." Nicolas Sarkozy soll sich an jenem Juni-Sonntag in Nizza 20 Minuten genommen haben. "Gaullist sein, heißt ein Revolutionär sein!", trompetet der 20-Jährige mit den langen Haaren und dem Pullover aus Shetland-Wolle in den Saal. Die alten Herren sind amüsiert. Sarkozy legt später nach - die Gaullistenbewegung müsse von Grund auf erneuert, das Lothringerkreuz - de Gaulles Wahrzeichen - einfach abgeschafft werden, erklärt der Politikstudent eines Abends dem damaligen Premierminister Chirac, der ein paar Junggaullisten zu einem Essen in seinen Amtssitz geladen hat. Nicht dass der junge Sarkozy, Sohn eines ungarischen Landadligen - Pal Nagy Bocsa y Sarközy, der 1948 aus Angst vor der Roten Armee nach Frankreich auswandert - irgendeinen Einfluss auf den vor Tatendrang berstenden Chirac ausübt, nur die Stimmung im Hundezwinger erfasst er schon damals genau: Chirac tritt 1976 als Premier zurück und gründet tatsächlich eine neue gaullistische Partei, den RPR, die Sammlungsbewegung für die Republik, die ihm 25 Jahre hindurch als Wahlmaschine dienen wird.

Nicolas Sarkozy, seit November 2004 Chef der Nachfolgepartei UMP, hat mittlerweile ein eigenes Programm und eigene Ansichten, aber man begreift ihn nicht ohne seinen langen Kampf mit dem Leittier Chirac. "Chirac hasst mich nicht. Es ist schlimmer. Er fürchtet mich", brüstet sich Sarkozy Anfang 2004 vor seinen Vertrauten, die das Bonmot gleich an die Presse weiter reichen.

Und das, obwohl sich der Aufsteiger jahrzehntelang, treu der Fährte Chiracs folgend, von Amt zu Amt hoch gebissen hat. 1983, mit 28, wird er Bürgermeister des Pariser Vororts Neuilly, wobei er den um vieles gewichtigeren Mitbewerber Charles Pasqua aussticht. 1988 ist er erstmals Parlamentsabgeordneter und Nationaler Sekretär des RPR. Seine Statur als landesweit anerkannter Politiker baut Sarkozy fortan mehr und mehr auf Kosten Chiracs aus. Dessen Fehlkalkulationen, vor allem dessen Unvermögen, wichtige Wahlversprechen einzuhalten und tektonische Verschiebungen im Unterbau der französischen Gesellschaft zu erkennen, machen Sarkozy groß. Mit der Ausdauer eines Jagdhunds hetzt er kreuz und quer durch die Ruinenlandschaft des Präsidenten.

Als 1993 die Rechte haushoch die Parlamentswahlen gewinnt und eine neue Regierung der Cohabitation unter dem sozialistischen Staatschef Mitterrand fällig ist, wird Sarkozy Budgetminister und seiner Schlagfertigkeit wegen auch gleich Regierungssprecher. Der Premier aber heißt Edouard Balladur. Chirac hat verzichtet und will vom Pariser Rathaus aus seine inzwischen dritte Präsidentschaftskandidatur vorbereiten. Balladur, überraschend populär wegen seiner Ruhe und aristokratischen Attitüden, findet Geschmack an der Macht. Auch er steuert 1995 das Präsidentenamt an - und Nicolas Sarkozy wird der Motor seiner Wahlkampagne. Während "Sarko, der Lump", wie er an der Parteibasis beschimpft wird, unerbittlich einen Keil durch das gaullistische Lager treibt, mimt Chirac den sozial Besorgten. Nach einer kurzen Tuchfühlung mit dem Neoliberalismus während der achtziger Jahre ist für ihn plötzlich der Kampf gegen den "sozialen Bruch" in Frankreich das große Thema. Sarkozy über Chiracs damaliges Wahlprogramm: "Morgen langweilen wir uns umsonst."

"Er hat schon einmal mit seinem Dolch zugestochen. Er wird es wieder tun." Bernadette Chirac, die Frau des Präsidenten, zählt längst zu den erbitterten Feinden Sarkozys. Auch Claude, die Tochter, arbeitet gegen ihn und weist wütend Gerüchte zurück, ihre Feindschaft sei das Ergebnis einer Affäre mit Sarkozy, der sie fallen gelassen habe. Die Wahrheit ist eine andere: Sarkozy, der sein Leben lang nichts außer Politik betrieb und nur der Form halber eine Anwaltsprüfung ablegte, hat das Talent sich unentbehrlich zu machen. 1999 springt er vorübergehend als Chef der Gaullistenpartei ein, und nach Chiracs Sieg bei der Präsidenten-Stichwahl gegen den rechtsextremen Jean-Marie Le Pen 2002 wird er Innenminister und setzt mit hemdsärmeliger Tatkraft das neue Thema des Elysée-Palastes um: "Kampf gegen die Unsicherheit in Frankreich".

Sarkozys politische Ideen gewinnen erst während der zweiten Amtszeit Chiracs dank der steten Kontroversen mit dem Präsidenten an Kontur. Mit Spürsinn für die Schwächen des eigenen Lagers stößt er vor und präsentiert eine Mischung aus Neokonservativismus, Großindustriellen-Habitus und moralischem Muff aus der Zeit Philippe Pétains. "Zu wenig Kinder, zu wenig Waffen, zu wenig Verbündete", hatte der alte Marschall im Juni 1940 in einer Radioansprache geklagt, um der Nation die Niederlage gegen Hitler zu erklären. Sarkozy verrührt heute den 11. September 2001 mit der instinktiven Furcht der Franzosen vor einem nationalen Abstieg. "Ich weiß, dass die Hoffnung wieder geboren werden muss, denn es gibt viele Ängste."

Die Verteidigung von drei "essenziellen Werten" - Respekt, Arbeit, Vaterland - hat er zum Kern seines Programms erklärt. Selbst katholisch weist Sarkozy indirekt auch immer wieder auf die jüdisch-griechische Familie seiner Mutter Andrée Mallah hin, um seine Identität als Immigrantensohn zu pflegen, der gegen alle Formen der Diskriminierung antritt und der "Meritokratie" wieder Geltung verschafft, dem Aufstieg der Rechtschaffenen und Verdienstvollen. Der "Muslimrat" in Frankreich, die erste gemeinsame Vertretung der Muslime im Land, war Sarkozys Idee. In zwei Jahren solle Frankreichs Regierungspartei zur Referenz für die Rechte, das Zentrum und die Liberalen in Europa werden, sagt er. Dann sind schließlich auch Präsidentschaftswahlen.


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